Der Standard

Tirol tut sich schwer mit Gedenken an die Teilung

Vor hundert Jahren wurde mit dem Vertrag von St. Germain Südtirol Italien zugesproch­en. Nördlich und südlich des Brenners wird dieser Jahrestag wenig beachtet. Man sucht lieber Zuflucht bei einem Kaiser.

- Ivona Jelčić

Der Gedenkbetr­ieb folgt der Logik der runden Zahl, da sind hundert Jahre keine Kleinigkei­t – aber 500 sind mehr. Die Anzahl der verstriche­nen Jahrhunder­te taugt jedoch kaum als Erklärung dafür, dass sich Tirol 2019 zwar mit ein paar Millionen Euro in das Gedenken an den 500. Todestag von Kaiser Maximilian I. gestürzt hat, die Landesteil­ung vor hundert Jahren aber verschämt unter dem Tisch fallen ließ.

Am 10. September 1919 wurde der Friedensve­rtrag von Saint-Germain unterzeich­net und Südtirol Italien zugesproch­en. Eine Zäsur in der Tiroler Geschichte, mit der sich 2019 weder eine Ausstellun­g noch sonst ein größeres, gar grenzübers­chreitende­s Kulturproj­ekt auseinande­rsetzt. Abgesehen von akademisch­en Initiative­n im Elfenbeint­urm bestehe, so der Südtiroler Historiker Hannes Obermair, „eine Landeseinh­eit des Schweigens“.

Obermair hat bereits 2018 scharf kritisiert, dass Südtirol zwar „äußerst geschichts­versessen“sei, was das Narrativ der historisch­en Landeseinh­eit betrifft, aber „geschichts­blind“, wenn es darum geht, die eigene Rolle im Ersten Weltkrieg kritisch zu reflektier­en.

Eine Haltung, die sich 2019 fortsetze, auch nördlich des Brenners. Obermair: „Die gemeinsame Matrix einer historisch­en Amnesie dient immer noch dazu, den kollektive­n Leidensdru­ck einer doppelten Niederlage zu lindern: Krieg verloren und Land verloren, daran will man nicht erinnert werden. Es wird das Opfernarra­tiv bemüht.“

Unterdrück­ung der deutsch- und ladinischs­prachigen Bevölkerun­g durch die italienisc­hen Faschisten, Nationalso­zialismus und die an ihn geknüpfte enttäuscht­e Hoffnung auf „Erlösung“: Auf kleinem Raum haben in Südtirol nach 1918 zwei totalitäre Systeme tiefe Spuren hinterlass­en.

Felix Mitterer ist in Tirol die erste Adresse, wenn es darum geht, historisch­e Stoffe für die Bühne zurechtzus­chnitzen. Die Tiroler Volksschau­spiele zeigten im Sommer Mitterers Verkaufte Heimat, ein Stück zu 80 Jahren Option in Südtirol. Einen großen intellektu­ellen Entwurf zum Thema bekam man nicht zu sehen. Aber immerhin

einen der wenigen Kulturbeit­räge zu einem historisch aufgeladen­en Gedenkjahr, das keines sein will. Zu dem sich aber eine weitere runde Zahl gesellt: Vor fünfzig Jahren nahm die Südtiroler Volksparte­i in einer legendären Abstimmung das sogenannte Südtirol-Paket an, Grundlage für das Zweite Autonomies­tatut von 1972.

Heute gilt die Südtiroler Autonomie als Vorzeigemo­dell, dennoch müsse sie „im Inneren immer noch als gefährdet hingestell­t werden, um auch die reaktionär­e Flanke zu befriedige­n“, sagt Hans Heiss, Historiker und bis 2018 Abgeordnet­er der Südtiroler Grünen im Landtag. „Wenn man 1919 in all seinen Dimensione­n in einer Landesauss­tellung ausgebreit­et hätte“, glaubt Heiss, „wäre es auch zu einer breiteren Diskussion gekommen.“

Rechte, hört die Signale!

Am 5. September, in Südtirol der Jahrestag der Autonomie, kamen die Landeshaup­tleute aus Nord und Süd doch noch aus der Deckung: In Bozen wurde der historisch­en Ereignisse gedacht, am morgigen 10. September tut man das auch im Landhaus in Innsbruck. Längst ist bei solchen Gelegenhei­ten das Zusammenrü­cken in der Europaregi­on Tirol-Südtirol-Trentino das Mantra, Schlagwort­e wie „Unrechtsgr­enze“und „Zerreißung“bleiben die Signale für jene Klientel, die als Zukunftsmo­dell nur die „Landeseinh­eit“sieht.

„Es gibt immer noch ein Wählersegm­ent, das die Teilung Tirols als Wunde betrachtet“, bestätigt Politikwis­senschafte­r Günther Pallaver. In der Lebensreal­ität der meisten Südtiroler sei das Thema kaum noch von Bedeutung. Dass man die Erinnerung­sräume 2019 „patriotisc­h-konservati­ven Gruppierun­gen überlassen hat“, hält Obermair dennoch für ein Problem. Denn das Thema werde allzu gern instrument­alisiert. Die Diskussion um den Doppelpass, die die FPÖ ihrer Südtiroler Schwesterp­artei just im Südtiroler Landtagswa­hlkampf 2018 eifrig zugespielt hat, ist ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenh­eit.

Die Euregio gibt sich unterdesse­n beflissen. Der Ende September in Innsbruck anberaumte Euregio-Museumstag steht unter dem Motto „Jubiläums- und Gedenkjahr­e“.

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Auch so gelangt der Norden Tirols mit dem südlichen Landesteil symbolisch zur Deckung: Andreas-Hofer-Denkmal in der Kurmetropo­le Meran.

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