Der Spätberufene
Helmut Wechselberger kam erst als 25-Jähriger auf Touren. Er war ein begnadeter und erfolgreicher Radsportler. Der Tiroler betont, auch in der Blütezeit des Dopings stets sauber unterwegs gewesen zu sein.
Es war eines der legendärsten, an Dramatik kaum zu überbietenden Duelle in der Radsportgeschichte, als der Franzose Laurent Fignon 1989 die Tour de France unter Tränen gegen den enthusiasmierten US-Amerikaner Greg LeMond um lediglich acht Sekunden verlor. Mit dabei war damals auch Helmut Wechselberger, der für das spanische Team Caja Rural-Paternina als Edeldomestik für den Spanier Marino Lejarreta – am Ende Gesamtfünfter – in die Pedale trat.
Wechselberger kam auf vier Etappen unter die besten 15, belegte im Endklassement den 32. Platz. Beim abschließenden Zeitfahren nach Paris glänzte er als Siebenter, obwohl er nicht einmal
eine Zeitfahrmaschine zur Verfügung hatte. „Leider hatte ich nie das Glück, bei einem absoluten Topteam zu fahren“, sagt der Tiroler, der 1989 nicht weniger als 123 Starts verzeichnete, rund 45.000 Kilometer auf dem Rad abspulte und danach „praktisch klinisch tot“gewesen ist.
Bei der Tour hat er festgestellt, dass er weit weg von einem absoluten Topprofi war. „Ich habe im Prinzip nur noch grün und blau gesehen. Es war ein Unterschied wie zwischen einem Trabi und einem Formel-1-Auto.“Das habe sich auch in der Regeneration gezeigt. „Ja, Helli, wie soll das heute weitergehen, wie sollst du das überleben“, fragte er sich des öfteren in der Früh vor dem Spiegel.
Auf einer der schweren Bergetappen über den Tourmalet ist er „elendig zugrunde gegangen“, knapp innerhalb der Karenzzeit angekommen.
„Ich rief meine Frau an – meine Tochter war kurz davor erst auf die Welt gekommen –, und ich sagte, dass ich jetzt am liebsten sterben würde, wenn ich könnte.“Am nächsten Morgen sei er im Radtrikot samt Startnummer aufgewacht, sein Koffer stand über Nacht bei der Rezeption. „Niemanden hat interessiert, ob ich zum Abendessen komme.“Als ausländischer Fahrer habe er keine Rolle gespielt.
Fignon habe ihm Jahre später erzählt, dass in der Vorbereitung Anabolika genommen, vor den schweren Bergetappen Kortison gespritzt wurde. Und Epo habe es ja ohnehin schon seit 1988 gegeben. „Der Wahnsinn war, dass Eufemiano Fuentes unser Teamarzt war.“Er habe den Doping-Guru aber nur einmal gesehen, als er sich dem Team vorstellte. „Es war für mich im Nachhinein schon skurril, dass er die Burschen alle unter seinen Fittichen hatte.“Doping sei für ihn aber nie ein Thema gewesen. „Ich betrieb den Sport mit irrsinniger Liebe, Härte und aller Konsequenz und war von meinen Genen her entsprechend ausgestattet.“Zudem wollte Wechselberger seine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen. Mit seinen Qualitäten und den entsprechenden Mitteln hätte er seiner Ansicht nach bei einer großen Rundfahrt mit Sicherheit vorn mitfahren und viel Geld verdienen können.
In Stams aussortiert
Aufgewachsen in Jerzens im Pitztal war es quasi Wechselbergers Pflicht, das Skifahren zu erlernen. Also wurde er Schüler im Skigymnasium Stams. Schon bald aber zog er sich eine Meniskusverletzung zu. „Damals war das eine schwere Verletzung, man hatte monatelang einen Gips.“Der Arzt habe ihm klargemacht, dass es das gewesen sei. Tenor der Verantwortlichen in Stams: Die Privatschule wolle Spitzensportler ausbilden, keine Invaliden. „Eine niederschmetternde Aussage.“
Wechselberger wollte vom Sport dann jahrelang nichts mehr wissen, bis der Vater seiner damaligen Frau im inzwischen 25-Jährigen das Interesse am Radsport weckte. Eine einwöchige Altherrenausfahrt auf Sardinien hat dem Bankkaufmann so viel Spaß bereitet, dass der Wunsch aufkeimte, einmal Rennen zu fahren. Unterstützt von den Schwiegereltern ging es Wechselberger trotz des
Jobs mit vollem Ernst an. „Das Private ist teilweise auf der Strecke geblieben, und ich konnte oft nur zwei Stunden am Tag trainieren.“
1982 gewann er mit 29 neben der RheinlandPfalz-Rundfahrt erstmals auch die ÖsterreichRundfahrt. Nach dem neuerlichen Heimtriumph vier Jahre später folgte eine der größten Überraschungen in Österreichs Radsportgeschichte. In der Blütezeit des Ostblock-Dopings gewannen Johann Lienhart, Bernhard Rassinger, Mario Traxl und Wechselberger bei der WM 1987 in Villach trotz materialmäßiger und körperlicher Unterlegenheit Bronze im Teamzeitfahren.
Nach der WM war ein Disput wegen einer „lächerlichen Prämie“mit dem Radsportverband mit ausschlaggebend dafür, dass Wechselberger dem Amateurlager den Rücken kehrte. Hatte er davor aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und weil ihm der Job stets wichtiger war, noch Profiangebote abgelehnt, so entschied er sich nun, für Malvor Bottecchia in die Pedale zu treten. In seinem erst zweiten Profirennen, einem Zeitfahren von Florenz nach Pistoia, bezwang er alle: „Francesco Moser, Giuseppe Saronni, Gianni Bugno, Tony Rominger und wie sie alle geheißen haben.“
Sieger der Tour de Suisse
1988 kam er mit extrem guter Form zum Giro d’Italia. Nach einem Defekt auf der ersten Bergetappe verlor Wechselberger aber enorm viel Zeit, weil ihn die sportliche Leitung auf der Straße stehen ließ. Er musste zur Kenntnis nehmen, dass er nicht Kapitän war. „Mir wurde nicht zugetraut, dass ich vorn mitfahren kann. Ich habe dem sportlichen Leiter im Ziel das Rad vor die Füße hingeschmissen und gedroht, dass ich am nächsten Tag wieder in der Bank arbeiten würde.“Wenige Wochen später konnte der gute Bergfahrer, gleichzeitig einer der weltbesten Zeitfahrer, als 35-Jähriger trotz einer „schwachen Mannschaft, die sich sukzessive aufgelöst hat“, die Tour de Suisse für sich entscheiden.
Heute genießt Wechselberger, der im Investmentbereich mit Fondsmanagement und Vermögensverwaltung beschäftigt und auch sieben Jahre lang Präsident des Tiroler Radsportverbands war, sein Leben in vollen Zügen. Die zwei Kinder seiner Tochter seien mitunter „Stress pur, ansonsten habe ich den ganzen Tag frei, Ferien. Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an.“Er sitzt weiter viel im Sattel. „Ich fahre schon noch ordentliche Touren, bis zu 250 Kilometer.“Bis vor ein paar Jahren spielte er auch noch regelmäßig Golf. „Ich hatte einen richtigen Bazillus.“
Jetzt widmet er sich wieder vermehrt seiner eigentlichen Leidenschaft. „Business war die eine Geschichte, Sport die andere.“