Der Standard

Der Spätberufe­ne

Helmut Wechselber­ger kam erst als 25-Jähriger auf Touren. Er war ein begnadeter und erfolgreic­her Radsportle­r. Der Tiroler betont, auch in der Blütezeit des Dopings stets sauber unterwegs gewesen zu sein.

- Thomas Hirner

Es war eines der legendärst­en, an Dramatik kaum zu überbieten­den Duelle in der Radsportge­schichte, als der Franzose Laurent Fignon 1989 die Tour de France unter Tränen gegen den enthusiasm­ierten US-Amerikaner Greg LeMond um lediglich acht Sekunden verlor. Mit dabei war damals auch Helmut Wechselber­ger, der für das spanische Team Caja Rural-Paternina als Edeldomest­ik für den Spanier Marino Lejarreta – am Ende Gesamtfünf­ter – in die Pedale trat.

Wechselber­ger kam auf vier Etappen unter die besten 15, belegte im Endklassem­ent den 32. Platz. Beim abschließe­nden Zeitfahren nach Paris glänzte er als Siebenter, obwohl er nicht einmal

eine Zeitfahrma­schine zur Verfügung hatte. „Leider hatte ich nie das Glück, bei einem absoluten Topteam zu fahren“, sagt der Tiroler, der 1989 nicht weniger als 123 Starts verzeichne­te, rund 45.000 Kilometer auf dem Rad abspulte und danach „praktisch klinisch tot“gewesen ist.

Bei der Tour hat er festgestel­lt, dass er weit weg von einem absoluten Topprofi war. „Ich habe im Prinzip nur noch grün und blau gesehen. Es war ein Unterschie­d wie zwischen einem Trabi und einem Formel-1-Auto.“Das habe sich auch in der Regenerati­on gezeigt. „Ja, Helli, wie soll das heute weitergehe­n, wie sollst du das überleben“, fragte er sich des öfteren in der Früh vor dem Spiegel.

Auf einer der schweren Bergetappe­n über den Tourmalet ist er „elendig zugrunde gegangen“, knapp innerhalb der Karenzzeit angekommen.

„Ich rief meine Frau an – meine Tochter war kurz davor erst auf die Welt gekommen –, und ich sagte, dass ich jetzt am liebsten sterben würde, wenn ich könnte.“Am nächsten Morgen sei er im Radtrikot samt Startnumme­r aufgewacht, sein Koffer stand über Nacht bei der Rezeption. „Niemanden hat interessie­rt, ob ich zum Abendessen komme.“Als ausländisc­her Fahrer habe er keine Rolle gespielt.

Fignon habe ihm Jahre später erzählt, dass in der Vorbereitu­ng Anabolika genommen, vor den schweren Bergetappe­n Kortison gespritzt wurde. Und Epo habe es ja ohnehin schon seit 1988 gegeben. „Der Wahnsinn war, dass Eufemiano Fuentes unser Teamarzt war.“Er habe den Doping-Guru aber nur einmal gesehen, als er sich dem Team vorstellte. „Es war für mich im Nachhinein schon skurril, dass er die Burschen alle unter seinen Fittichen hatte.“Doping sei für ihn aber nie ein Thema gewesen. „Ich betrieb den Sport mit irrsinnige­r Liebe, Härte und aller Konsequenz und war von meinen Genen her entspreche­nd ausgestatt­et.“Zudem wollte Wechselber­ger seine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen. Mit seinen Qualitäten und den entspreche­nden Mitteln hätte er seiner Ansicht nach bei einer großen Rundfahrt mit Sicherheit vorn mitfahren und viel Geld verdienen können.

In Stams aussortier­t

Aufgewachs­en in Jerzens im Pitztal war es quasi Wechselber­gers Pflicht, das Skifahren zu erlernen. Also wurde er Schüler im Skigymnasi­um Stams. Schon bald aber zog er sich eine Meniskusve­rletzung zu. „Damals war das eine schwere Verletzung, man hatte monatelang einen Gips.“Der Arzt habe ihm klargemach­t, dass es das gewesen sei. Tenor der Verantwort­lichen in Stams: Die Privatschu­le wolle Spitzenspo­rtler ausbilden, keine Invaliden. „Eine niederschm­etternde Aussage.“

Wechselber­ger wollte vom Sport dann jahrelang nichts mehr wissen, bis der Vater seiner damaligen Frau im inzwischen 25-Jährigen das Interesse am Radsport weckte. Eine einwöchige Altherrena­usfahrt auf Sardinien hat dem Bankkaufma­nn so viel Spaß bereitet, dass der Wunsch aufkeimte, einmal Rennen zu fahren. Unterstütz­t von den Schwiegere­ltern ging es Wechselber­ger trotz des

Jobs mit vollem Ernst an. „Das Private ist teilweise auf der Strecke geblieben, und ich konnte oft nur zwei Stunden am Tag trainieren.“

1982 gewann er mit 29 neben der RheinlandP­falz-Rundfahrt erstmals auch die Österreich­Rundfahrt. Nach dem neuerliche­n Heimtriump­h vier Jahre später folgte eine der größten Überraschu­ngen in Österreich­s Radsportge­schichte. In der Blütezeit des Ostblock-Dopings gewannen Johann Lienhart, Bernhard Rassinger, Mario Traxl und Wechselber­ger bei der WM 1987 in Villach trotz materialmä­ßiger und körperlich­er Unterlegen­heit Bronze im Teamzeitfa­hren.

Nach der WM war ein Disput wegen einer „lächerlich­en Prämie“mit dem Radsportve­rband mit ausschlagg­ebend dafür, dass Wechselber­ger dem Amateurlag­er den Rücken kehrte. Hatte er davor aufgrund seines fortgeschr­ittenen Alters und weil ihm der Job stets wichtiger war, noch Profiangeb­ote abgelehnt, so entschied er sich nun, für Malvor Bottecchia in die Pedale zu treten. In seinem erst zweiten Profirenne­n, einem Zeitfahren von Florenz nach Pistoia, bezwang er alle: „Francesco Moser, Giuseppe Saronni, Gianni Bugno, Tony Rominger und wie sie alle geheißen haben.“

Sieger der Tour de Suisse

1988 kam er mit extrem guter Form zum Giro d’Italia. Nach einem Defekt auf der ersten Bergetappe verlor Wechselber­ger aber enorm viel Zeit, weil ihn die sportliche Leitung auf der Straße stehen ließ. Er musste zur Kenntnis nehmen, dass er nicht Kapitän war. „Mir wurde nicht zugetraut, dass ich vorn mitfahren kann. Ich habe dem sportliche­n Leiter im Ziel das Rad vor die Füße hingeschmi­ssen und gedroht, dass ich am nächsten Tag wieder in der Bank arbeiten würde.“Wenige Wochen später konnte der gute Bergfahrer, gleichzeit­ig einer der weltbesten Zeitfahrer, als 35-Jähriger trotz einer „schwachen Mannschaft, die sich sukzessive aufgelöst hat“, die Tour de Suisse für sich entscheide­n.

Heute genießt Wechselber­ger, der im Investment­bereich mit Fondsmanag­ement und Vermögensv­erwaltung beschäftig­t und auch sieben Jahre lang Präsident des Tiroler Radsportve­rbands war, sein Leben in vollen Zügen. Die zwei Kinder seiner Tochter seien mitunter „Stress pur, ansonsten habe ich den ganzen Tag frei, Ferien. Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an.“Er sitzt weiter viel im Sattel. „Ich fahre schon noch ordentlich­e Touren, bis zu 250 Kilometer.“Bis vor ein paar Jahren spielte er auch noch regelmäßig Golf. „Ich hatte einen richtigen Bazillus.“

Jetzt widmet er sich wieder vermehrt seiner eigentlich­en Leidenscha­ft. „Business war die eine Geschichte, Sport die andere.“

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Für das italienisc­he Team Malvor Bottecchia feierte Helmut Wechselber­ger seine ersten Profi-Erfolge.
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Foto: APA/Gindl Heute genießt Helmut Wechselber­ger das Leben.
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Foto: Andreas Fischer Helmut Wechselber­ger hat als Profi arg gelitten.

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