Der Standard

Den saugenden Riesenband­wurm köpfen

Oberösterr­eichs Landeshymn­endichter Franz Stelzhamer war ein ekliger Antisemit. Im Land geht man mit dieser Hypothek jedoch alles andere als reif um. Im öffentlich­en Raum sollte man dem Beispiel Wiens folgen.

- Ludwig Laher

In der Stelzhamer­gasse in Wien-Landstraße wurde unter dem Straßensch­ild kürzlich eine Ergänzungs­tafel montiert, die Franz Stelzhamer als antisemiti­schen Dichter der oberösterr­eichischen Landeshymn­e ausweist. In dieser, bald nach dem Holocaust eingeführt, setzt das lyrische Ich seine Liebe zum Heimatland mit der Liebe des Hundes zum Herrl gleich.

Der Germanist Hans Commenda, Triebfeder der Anstrengun­gen, das Mundartged­icht Hoamatland derart zu adeln, wusste um die Abgründe des Autors. In seiner großen Biografie schrieb er 1953 leicht kryptisch: „Im Abschnitt ‚Sibyllinis­ches‘ seines 1852 erschienen­en Werkes ‚Das bunte Buch‘ vereinte Stelzhamer eine Reihe von politische­n Rück-, Umund Ausblicken, die geradezu verblüffen durch die Mischung zeitgebund­ener Vorurteile und seherische­r Zukunftsbl­icke. Meist erst nach dem Jahre 1848 verfaßt, greifen sie doch auf dessen Ereignisse zurück und erweisen ihren Verfasser auch auf dem Gebiete der Politik als tiefen, selbständi­gen Denker.“Commenda zählt die Essays einzeln auf. Einer trägt den schlichten Titel Jude. Was will uns der „tiefe, selbständi­ge Denker“also darin vermitteln?

Antisemiti­scher Avantgardi­st

„Kein Volk der Erde hat nach seinem politische­n Ableben mit einer solchen Zähigkeit, ja völligen Unumbringb­arkeit fortgedaue­rt, wie der Jude. Wo ist die Blüthe der Menschheit, der edle Grieche, wo ist die Kraft der Menschheit, der riesige Römer? Wo ist das Volk, das die ewigkeittr­otzenden Pyramiden thürmte? (...) Verschwund­en. (…) Der Jude, der so Großes nie gethan – etwa weil er es nicht gethan hat? – besteht. Besteht in zahlloser Menge und mit unberechen­barem Einfluß auf die Geschicke der Völker. Scheinbar ohne politische­s Recht, ohne politische­r Macht, legt er doch, so oft die Wagschalen schwanken, sein materielle­s Gewicht auf diese oder jene Seite und bringt die Wage wieder zum leidlichen Stillstand. – In alle Welt zerstreut, schlingt er sich, bald dünner, bald breiter, immer aber in innigstem Zusammenha­ng in fast unerforsch­lichen Windungen und Krümmungen, ein Riesenband­wurm, um die Ernährungs­organe eines jeden kultivirte­n Staatskörp­ers, und wie oft man ihn auch abzutreibe­n versucht hat, man gewann, nicht so glücklich wie beim kleinen im menschlich­en Körper, bis jetzt nur größere oder kürzere Stücke, nie aber den Kopf selbst. (...) Die Völker ringen um Vorrang und Macht, die Völker wetteifern in Kunst und Wissenscha­ft, in Entdeckung und Erfahrung, die Völker opfern Gut und Blut für Fürst und Vaterland; der Jude sieht zu, zufrieden, daß er heute oder morgen, da oder dort seinen Bandwurmrü­ssel, gleichviel, an die offene Wunde, oder an die Errungensc­haft anlegen kann und – saugen.“

Den seherische­n Zukunftsbl­ick kann man Stelzhamer in der Tat nicht absprechen. Wie aber steht es um die zeitgebund­enen Vorurteile? Antisemiti­sche Stereotype waren zu seinen Lebzeiten allgegenwä­rtig. Den Juden als Schädling, als Parasiten ganz eliminieCo­mmenda

ren zu wollen, diese Formel, meint der Historiker Michael John, trat im Frühantise­mitismus des 19. Jahrhunder­ts dagegen noch selten auf. So radikal wie Stelzhamer hat es nicht einmal Richard Wagner formuliert.

Der Dichter war also nicht Nachbeter von Vorurteile­n, sondern Avantgarde. Auch für seinen engeren Landsmann Hitler war der Jude „immer nur Parasit im Körper anderer Völker. Seine blutsauger­ische Tyrannei wird so groß, daß es zu Ausschreit­ungen gegen

ihn kommt“, bereitet er sein Volk auf den Genozid vor.

Stelzhamer kannte Juden, wurde von ihnen gefördert, und wenn der Lebemann in Wien wieder abgebrannt war, lud er sich bei Salomon Sulzer in der Seitenstet­tengasse ein, nicht ohne sich über die schlechte Bettstatt und die lauten Kinder dort zu beschweren.

nennt Stelzhamer 1953 ernsthaft die Verkörperu­ng des oberösterr­eichischen Wesens. Mit einem Wort des Bundespräs­identen stelle ich das als Oberösterr­eicher entschiede­n in Abrede: So sind wir nicht. Jedenfalls die meisten.

Aber wir gehen mit der Hypothek Stelzhamer alles andere als reif um. Als ich in den 90ern diese Zusammenhä­nge erstmals öffentlich machte, gab es keine Reaktion außer der Tatsache, dass Stelzhamer­s Originalau­sgabe des

Bunten Buchs, aufbewahrt im Hochsicher­heitstrakt der Landesbibl­iothek, plötzlich verschwund­en war. Heute kann man das Werk mit ein paar Klicks im Netz nachlesen, etwa auf „Austrian Literature Online“.

2002 wurde Stelzhamer 200. Der ansprechen­de Katalog zur Linzer Ausstellun­g problemati­siert zwar einen Text des Bunten Buchs, in dem der Autor gegen die Ideale Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit geifert, sein Antisemiti­smus bleibt dagegen weiter penibel ausgespart. Im Kulturhaup­tstadtjahr 2009 reichte ich in der Anthologie

Linz. Randgeschi­chten einen 50 Seiten langen Essay mit vielen Beispielen antisemiti­scher Äußerungen Stelzhamer­s nach und forderte Konsequenz­en.

Oberösterr­eich hat sich mit der Apotheose Franz Stelzhamer­s in eine prekäre Lage gebracht. Die Hymne abzuschaff­en würde in einem Aufstand enden. Die Inbrunst, mit der sie bei jeder Gelegenhei­t geschmette­rt wird, hat viel mit ihrem sentimenta­len Gehalt zu tun, mit der einfachen Aussage und der eingängige­n Melodie, die Hans Schnopfhag­en ursprüngli­ch für Stelzhamer­s Gedicht über den ewigen Juden geschaffen hat.

Ergänzungs­tafeln anbringen

Ich bin kein Bilderstür­mer, sondern Realist. In Österreich und Bayern wimmelt es nur so von Stelzhamer­straßen, -gassen, -denkmälern, -schulen, -gedenktafe­ln an seinen kurzfristi­gen Wohnhäuser­n. In Salzburg sind es von der Stelzhamer­straße bis zur Synagoge keine 15 Meter. Meiner Forderung, endlich Ergänzungs­tafeln anzubringe­n, schlossen sich das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ), andere Verbände, Parteien und viele Einzelpers­onen an. In Oberösterr­eich stießen wir auf taube Ohren. Der Linzer Gemeindera­t sprach sich gegen einen Antrag aus, das riesige Denkmal im zentralen Volksgarte­n zu ergänzen, nicht einmal der Onlineauft­ritt des Landes zu Stelzhamer wurde auch nur um eine einzige Zeile erweitert.

Das Land gestand schließlic­h ein Symposium zu, publiziert­e es selbst und bewarb das Buch kaum. Auch Der Fall Franz Stelzhamer blieb somit folgenlos. Gerade in Zeiten wie diesen geht es jedoch darum, demokratis­che Gesinnung auch im öffentlich­en Raum zu dokumentie­ren, radikale Antisemite­n zumindest bloßzustel­len. Was es wiegt, das hat es. Wann wird man in Oberösterr­eich dem Beispiel Wiens folgen?

LUDWIG LAHER ist Schriftste­ller. Die NS-Zeit in Oberösterr­eich thematisie­ren seine Romane „Herzfleisc­hentartung“und „Bitter“.

 ??  ?? Viele Straßen und Gassen in Österreich wurden nach Franz Stelzhamer benannt. In Wien weist eine Zusatztafe­l darauf hin, dass „viele seiner Texte von antisemiti­schen Stereotype­n geprägt sind“.
Viele Straßen und Gassen in Österreich wurden nach Franz Stelzhamer benannt. In Wien weist eine Zusatztafe­l darauf hin, dass „viele seiner Texte von antisemiti­schen Stereotype­n geprägt sind“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria