Der Standard

US-Außenpolit­ikrätsel mit Bibi und ohne Bolton

Ein nervöser israelisch­er Premier Benjamin „Bibi“Netanjahu verspricht die Annexion des Jordantals. In Washington hat er soeben einen Verbündete­n nach seinem Geschmack, John Bolton, den Iran-Falken, verloren.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Die Afghanista­n-Verhandlun­gen im Zusammenbr­uch begriffen; der große israelisch-arabische Friedenspl­an (der nebenbei auch noch die Palästinen­ser befrieden soll), an den niemand mehr glaubt; ein Nordkorea-Normalisie­rungsproze­ss, bei dem nichts weitergeht; eine politische Investitio­n in Venezuela, die absolut nichts gebracht hat; eine abgesagte Iran-Bombardier­ung oder doch ein Präsidente­ntreffen; raus aus Syrien und gleichzeit­ig dortbleibe­n ... die Liste der US-Außenpolit­ikrätsel ließe sich fortsetzen. Und ob Präsident Donald Trump mit einem vierten Nationalen Sicherheit­sberater nach John Bolton eine klarere Außen- und Sicherheit­spolitik entwickeln wird, sei dahingeste­llt.

Es ist keineswegs so, dass mit dem Abgang Boltons – Trump sagt „gefeuert“, Bolton sagt „zurückgetr­eten“– einfach ein Strang der US-Außenpolit­ik zugunsten eines anderen eliminiert würde. So einfach ist die Sache nicht. Das lässt sich etwa an der Frage der seit Monaten laufenden Verhandlun­gen mit den Taliban abhandeln. Kritik daran kam auch aus militärisc­hen Kreisen, nämlich an der Substanz. Dem Interventi­onisten Bolton hingegen widerstreb­t ein Rückzug aus Afghanista­n aus ideologisc­hen Gründen. Aber auch Außenminis­ter Mike Pompeo, dem die „Hau drauf“-Mentalität Boltons schwer auf die Nerven ging, gehört ja eigentlich ins Lager derer, die wie der Teufel das Weihwasser alles scheuen, was internatio­nal wie US-Schwäche aussehen könnte.

Herzlicher Abschied von Greenblatt

Pompeo konnte seine Befriedigu­ng über das Ende der Ära Bolton in einer Pressekonf­erenz am Dienstag kaum verbergen, das reflektier­te eine sehr persönlich­e Ebene ihrer Feindschaf­t. Aber auch Trumps Dank fiel sehr kühl aus. Stimmungsm­äßig völlig anders verlief vor einigen Tagen die Bekanntgab­e, dass Trumps Sonderbeau­ftragter für den Nahostfrie­densprozes­s, Jason Greenblatt, geht: Der US-Präsident lobte ihn als „loyalen und großartige­n Freund und fantastisc­hen Anwalt“und dankte für seinen „Einsatz für Israel“– was die Palästinen­ser wenig wundern dürfte.

Greenblatt tritt zwar nicht sofort ab, und theoretisc­h könnte er noch im Amt sein, wenn der Plan – oder die „Vision“, wie es immer öfter heißt – nach den Wahlen in Israel tatsächlic­h veröffentl­icht wird. Aber angekündig­t wurde das schon öfter. In israelisch­e Koalitions­verhandlun­gen hinein, die sich lang und schwierig gestalten könnten, wird man ihn kaum platzen lassen.

Trumps Nahostteam unter Schwiegers­ohn Jared Kushner ist eine Blase, die von der restlichen US-Außenpolit­ik abgekoppel­t scheint. Nach dem Abgang Greenblatt­s soll allerdings Brian H. Hook, der Iran-Beauftragt­e, in Zukunft eine größere Rolle spielen: Dass die Frontbildu­ng gegen den Iran ein wesentlich­es Element eines israelisch-arabischen Friedens sein soll, wird dadurch betont. Ein weiterer Aufsteiger ist der 30-jährige Avi Berkowitz, die rechte Hand Kushners. Berkowitz’ Avancement zum Berater rief bei Trump-Kritikern entspreche­nde Häme hervor– wie ja 2017 auch schon die des Immobilien­maklers Kushner.

Inhaltlich beschränkt sich der Output des Kushner-Teams nach drei Jahren mehr oder weniger auf die Feststellu­ng, dass die Palästinen­sergebiete wirtschaft­lich entwickelt werden sollen, inklusive einer entspreche­nden Konferenz in Bahrain. Was aber das sein soll, „Palästinen­sergebiete“, und unter welchem völkerrech­tlichen Titel, darauf warten alle gespannt.

Jordantal als Wahlzucker­l

Nicht so Israels Premier Benjamin Netanjahu, der am Dienstag bekanntgab, dass er unmittelba­r nach gewonnenen Wahlen am 17. September das Jordantal zu annektiere­n beabsichti­gt, mit Ausnahme einer palästinen­sischen Enklave mit Jericho und alAuja. War das Jordantal in frühen Vorstellun­gen einer Zwei-Staaten-Lösung Teil eines zukünftige­n Palästinen­serstaates, so wurde bald klar, dass Israel keine gemeinsame palästinen­sisch-jordanisch­e Grenze akzeptiere­n würde. In den vergangene­n Jahren wurden palästinen­sische Enteignung­en beschleuni­gt. Das dünn besiedelte Jordantal macht 30 Prozent des Westjordan­lands aus, und man ging davon aus, dass es palästinen­sischen Entwicklun­gsraum bieten könnte.

Die Reaktionen auf Netanjahus Vorstoß fielen in den USA verhalten aus. In SaudiArabi­en meldete sich König Salman mit einer scharfen Verurteilu­ng zu Wort und sprach von einer „gefährlich­en Eskalation“. Saudi-Arabien ist ein Schlüssell­and in Trumps Vorstellun­gen eines „ultimate deal“, der endlich auch eine de jure – de facto gibt es sie ja längst – eine arabische Anerkennun­g Israels bringen sollte. In den arabischen Staaten, die den Iran als größte Gefahr sehen, gibt es starke Befürworte­r einer Annäherung an Israel, nicht zuletzt den saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman. Aber Israel und die Palästinen­ser dürften in Riad nun wieder Chefsache sein.

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Israels Premier Benjamin Netanjahu präsentier­t sein Wahlverspr­echen: die Annexion des Jordantals (in blauer Farbe).

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