Lob für kalte Progression
Oft versprochen, nie umgesetzt: Das Ende der schleichenden Steuererhöhungen, der kalten Progression, ist wieder Wahlkampfthema. Wifo-Chef Christoph Badelt sieht eine Abschaffung kritisch. Er ortet im Steuersystem ganz andere Baustellen.
Warum Wifo-Chef Christoph Badelt eine Abschaffung der schleichenden Steuererhöhungen kritisch sieht.
Bei Arbeitnehmern ist sie unbeliebt, und für kurze Zeit sah es so aus, als würde die kalte Progression endgültig abgeschafft werden. ÖVP und FPÖ hatten im Wahlkampf 2017 das Ende der schleichenden Steuererhöhungen zu einem der zentralen Punkte in ihren wirtschaftspolitischen Programmen gemacht. Im Koalitionsabkommen wurde das Vorhaben fixiert.
Doch dann wurde das Projekt aber wieder auf die lange Bank geschoben. Für die kommenden fünf Jahre war unter Türkis-Blau keine Umsetzung geplant. Am Projekt halten die Ex-Koalitionäre fest – langfristig eben. Im aktuellen Wahlkampf verspricht auch die SPÖ die Abschaffung der schleichenden Steuererhöhungen, und die Neos pochen sowieso darauf.
Und in der Tat: Auf den ersten
Blick spricht alles dafür, das System zu ändern. Wer mehr verdient, muss in Österreich höhere Lohnsteuern zahlen. Ein Teil des Lohnanstieges dient aber nur dazu, die Inflation auszugleichen. Die durchschnittliche Steuerbelastung steigt auch auf diesen Teil des Gehaltsanstiegs an. Dadurch verlieren Arbeitnehmer real an Kaufkraft. Ausgleichen ließe sich das, wenn die Tarifstufen im Steuersystem mit der Inflation laufend mitsteigen würden.
Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts, Christoph Badelt, hat sich in diese Debatte eingeschaltet. „Ich bin kein Freund der Abschaffung der kalten Progression“, sagte er in der Diskussionssendung „Der STANDARDMitreden“. Spannend ist seine Argumentation: Die laufenden Steuererhöhungen sichern dem Fiskus ein Körberlgeld. Jedes Jahr steigen die Staatseinnahmen. Badelt hält es für sinnvoller, wenn der Staat dieses Geld einnimmt und in periodischen Abständen dazu nützt, um politische Schwerpunkte zu setzen. Konkret sieht er in den kommenden Jahren einen gewaltigen Investitionsbedarf auf Österreich zukommen: für Klimaschutz, Bildung, Pflege.
Heikle Steuersenkungen
Angesichts dessen müsse Österreich „sehr vorsichtig sein, was die Reduktion von Abgaben betrifft“, so der Wifo-Chef. Zur Einordnung: Seit langem tobt eine Debatte über die Abgabenquote, also wie viel Steuern und Sozialversicherungsbeiträge der Staat im Vergleich zur Wirtschaftsleistung einhebt. 2018 lag die Abgabenquote in Österreich bei 42,3 Prozent, was im Vergleich der Industrieländer ein hoher Wert ist. ÖVP und FPÖ haben die Senkung der Quote zum Ziel erklärt.
Ökonom Badelt sagt, dass jede Regierung, die Abgaben senkt, erklären müsse, woher sie das notwendige Geld für künftige Investitionen nimmt. Er hält auch „ein Screening“aller bestehenden Staatsausgaben für notwendig, mit dem Ziel, Umschichtungen vorzunehmen. Österreich investiere zu wenig im Vergleich zu den laufenden Ausgaben für Pensionen, Verwaltung und Soziales. Welcher Teil der nötigen Mehrausgaben über Einsparungen, etwa in der Verwaltung, einbringlich wäre, ist die große Frage.
Badelt plädierte zudem für eine Umschichtung: Die Belastung des Faktors Arbeit müsse deutlich runter. Im Gegensatz dazu müssten vermögensbezogene Abgaben und Steuern auf CO2-Verbrauch hinauf. Eine CO2-Steuer allein sei zu wenig. Auch die Pendlerpauschale gehöre beispielsweise ökologisiert, so der Wifo-Chef. Die Pendlerpauschale ist steuerliche Begünstigung, die Arbeitnehmern zusteht, wenn sie einen weiten Weg zum Arbeitsplatz zurücklegen müssen. Ob dabei ein öffentliches Verkehrsmittel verwendet wird, macht keinen Unterschied. Badelt: Dort, wo Bahn oder Bus zumutbar sind, sollte ein Nachweis verlangt werden, dass der öffentliche Verkehr genutzt wird.