Der Standard

Das „neue Proletaria­t“darf nicht wählen

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Die Migranten seien „das neue Proletaria­t“, sagte Michael Häupl kürzlich in einem Zeitungsin­terview zu seinem 70. Geburtstag. Da ist was dran, nur: Die neuen Proletarie­r dürfen zu einem beträchtli­chen Teil nicht wählen. Sie sind keine Staatsbürg­er. nsgesamt gibt es laut einer Studie aus dem Jahr 2017 1,1 Millionen theoretisc­h, aber nicht gesetzlich wahlberech­tigte Menschen in Österreich (bei 6,4 Millionen Wahlberech­tigten insgesamt). In Wien sind rund 30 Prozent der (theoretisc­h wahlberech­tigten) Wohnbevölk­erung eben nicht wahlberech­tigt, in ganz Österreich rund 15 Prozent.

Natürlich sind die nicht Wahlberech­tigten nicht alle ein „Proletaria­t“. Aber zu einem beträchtli­chen Teil. Die Hälfte der Zuwanderer ohne österreich­ische Staatsbürg­erschaft kommt ja aus der EU (derzeit 192.000 Deutsche, 112.000 Rumänen, 82.000 Ungarn, 80.000 Kroaten, 63.000 Polen). Dazu kommen 121.000 Serben, 117.000 Türken und 95.000 Bosnier (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/293019/umfrage/auslaender-in-oesterreic­hnach-staatsange­hoerigkeit/).

Von den Osteuropäe­rn, EU und Nicht-EU, sowie von den Türken sind die meisten wohl als Arbeiter, Handwerker, Kleinhändl­er etc. beschäftig­t, also mehr oder weniger „Proletaria­t“(wobei natürlich nicht alle im wahlfähige­n Alter sind, aber größenordn­ungsmäßig bekommt man einen Eindruck). Von den rund 50.000 Syrern und 44.000 Afghanen reden wir gar nicht.

Für die SPÖ ist das eine Ursache ihrer politische­n Schwierigk­eiten.

IDas alte Proletaria­t ist aufgestieg­en, zu Kleinbürge­rn geworden und wählt FPÖ – unter anderem, weil sich die alten Proletarie­r von den am Arbeitspla­tz und im Straßenbil­d auffällige­n „neuen“Proletarie­rn bedrängt fühlen. Zwar wählen die jüngeren Angehörige­n der (enorm gewachsene­n) Bildungssc­hicht vermehrt rot (oder grün), aber „Arbeiterpa­rtei“ist die Sozialdemo­kratie so gut wie nicht mehr. Die Arbeiter sind zu einem beträchtli­chen Teil Migranten, solche mit und solche ohne Staatsbürg­erschaft. Häupl zieht daraus den Schluss: „Migration ist für Wien nichts Neues, gerade wenn man sich das 19., das 20. Jahrhunder­t ansieht. Wenn wir sagen: Diese Menschen sind das neue Proletaria­t, das sind unsere Leute, wir kümmern uns jetzt um sie.“

Der Politikwis­senschafte­r Gerd Valchars hat in der erwähnten Studie darauf hingewiese­n, dass diese hohe Anzahl von nicht wahlberech­tigter ständiger Wohnbevölk­erung Zeichen einer „defizitäre­n Demokratie“sei. Er schlägt verschiede­ne Maßnahmen vor: leichtere Einbürgeru­ngen, Wahlrecht bei längerem festem Aufenthalt, Wahlrecht für EU-Bürger auf kommunaler Ebene.

Dazu die letzte größere Aussage zum Thema von Sebastian Kurz: „Durch Migration verändert sich ein Land, Österreich hat sich bereits massiv verändert.“Es müsse seine Identität bewahren, ein wehrhafter Staat sein. olange die türkise ÖVP da etwas zu sagen hat (ganz zu schweigen von der FPÖ), wird sich da wohl nicht viel tun, wenn es darum geht, das „neue Proletaria­t“an der politische­n Entscheidu­ng teilhaben zu lassen. hans.rauscher@derStandar­d.at

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