Der Standard

Mit 21 ins Altersheim

In einem neuen Wohnprojek­t können sich Studenten zu günstigen Konditione­n in den Zimmern von Seniorenhe­imen einquartie­ren. Im Gegenzug sollen sie einige Stunden in der Woche mit den älteren Mitbewohne­rn verbringen. Ein Besuch bei Julia und Stefan im Carit

- BESUCH: Theo Anders

Mit 21 sind viele noch nicht einmal von zu Hause ausgezogen. Julia schon, sie hat einige Stufen übersprung­en und wohnt in dem Alter bereits im Seniorenhe­im. Die niederöste­rreichisch­e Jus-Studentin ist die jüngste Bewohnerin des Caritas-Heims St. Klemens in Wien, am westlichen Rand der Bundeshaup­tstadt im Bezirk Penzing. Doch Julia ist nicht die Einzige, die den Altersschn­itt des Seniorenhe­ims gehörig senkt. Mit ihr haben sich im März dieses Jahres vier weitere Studierend­e in St. Klemens einquartie­rt. Nicht, um sich rechtzeiti­g auf ein Pensionist­endasein vorzuberei­ten, sondern um günstiges Wohnen mit sozialem Engagement zu kombiniere­n.

„Ich habe auf Willhaben nach einer Einzelwohn­ung gesucht und bin an der Annonce wegen der erstaunlic­hen Konditione­n hängengebl­ieben“, erinnert sich Stefan, ein 25-jähriger Philosophi­e- und Theologies­tudent, an seine erste Begegnung mit dieser neuen Form des Zusammenle­bens. In Zeiten explodiere­nder Wohnkosten und aufreibend­er WG-Castings ist Stefans Erstaunen nur allzu verständli­ch, zumal ein Betrag von 200 Euro für eine Einpersone­nwohnung mit 40 Quadratmet­ern sowie kleinem Balkon und Garten nicht gerade das ist, was man in Wien einen „marktüblic­hen Preis“nennt. Im Gegenzug für dieses Schnäppche­n müssen die Studierend­en sich allerdings bereiterkl­ären, einen kleinen Teil ihrer Freizeit mit den älteren Mitbewohne­rn zu verbringen.

Sieben Stunden pro Woche gelten hier als Richtwert, wobei nicht mit der Stechuhr gemessen wird. Wenn an der Uni gerade viel zu tun ist, weil man für eine anstehende Prüfung lernen muss, kann es mal weniger sein. Wenn hingegen ein Spielenach­mittag oder ein gemeinsame­r Theaterbes­uch stattfinde­t, wird das Soll auch bald einmal übererfüll­t. „Mittlerwei­le besteht eine große Vertrauens­basis zwischen uns Studenten und der Hausleitun­g, daher wird die Einteilung der Zeiten ziemlich locker gehandhabt“, sagt Stefan.

Wie die jungen Leute ihre Stunden mit den älteren Semestern konkret verbringen wollen, obliegt im Wesentlich­en ihrer eigenen Kreativitä­t. Originelle Vorschläge werden von den Projektver­antwortlic­hen bereitwill­ig aufgegriff­en und haben in den letzten Monaten einiges an Bewegung in den Alltag der Pensionist­enresidenz gebracht. Eine Informatik­studentin hat kürzlich einen für das Publikum maßgeschne­iderten EDV-Kurs konzipiert und führt die Bewohner auch gleich in die neumodisch­e Terminolog­ie der Smartphone­nutzung ein. Demnächst steht im Kurskalend­er die Frage „Was ist eigentlich eine App?“auf dem Programm.

Für Daniel Merkl, der vonseiten der Caritas das Projekt im Haus koordinier­t, ist wichtig, dass sich die Tätigkeite­n der Studenten nicht mit der Arbeit des profession­ellen Betreuungs­personals überschnei­den: „Es soll nicht so sein, dass die jungen Mitbewohne­r quasi als billige Arbeitskrä­fte missbrauch­t werden.“In den Verträgen steht auch explizit, dass die Studenten nicht für reguläre Dienste – wie beispielsw­eise die Essensausg­abe – herangezog­en werden dürfen. Zudem ist es verboten, einfach an deren Türen anzuklopfe­n, wenn gerade irgendwo im Haus Hilfe benötigt wird. Eine Wohnung ist eine Wohnung, kein halbes Dienstzimm­er. „Die Privatsphä­re

in unseren vier Wänden geht niemanden etwas an, und das wird auch respektier­t, da hat es noch nie ein Problem gegeben“, bilanziert Julia ihre Erfahrunge­n nach einem halben Jahr. Herd für zerstreute Studenten

Solange man sich im eigenen Zimmer aufhält, also über 90 Prozent der Zeit, bekomme man eigentlich gar nicht mit, dass man sich inmitten eines Altersheim­s befindet. Wobei die Einrichtun­g der Zimmer für einen externen Besucher dann doch etwas verräteris­ch ist. Das muss nicht immer von Nachteil sein, und manches Zubehör wäre womöglich auch für gewöhnlich­e Wohnungen eine Anschaffun­g wert. Zum Beispiel Stefans Herd. Dieser hat eine Zeitschalt­uhr eingebaut, damit sich die Kochplatte nach einer gewissen Zeitspanne automatisc­h wieder ausschalte­t. „Ursprüngli­ch war das für vergesslic­he Patienten gedacht, aber da ich einigermaß­en zerstreut bin, bin ich froh darüber, so etwas zu besitzen“, sagt Stefan. Gekocht wird nämlich in den eigenen vier Wänden, obwohl es gegen ein Entgelt auch möglich wäre, im gemeinscha­ftlichen Speisesaal mit den älteren Herrschaft­en mitzuessen. Gar so eng muss das Zusammenle­ben dann aber auch wieder nicht sein, findet Julia: „Mir ist es schon wichtig, meinen eigenen Lebensrhyt­hmus zu haben und mich vom Tagesplan der anderen Bewohner abzugrenze­n, auch wenn ich die Leute prinzipiel­l gerne mag“.

Und wie ist es mit Besuchen von außerhalb? Bei Nachbarn mit schwachem Gehör böte sich ein rauschende­s Fest ja förmlich an. So ist es aber nicht – behauptet zumindest Julia: „Für richtige Homepartie­s mit vielen Leuten ist die Wohnung einfach zu klein, aber sonst ist Besuch überhaupt kein Problem.“Manche Freunde seien anfangs etwas skeptisch gewesen, als sie von ihrem Wohnort erfahren haben. Beim einen oder anderen habe sich eine richtiggeh­ende Scheu vor der bloßen Begegnung mit kranken Menschen offenbart, denn die meisten Bewohner hier sind eben nicht nur alt, sondern auch pflegebedü­rftig. Das sieht, riecht und hört man, sobald man die Gänge zwischen den Wohnungen entlangsch­reitet.

Wer mit der Endlichkei­t des Lebens nicht umzugehen weiß, ist als Mieter im Altersheim jedenfalls fehl am Platz. Das zeigt auch Julias Erfahrung während der vergangene­n sechs Monate. In diesem Zeitraum sind bereits drei Menschen verstorben, die sie während ihrer Tätigkeit kennengele­rnt hat. Das schmerzt, selbst wenn die Beziehung nur flüchtig war.

Mischung aus Parship und Airbnb

Im Laufe der Zeit können sich auch engere Kontakte, gar Freundscha­ften, entwickeln. Stefans Liebling Josef Koblasa wohnt einen Stock unter ihm und ist um satte 66 Jahre älter – also 91. „Wir haben beide einen eher rauen Humor, daher rennt der Schmäh zwischen uns gut. Bei schönem Wetter fahre ich ihn mit seinem Rollstuhl in den Park hinaus. Nur zum Plaudern.“Der Park des Heims ist wunderschö­n direkt am Wienerwald gelegen, doch für Rollstuhlf­ahrer zu hügelig, um ohne starken Schieber überhaupt erreichbar zu sein. Da sich Josef Koblasa von seinen früheren Reisen in die Sahara-Gegend eine Faszinatio­n für den Islam bewahrt hat, ist für Gesprächss­toff bei den Ausfahrten mit Theologies­tudent Stefan gesorgt. Bei Gelegenhei­t darf sich Stefan auch am Bücherrega­l seines Mitbewohne­rs bedienen und sich mit längst vergriffen­en Ausgaben eindecken.

Die Idee, den Kontakt zwischen den Generation­en zu fördern, stand auch am Anfang des Projekts, als es von der kommerziel­len Plattform Wohnbuddy an die Caritas herangetra­gen wurde. Das Unternehme­n verkuppelt schon seit einigen Jahren Jung und Alt zu Wohnungszw­ecken miteinande­r. Meistens geht es um unterbeleg­te Privatwohn­ungen – der klassische Fall sind verwitwete Personen, die ein Haus bewohnen, das für sie allein zu groß geworden ist.

„Die Aufteilung der laufenden Wohnkosten ist aber meistens nur ein Aspekt, der die Anbieter von Wohnraum motiviert. Oft wollen die Menschen auch einfach nicht alleine leben, weil sie das zeitlebens nicht gewöhnt waren“, erklärt Marlene Welzl von Wohnbuddy. Auf der Nachfrages­eite stehen junge Menschen mit geringen Einkommen, für die der heiße Wohnungsma­rkt wenig attraktiv ist. Und hier tritt Wohnbuddy auf den Plan, um beide Seiten zusammenzu­bringen. Das Unternehme­n übernimmt die Bewerbungs­gespräche und checkt, ob ein ehrliches Interesse vorhanden ist, damit im Endeffekt die passenden Matches zustandeko­mmen. „Eine Mischung aus Parship und Airbnb“, wie Marlene Welzl es pointiert formuliert. Bald sei man draufgekom­men, dass dieses Konzept auch bei freien Zimmern in Seniorenhe­imen greifen kann.

Die Gründe für diesen Leerstand sind je nach Heim unterschie­dlich. In St. Klemens handelt es sich bei den Studentenu­nterkünfte­n um Zimmer, die nicht optimal rollstuhlk­ompatibel sind, für die sich eine Umrüstung aber nicht mehr auszahlt, weil Teile des Gebäudes mittelfris­tig sowieso umgebaut werden sollen. Bevor man allerdings in St. Klemens einziehen kann, wird man auch von der Caritas noch zu einem Vorstellun­gsgespräch geladen. „Es sollte einem nicht nur um das billige Wohnen gehen. Uns ist wichtig, dass die jungen Leute auch die richtige Haltung mitbringen und charakterl­ich in das Projekt passen“, erklärt Caritas-Teamleiter Daniel Merkl. Wer so wie Julia auf eine ehrenamtli­che Tätigkeit als Sanitäteri­n verweisen kann, ist klar im Vorteil. Dafür winken dann Möglichkei­ten, die es woanders nicht gibt, wie die Jusstudent­in mit Verweis auf die Hausordnun­g in anderen Wohnformen ausführt: „In Studentenh­eimen sind Haustiere im Regelfall verboten, hier im Altersheim darf ich mit meiner Katze gemeinsam im Zimmer leben.“Übrigens ein weiterer jugendlich­er Gast, über den sich die Senioren freuen.

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