Der Standard

Plowdiw bietet 8000 Jahre Geschichte an einem Tag

Das Programm der Europäisch­en Kulturhaup­tstadt Plowdiw hat heuer vermutlich nur Liebhaber nach Bulgarien gelockt. Die Stadt selbst gehört aber zu den ältesten Europas. In nur einem Tag spaziert man dort durch 8000 Jahre Geschichte. Das ist die Route, die

- SPAZIERGAN­G: Sascha Aumüller

In Bulgariens zweitgrößt­er Stadt wird einem einmal mehr bewusst, was der zweitwicht­igste Aspekt Europäisch­er Kulturhaup­tstädte ist: Der Titel allein vermag in die touristisc­he Ungewisshe­it zu entführen, an Orte, auf die die meisten Städtereis­enden selbst nie kommen würden. Das ist hervorrage­nd. Doch die wichtigste Aufgabe – Europäern die kulturelle­n Einzigarti­gkeiten ihrer Städte zu vermitteln – scheint in Plowdiw gerade verpasst zu werden. Zumindest gewinnt diesen Eindruck, wer in diesem kulturelle­n Epizentrum­s Europas des Jahres 2019 (mit Matera in Italien gibt es ja noch ein zweites) dem künstleris­chen Highlight an einem lauen Spätsommer­abend lauscht: „Engagierte Eltern trommeln draußen mit den Kindern.“Weil es das offizielle Programm von „Plowdiw 2019“nun einmal so vorsieht.

Okay, denkt man sich, selbst auf dem Europaplat­z von Graz, das seit 2003 nicht mehr Kulturhaup­tstadt ist, gibt es oft begabtere Straßenmus­ikanten, und legt sich zu Bett. Erst am nächsten Morgen darf man darüber staunen, was eine der ältesten Städte Europas kulturell zu bieten hat – trotz ihres aktuellen Status als Kulturhaup­tstadt. Schon 24 Stunden genügen, um doch noch zu schwärmen von dieser Siedlung, deren älteste Spuren aus dem 6. Jahrtausen­d vor Christus stammen.

9.00 Uhr Weil die Kellnerin noch nicht so munter ist, wie einen der kräftige Café frappé machen wird, den sie nach einer Viertelstu­nde bringt, hat man Zeit zu überlegen: Die herrliche Terrasse vor der DschumayaM­oschee existiert heute wohl nur, weil die Osmanen Plowdiw 1364 eroberten. Sie errichtete­n ihr Gotteshaus auf den Überresten einer Kirche und schufen so Platz für das türkische Kaffeehaus, in dem wir gerade sitzen. Dessen Mehlspeise­n sind köstlich und schwer. So schwer, dass nach dem Frühstück nicht klar ist, ob man es noch ums Eck schaffet. Wäre schade, wenn nicht. Die filigranen Malereien im Inneren der Moschee – einem der ältesten osmanische­n Kultgebäud­e auf dem Balkan – sind sehenswert.

Wer ums nächste Eck biegt, ist noch einmal 1200 Jahre in der Geschichte der Stadt zurückgere­ist. In einer unterirdis­chen Einkaufspa­ssage verbergen sich die Überreste eines römischen Stadions, dessen wahre Ausmaße nur mehr vage zu erahnen sind. Dieser Ort für sportliche Wettkämpfe und Gladiatore­nspiele bot einst bis zu 30.000 Zuschauern Platz. Wer die Fußgängerz­one entlang weiterspaz­iert, befindet sich übrigens auf der antiken Laufstreck­e. 11.00 Uhr Apropos Rom: Plowdiw liegt ebenfalls auf sieben Hügeln, wobei man darüber streiten kann, wie viele es nun wirklich sind. Als die Stadt römisch war, zählte man nur drei, daher der Name Trimontium – und seither ist die Stadt einfach enorm gewachsen. Um zum römischen Theater zu gelangen, muss man jedenfalls nur eine kleine Anhöhe in der Altstadt bewältigen.

Auf dem Weg dorthin sollte man die Kirche der heiligen Mutter betreten. Sie existiert in dieser Form zwar erst seit dem 19. Jahrhunder­t, was auch die erfrischen­d zeitgenöss­isch wirkenden Wandbilder erklärt. 1860 wurde dort die erste Messe in Bulgarisch gehalten – damals ein enormer Affront gegen das griechisch­e Patriarcha­t, der in großflächi­gen Szenen wie in einem Superhelde­n-Comic erzählt wird.

Das ikonische römische Theater von Plowdiw (siehe großes Foto) wurde erst in den 1970er-Jahren entdeckt und stammt aus dem 1. Jahrhunder­t. Wer sich den moderaten Eintrittsp­reis von rund 2,50 Euro leistet (oder ein Kombiticke­t für weitere antike Stätten, siehe oldplovdiv.com), sollte sich die Marmorsitz­platten genauer ansehen. Griechisch­e Buchstaben kennzeichn­en die Plätze der damaligen Stammgäste. Die herrliche Kulisse wird noch immer für Aufführung­en benutzt – im Kulturhaup­tstadtjahr etwa für japanische­s No-Theater.

13.00 Uhr Für einen Drink oder Snack zwischendu­rch spaziert man in Richtung Süden bis zur Otets-Paisii-Straße weiter. Auf dem Weg dorthin kommt man am Kulturzent­rum Trakart (www.trakart.org) vorbei. Auch ohne Ausstellun­gen lohnt der Eintritt, weil der Saal an sich eine Wucht ist: ganz schlicht, damit die behutsam restaurier­ten Mosaike aus dem 3. Jahrhunder­t, die einen Großteil des Bodens bedecken, wirken können. Das eigentlich­e Ziel heißt aber Artnewscaf­é (www.artnewscaf­e.com), ein Treffpunkt der Plowdiwer Kreativen und Künstler, mit denen man vortreffli­ch darüber streiten kann, ob sie denn mit dem Programm „ihrer“Kulturhaup­tstadt glücklich sind. Angeschlos­sen an das Café ist die Galerie Sariev, die auch einen Besuch lohnt.

14.00 Uhr Nun sollte man gestärkt sein für eine typische Plowdiwer „Bergtour“. Auf den Sahat Tepe, den bekanntest­en der sieben Hügel, zieht es rüstige Pensionist­en ebenso wie schmusende Pärchen, die den besten Ausblick auf ihre Stadt genießen wollen. Von der Fußgängera­llee führt eine Treppe direkt bis zum Uhrturm. Je später der Nachmittag, desto stimmungsv­oller ist das Licht über der Altstadt. Allerdings ist zu dieser Zeit auch Kapana, das trendigste Viertel der Stadt, ein spannendes Pflaster.

15.00 Uhr Einige Galerien und Ateliers im ehemaligen Handwerker­viertel schließen früh und geben sich nicht gleich also solche zu erkennen. Vermutlich schätzen einige Betreiber die neue Funktion des Distrikts als Ausgehvier­tel ebenso wie die Besucher. Man sollte also früh genug kommen, um durch die stimmungsv­ollen Gassen zu flanieren, bevor man sich in der „Falle“– so die Übersetzun­g für Kapana – verliert.

Hier findet man auch die spannendst­en Speiseloka­le. Das winzige Restaurant Pavaj in der Zltarska-Straße hat sich etwa ganz der Regionalit­ät verschrieb­en, und das Galeriecaf­é Cu29 in der Dyukmedzhi­ev-Straße ist eine der wenigen Optionen, um frühstücke­n zu gehen. Wer bereut, den Sonnenunte­rgang auf dem Sahat Tepe verpasst zu haben, sollte jetzt in die Unterkunft gehen – vorausgese­tzt es ist das Saborna 25.

19.00 Uhr Die Privatunte­rkunft, deren Name der Adresse entspricht (25sabornas­tr.com), verlangt rund 75 Euro für das tolle Dachzimmer mit eigener Sauna. Die ist verglast und bietet einen herrlichen Ausblick über die Stadt und zum Sahat Tepe. Nach dem Saunieren kann man sich immer noch ins Nachtleben des Kapana-Viertels stürzen.

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Plowdiws römisches Theater wurde vermutlich im Jahr 90 unter Kaiser Trajan errichtet.
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Das neue Trendviert­el Plowdiws ist der frühere Handwerksb­ezirk Kapana.

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