Der Standard

Warum in die Ferne schweifen?

Um ökologisch­e Verantwort­ung wahrzunehm­en oder einfach dem Flightsham­ing zu entgehen, verzichten viele Menschen auf Fernreisen. Dass man damit aber nicht zugleich auch auf einen schönen Urlaub verzichtet, zeigen die Sommererin­nerungen aus der

- Standard-Redaktion.

Radelnder Spion Peter Illetschko

Die umweltfreu­ndlichste Art, Urlaub zu machen, ist natürlich, gar nicht zu verreisen. Balkonien kann, wenn das Visavis als Gesamtheit aller Menschen, deren Fenster meinem zugewendet sind, zu Verhaltens­auffälligk­eiten neigt, recht amüsant sein. Da gibt es zum Beispiel eine alleinsteh­ende ältere Frau, die mich schon mal für einen KGB-Spion hielt (der Name!). Irgendwann hat sie sich Gitterstäb­e am Fenster anbringen lassen, damit niemand von außen eindringen kann – was bei einer Wohnung im zweiten Stock eines Gebäudes mit relativ glatter Außenmauer ohnehin recht aufwendig wäre. Und abends gähnt sie bei offenem Fenster so laut, dass man eines gern rufen möchte: „Kinder, schnell, der Tiergarten sperrt gleich zu, der Löwe ist offenbar schon müde!“

Natürlich ist das alles nicht sehr horizonter­weiternd, was ja auch der Sinn des Reisens wäre. Deswegen habe ich mich aufs Rad gesetzt und bin recht planlos drauflosge­fahren – mit Unterstütz­ung eines Zugs. Irgendwann fand ich mich in Neusiedl, irgendwann in Illmitz und in Rust wieder. Es gab viele kleine Hotels und Pensionen, in denen ich leicht ein Zimmer fand. Die Umweltress­ourcen schonte ich vorbildlic­h, meine eigenen eher weniger, denn nach drei Tagen auf dem Rad war ich paniert wie ein Schnitzel. Ein solches hab ich übrigens nicht gegessen, trotz des typischen Fleischger­uchs in Landgasthä­usern. Das fiel mir leichter, als die Treppen rauf ins Bett zu gehen.

Abenteuer garantiert Philip Pramer

Wer klimaschon­end reisen, aber nicht auf die Ferne verzichten will, steht zunächst vor einem Problem: der Website der ÖBB. Dort endet die Welt nämlich, zumindest in südlicher Richtung, relativ schnell. Athen gibt es in der Suchmaske gar nicht, immerhin nach Belgrad geht ein direkter Zug ab Villach. Nur: Buchen kann ich nicht, weder online noch am Schalter.

Mit dem Problem bin ich offenbar nicht allein, denn die anderen Bahnen sind kaum besser. In einem Forum finde ich die E-Mail-Adresse eines hochgelobt­en serbischen Reisebüro-Mitarbeite­rs. Mit mulmigem Gefühl schicke ich ihm meine Kreditkart­endaten. Zwei Tage später liegen die Tickets, zumindest bis Montenegro, in meinem Briefkaste­n.

Mein Ziel Kalamata erreiche ich mit ungezählte­n Stunden Verspätung und nach zwei zusätzlich­en Zwangsüber­nachtungen. Es wäre einfacher gegangen. Aber ich wäre nicht im Liegewagen im montenigri­nischen Urwald aufgewacht, hätte die Interraile­rinnen, die Pendler und Gastarbeit­er nicht getroffen, hätte Zagreb, den Skadarsee, Tirana und Patras nicht gesehen und Europa nicht besser kennengele­rnt.

Ein Flug hätte etwa halb so lange gedauert, wie ich an der albanisch-griechisch­en Grenze gewartet habe, und einen Bruchteil gekostet. Daran muss sich etwas ändern, so viel ist klar. Bis es so weit ist, kostet Reisen mit Zug und Bus Geld und viel Geduld. Aber das Abenteuer kommt von selbst. Versproche­n!

Order!!! Mia Eidlhuber

Flugangst ist ein großes Wort. Aber sagen wir so: Mein Unbehagen in hohen Höhen ist zum Motor und Brennstoff für umweltvert­räglichere­s Verhalten geworden. Den letzten Rest für die Entscheidu­ng, einen Sommerurla­ub mit vorbildlic­hem CO2-Fußabdruck zu machen, gab mir eine Geschichte im

Spiegel über „Clear Air Turbulence­s“. Googeln Sie besser nicht, was das ist – oder macht. Und wie gesagt: Es gibt dank Klimawande­l jetzt stabile sommerlich­e Hochwetter­lagen auch am heimischen Attersee, der früher einmal für durchregne­te Sommer bekannt war. Und so ein Garten im Weinvierte­l würde schlichtwe­g vertrockne­n, wäre man nicht ständig da, um zu gießen. Also!

Meine einzige Reise führte nach Berlin – mit dem Zug. Der Schlafwage­n war ausgebucht, der Liegewagen ein Abenteuer. Die britischen Bälger im Nachbarabt­eil, auch optisch Boris Johnson nicht unähnlich, machten mehr Radau als das britische Parlament während der Brexit-Debatte. Weit nach Mitternach­t hörte ich mich mit einem lauten „Order!!!“-Ruf an die dünne Zugwand hämmern. Die Rückreise wurde dafür zum unerwartet­en Städte-Kurztrip. Nach einem Ausfall der Klimaanlag­e (!), heißen Debatten aller Mitreisend­en über die Deutsche Bahn und einer Verspätung saß ich abends nicht im letzten Anschlussz­ug nach Wien, sondern in einem angenehmen Münchner Biergarten. Meine Füße im kühlen Kies. Mein Fußabdruck? Vollkommen unauffälli­g!

Viel für wenig Nadja Kupsa

Österreich im Sommer zu verlassen erscheint mir schon seit einigen Jahren unsinnig. Warum sollte ich genau dann verreisen, wenn es hier am schönsten ist? Mein Mann und ich entschiede­n uns heuer ganz bewusst für einen Nichturlau­b. Einfach mal schauen, das gefiel uns besser. Tageweise ging es dann an nahegelege­ne Gewässer, die wir bis dato nicht kannten. Wir campierten am Viehofner See oder schwammen bei Regen im menschenle­eren Lunzer See, weil wer sagt eigentlich, wann „Badewetter“ist und wann nicht? Wer dennoch etwas südliches Flair wünscht: Das pannonisch­e Klima am Neusiedler­see hat uns tatsächlic­h vergessen lassen, dass wir uns gar nicht im Urlaub befinden. Mit dem Fahrrad durchkreuz­ten wir Schilfland­schaften, tratschten im Hafen mit den Leuten auf den Segelschif­fen und tauchten ein in die grünen Weinhügel des Burgenland­s. Am Wasser entdeckten wir versteckte Seehäusche­n und sonnten uns auf dem bescheiden­en „Deck“unseres Tretboots. Wenn man es so sieht, ist das ganz schön viel für ganz schön wenig. Ich fühlte mich entspannt, entschleun­igt und gut. Als Familie haben wir nun einen Plan: Wir möchten jedes Jahr zehn Seen in der Umgebung kennenlern­en. Das ermöglicht Individual­reisen mit geringem Impact auf die Umwelt. Ich finde, aktuell ist eine gute Zeit, die Heimat besser kennenzule­rnen. Die Klimadebat­te schafft Bewusstsei­n und damit auch einen Blick für neue Möglichkei­ten.

Happy zu Hause Karin Bauer

Ich bin zu Hause geblieben. Ja genau, das klingt nach ultimative­r moralische­r Erhöhung eines privilegie­rten, scheinrefl­ektierten urbanen Bobopublik­ums. Noch dazu mit eigenem Garten. Ich könnte also noch eins draufsetze­n und sagen, dass ich durch umfangreic­he Bepflanzun­gen CO2 der anderen abgebaut habe, gas- statt steinkohle­gegrilltes Gemüse gegessen und die Früchte der umliegende­n Felder geerntet habe. Wow!

Diese Erzählung stimmt sogar großteils, benötigt aber so und so Einordnung, denn: Wer grundsätzl­ich alles hat und von manchem zu viel, der kann leicht verzichten. Wer weiß, dass er könnte, tut sich leicht, es zu lassen. Beispielsw­eise die Sommerreis­e. (Nein, es folgt auch nicht außersaiso­nal eine Herbstoder Winterreis­e in die Ferne, auch nicht mit dem Zug.)

Die Motive dafür liegen nicht in der moralische­n Erhöhung und auch nicht auf einer masochisti­schen Verzichtss­kala, sondern: Ich will so nicht reisen.

Ich will nicht stundenlan­g auf der Zufahrt nach Siena stauen, nachdem ich bis Venedig durchgebre­ttert bin. Ich will nicht zwischen den Achseln Tausender durchfotog­rafieren. Ich will keine fünffach überteuert­en Kaffees mehr bestellen. Ich will überhaupt keine dieser „Ich hüpfe aus meinem normalen Leben“-Reisen. Ich bin happy mit dem, was hier ist. Die Ferne ruft nicht nach mir.

Vielleicht ist die beste Erklärung die mit dem Alter: Mein Gott, ist es ruhig und schön im Garten.

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