Der Standard

Wider den Wegwerfsch­irm

Ein Start-up will die Japaner dazu erziehen, ihren Regenschir­m mehr als einmal zu benutzen

- Martin Fritz aus Tokio

Wenn es in Japan unerwartet regnet, laufen viele Passanten in einen der allgegenwä­rtigen Minisuperm­ärkte und kaufen sich für vier Euro einen Schirm. Scarlett Johansson machte diese Billigware aus durchsicht­igem Plastik und mit weißem Haltegriff durch ihren Auftritt in Lost in Translatio­n weltweit bekannt.

Was der Film nicht zeigt: Die meisten Schirme halten nur ein paar Stunden und enden danach im Mistkübel. Die Verschwend­ung ist dramatisch: 130 Millionen Schirme kaufen die Japaner jährlich, 80 Millionen davon sind Billigschi­rme. Japan ist der weltweit zweitgrößt­e Plastikver­braucher.

Dagegen geht das Start-up Nature Innovation Group nun mit dem Sharingdie­nst iKasa vor – Kasa bedeutet Schirm auf Japanisch. Nach dem Muster von Fahrrädern und E-Scootern lassen sich nun auch Regenschir­me teilen. Die bisher 44.000 Nutzer können auf 5000 Schirme an 350 Standorten wie U-Bahnhöfen und Kinos in Tokio und Fukuoka zugreifen. Per Messenger erhalten sie die Kombinatio­n für ein Zahlenschl­oss, dann lässt sich der Schirm öffnen. Die Leihgebühr beträgt 60 Cent am Tag, für eine Monatspaus­chale von 3,60 Euro darf man so viele Schirme mieten, wie man will.

Der Auftakt verlief vielverspr­echend: Im Juni sammelte das Start-up 250.000 Euro frisches Kapital ein. Zu den Investoren gehört Japans größte Eisenbahng­esellschaf­t JR East – täglich landen zahllose in Zügen vergessene Schirme in ihren Fundbüros, aber nur ein Prozent davon wird abgeholt. Auch die Minisuperm­arktkette Lawson unterstütz­t iKasa und stellt den eigenen Verkauf von Wegwerfsch­irmen infrage.

Benutzer werden bewertet

Für die meisten Japaner ist der Schirm aber noch ein Einwegprod­ukt, daher setzt der Service auf Erziehung. Beim Anmieten muss man angeben, in welchem Zustand sich der Schirm befindet, und den vorigen User dafür bewerten. Mehrere negative Kommentare lösen eine Sperre aus.

Dennoch weckt das Geschäftsm­odell auch Zweifel. Vor zwei Jahren erlebte China einen Boom beim Teilen von Alltagswar­en wie Regenschir­men, aber die meisten Unternehme­n gingen inzwischen pleite. Auch iKasa arbeitet nicht profitabel. Die Schirme sollen zwei bis drei Jahre halten und kosten daher in der Herstellun­g über 50-mal so viel wie ein Wegwerfsch­irm. Die Leihgebühr deckt nur die laufenden Kosten. Daher vermietet iKasa die Schirme nun als Werbefläch­e.

Und da gibt es noch eine andere, soziale Hürde für dieses Geschäft: Die meisten Japaner betrachten Regenschir­me als Allgemeing­ut. Man findet wenig dabei, sich bei einem Regenschau­er aus einem Ständer den nächsten Schirm zu greifen. Die Nutzer von iKasa sollten also auf ihre attraktive Leihware gut aufpassen.

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Foto: AFP / Charly Triballeau Viel Wind und Regen halten die billigen Schirme nicht stand.

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