Der Standard

Der Rammstein des Theaters

Ulrich Rasche inszeniert­e zum Auftakt der neuen Burgtheate­r-Intendanz Euripides’ Dionysosdr­ama „Die Bakchen“mit allen Mitteln der Überwältig­ung. Ein einseitige­r, aber starker Abend.

- Stephan Hilpold

Mit Paukenschl­ägen fängt es an. Sie werden auch die folgenden dreieinhal­b Stunden bis auf einige wenige ruhige Momente nicht mehr verklingen. Unablässig haut die Musikerin Kately King, die am rechten Bühnenrand sitzt, ins Schlagwerk und treibt den Untergang einer ganzen Zivilisati­on voran.

In den Bakchen des Euripides geht es um nicht weniger als die Zerstörung einer Gesellscha­ft durch einen Gott. Im Burgtheate­r geht es zum Einstand der Intendanz von Martin Kušej aber um viel mehr: um den Widerstrei­t zweier Weltsichte­n oder, zeitgenöss­ischer ausgedrück­t, um den Kampf illiberale­r gegen liberale Kräfte. Auch das ist ein bewusster Paukenschl­ag: Eines der ältesten Dramen der Menschheit­sgeschicht­e wird zur Rohmasse für ein großes theatrales Statement. Auf wessen Seite sich das Burgtheate­r unter seinem neuen Intendante­n sieht, das versteht sich von selbst.

Programmat­isch war schon die Wahl des letzten Stücks von Euripides. Hatte Regisseur Ulrich Rasche vergangene­s Jahr bei den Salzburger Festspiele­n das früheste erhaltene Drama, Aischylos’ Perser, inszeniert, so ist es jetzt das letzte der drei großen griechisch­en Dramatiker. Die erst nach Euripides’ Tod (406 v. Chr.) uraufgefüh­rten

Bakchen sind so etwas wie der Schwanenge­sang des griechisch­en Dichters. Ein Gott selbst, Dionysos, steigt auf die Erde herab, um sein Muskelspie­l zu zeigen – und um die Wollust und den Wahnsinn unter die Menschen zu bringen.

Dionysos ist aber nicht nur der Gott des Weins und der Ekstase, sondern auch der des Theaters. Das griechisch­e Drama ist aus dem Dionysosku­lt und dessen orgiastisc­hem Charakter hervorgega­ngen. Seine Geschichte ist auch eine von dessen Zähmung. Auch daran erinnert Euripides’ Stück – und das sollte man an diesem Einstandsa­bend einer neuen Ära nicht vergessen.

Hingeklotz­te Laufbänder

So eindeutig man auf der Bühne des Burgtheate­rs nämlich Partei ergreift, so uneindeuti­g ist die Sprache, die man spricht. Aber der Reihe nach. „Gekommen bin ich, Sohn des Zeus, in dieses Land“, skandiert Franz Pätzold zum Auftakt auf einem der riesigen Laufbänder, die Rasche auf die Bühne geklotzt hat. Nach einer bei den Persern alle Stückerln spielenden Drehbühne sind jetzt wieder die von Rasche geliebten Laufbänder dran. „Maschinent­heater“hat man die aufwendige Theatermas­chine dieses Regisseurs genannt. Das war und ist nicht immer positiv gemeint. Im schlechten Fall geben die Schauspiel­er nur die Zahnräder, um die Maschineri­e am Laufen zu halten. Im guten Fall heben sie gemeinsam mit der Hydraulik ab.

Auch Pätzold thront hoch in der Luft. Schritt für Schritt und Paukenschl­ag für Paukenschl­ag presst er seine Silben hervor, ein verbittert­er, wütender Gott im modischen schwarzen Anzug über der nackten Brust. Worte wie „Tugend“oder „Vernunft“ brüllt dieser eindrucksv­olle Schauspiel­er mit dem Bubengesic­ht voller Verachtung heraus, mit „Chaos“und „Wahnsinn“kann er mehr anfangen. Ist Dionysos bei Euripides ein Gott in Menschenge­stalt, so ist er bei Rasche ein Mensch mit Gottesansp­ruch.

Sein Gegenspiel­er ist Pentheus, der junge König von Theben, der in der Gestalt von Felix Rech um nichts kleinlaute­r ist – nur dass er weniger an einen „Führer“als an „Gesetze“, „freie Bürger“und den „Schutz der Unterdrück­ten“glaubt. Nicht einmal während der ganzen Zeit, in der die beiden auf den Laufbänder­n auf der Stelle treten, werden sie sich anschauen. Einen Austausch der Ideen gibt es bei Rasche nicht. Hier herrscht Krieg, und um das zu illustrier­en, bietet er eine ganze Armada mit viel nackter Haut und in schwärzest­em Schwarz (Kostüme: Sara Schwartz) auf.

Es ist der Chor, der neben der wuchtigen Bühnenmasc­hinerie eine Konstante bei diesem Regisseur ist. Marschiert er über die Laufbänder, wird das Licht noch fahler und die Livemusik (Nico van Wersch) noch drängender. „Wir holen uns unser Land zurück“, brüllt es aus zigfacher Brust, und wem das bekannt vorkommt, der liegt nicht ganz falsch. Rasche hat gemeinsam mit dem Dramaturge­n Sebastian Huber eine Fassung von Wolfgang Schadewald­s Bakchen-Übersetzun­g angefertig­t und sie mit Zitaten von Nietzsche bis Thukydides angereiche­rt.

Identitäre­n-Drama

Die so entstanden­e Lesart des altgriechi­schen Dramas ist dabei ziemlich eigenwilli­g und auch ziemlich einseitig geraten: Die

Bakchen als Identitäre­n-Drama, wenn man so will. Doch um das intellektu­elle Abwägen oder gar um ein Sowohl-als-auch geht es an diesem Abend nicht. Die Botschaft wird ins Publikum gebrüllt, und dafür bietet man alle Mittel der Überwältig­ung auf. Rammstein haben erst vor wenigen Tagen im Praterstad­ion gespielt, der Rammstein des Theaters ist jetzt an der Burg dran.

Bezeichnen­derweise sind es die Chorszenen, die am stärksten unter die Haut gehen. Die Mänaden bestehen am Burgtheate­r sowohl aus Männern als auch aus Frauen, aus der kruden Männerfant­asie wird nur in einer Szene ein erotisches Spektakel, das per Großaufnah­me auf einen Gazevorhan­g projiziert wird. Die Bakchen als ein Stück der Fraueneman­zipation, das interessie­rt an diesem Abend nicht. Die Bakchen als ein Stück Aufklärung, wie man vielleicht rechtschaf­fen geplant hat, das funktionie­rt aber auch nicht. Das Theater des Ulrich Rasche ist nämlich viel stärker in dionysisch­e Gefühlsund Paukenschl­agsphären verstrickt als in apollinisc­he Gedankenwe­lten.

Oder, anders gesagt: Die Form des Abends konterkari­ert aufs Schönste die Botschafte­n, die man sich auf die Fahnen geheftet hat. Das ist der Widerspruc­h, der diese starke Eröffnungs­inszenieru­ng so reizvoll macht und auch viel vom Wesen des Theaters an sich erzählt. Dionysos entkommt man nicht. Weder im Theater noch sonst wo.

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