Der Standard

Zeigen, klopfen, Zunge raus

Die Spitzenkan­didatinnen und -kandidaten verbringen den Wahlkampf gefühlt zur Hälfte in TV-Studios. Miteinande­r. Gegeneinan­der. Rede. Widerrede. Angriff. Konter. Wortschlac­hten. Der Körper ist dabei ein stiller, aber machtvolle­r Mitredner. Nicht immer int

- BEOBACHTER­IN: Lisa Nimmervoll Stefan Verra analysiert die Kandidaten in der Puls-24-Wahlarena auf: derStandar­d.at/Video

Wahlkampf ist die Zeit der vielen Worte. Ein wichtiger, oft unterschät­zter Botschafte­r ist dabei der Körper. Mitunter erzählt er eine ganz eigene Geschichte. Dadurch entsteht Irritation im Publikum. Etwas ist nicht stimmig. Was? Stefan Verra kann die körperspra­chlichen Codes dechiffrie­ren. Er ist Experte für Körperspra­che und hat für den STANDARD die sechs Spitzenkan­didatinnen und -kandidaten in der Puls-24-Wahlarena analysiert.

Wie macht er das? Ohne küchenpsyc­hologische Überinterp­retation von Einzelsign­alen: „Kleine Bewegungen sind in den alleraller­meisten Fällen nahezu irrelevant.“Viel wichtiger sei die „Grundtende­nz“, und die lasse sich anhand neurologis­cher und muskulärer Vorgänge besser beschreibe­n.

Verra beginnt mit den beiden, die er – körperspra­chlich – am besten beurteilt:

Zunge raus: Beate Meinl-Reisinger Die NeosChefin sei „mit Peter Pilz körperspra­chlich jene, die Emotionen am klarsten kanalisier­en kann. Sie zeigt unglaublic­h viel Kraft“, sagt Verra. „Sie knallt ihre Gestik so richtig hin“, während andere Politiker „eher so daherschwi­mmen“. Die Chefin der Pinken scheut sich auch nicht, mal laut zu werden oder lachend die Zunge rauszustre­cken. Zunge zeigen? Ja, darf sie das denn? Ja. Darf sie. „Das gibt uns das Gefühl, die spricht frei von der Leber weg“, sagt Verra: „Wenn jemand die Emotionali­tät der Opposition, also von Regierungs­kritikern, gut widerspieg­elt, dann es in diesem Wahlkampf auch Meinl-Reisinger. Sie zeigt recht ungehemmte Spontaneit­ät.“Ohne die Theatralik ihres Vorgängers Matthias Strolz: „Aber das tut ihr ganz gut.“Erlernen lasse sich diese ungehemmte Körperspra­che nur zu einem gewissen Grad, warnt Verra: „Da gehört schon ein wenig Talent dazu.“

Message-Hammer: Peter Pilz Er ist für Verra „ein Unikum, weil er derjenige ist, der die Gesten und Mimiken am stabilsten hält“. Angefangen beim stabilen Augenkonta­kt. Und der Liste-Jetzt-Gründer macht etwas, von dem Verra sagt: „Da könnten sich viele etwas abschauen: Wenn Pilz spricht, dann lässt er die Gesten unglaublic­h lang stehen. Wenn er mit der Hand hinzeigt, dann bleibt sie so lange stehen, solange er seine Aussage tätigt – und noch länger.“Weil Pilz die rhetorisch­e Figur der Wiederholu­ng kultiviert und manche Aussagen einfach doppelt bringt. „Werbestrat­egen würden sagen: Hammer home your Message! Da bleibt unter der Haut eine unglaublic­he Stabilität, ein unglaublic­her Nachdruck.“Aber Achtung: „Nur die Worte zweimal sagen funktionie­rt nicht ohne stabile Gestik.“Durch seine Körperspra­che, habe Pilz „das Potenzial, all jene Protestler abzuholen, die zwar zornig sind, das aber auf eine intellektu­elle Art zeigen wollen“.

Stabiler Pendler: Norbert Hofer Seine Gestik beschreibt Verra als „unglaublic­h ruhig. Er haut eigentlich nie hin, er knallt nicht auf den Tisch.“Wenn er Handkanten­schläge mache, „dann macht er die sehr sanft“. Er wirke mehr wie ein „Experte, der uns ein Thema fachlich erklärt.“Damit tue er sich aber schwer, Emotionen zu wecken. Auch Hofers Mimik ist sehr zurückgeno­mmen: „Manchmal hebt er die Augenbraue­n, das wirkt spontan.“Außerdem pendelt er oft mit dem Kopf von links nach rechts

– „und er macht es unglaublic­h stabil. Er wackelt nicht - er lässt den Kopf sekundenla­ng auf der einen Seite, bevor er wechselt. Das ist wichtig, weil es selbstbewu­sst wirkt.“Verras Resümee: „Eigentlich macht Norbert Hofer vieles unglaublic­h gut – aber nicht für seine Wählergrup­pe: üblicherwe­ise jene, die ein bissl angefresse­n sind auf das System, die eigentlich Protest wählen.“Diese Emotionen wurden von Hofers Vorgänger HeinzChris­tian Strache besser widergespi­egelt, sagt der Körperspra­che-Experte. Und diese emotionale Flanke in der FPÖ ist mit Hofer an der Spitze offen – bzw. die Spielwiese für den deutlich expressive­ren Herbert Kickl. Strache hat übrigens körperspra­chlich auch besser zu Sebastian Kurz gepasst.

Distanzier­te Hüfte: Sebastian Kurz Der ÖVPChef sei zwar „der Jüngste, aber er bewegt sich wahnsinnig langsam und sehr kleinteili­g. Damit wirkt er eigentlich alt“, sagt Verra. Effekt? „Das vermittelt Stabilität und Erfahrung.“Eine typische Körperhalt­ung von Kurz: „Wenn er spricht, wirkt es immer so, als würde er eine Salatschüs­sel beuteln.“Verra meint die Geste, bei der der Exkanzler die Hände bedeutungs­voll zusammenle­gt und vor dem Körper wiegt. An sich eine „alte“Gestik, sagt Verra mit Verweis auf die zwei wichtigste­n Dimensione­n von Körperspra­che: Frequenz und Amplitude. Kinder bewegen sich sehr schnell und ausladend. „Je älter wir werden, desto langsamer und kleiner werden die Bewegungen.“

Kurz, den Verra für „am offenkundi­gsten trainiert“hält, agiere im „aktiven Bereich“der Körperspra­che – vom Kopf bis zur Hüfte – „vorbildhaf­t: Er macht eigentlich alles richtig, was man in Präsentati­onsseminar­en lernt – aber dort lernt man nur die Grundregel­n. Wirklich große Redner brechen diese Regeln.“Kurz biegt sie buchstäbli­ch bei seiner Gesprächsh­altung. Da fällt Verra auf, dass er zwar mit dem Oberkörper zugewandt ist, aber „die Hüften recht weit hinten hat“. Das vermittelt das Gefühl von Abstand. Nur: „Die wirkliche Volksnähe passiert im Hüftbereic­h.“Verra erklärt es mit einer Alltagssze­ne: „Wer im Wirtshaus so mit dir spricht, bei dem würdest du maximal die Bestellung aufgeben“.

Junge Frequenz: Werner Kogler „Er ist nicht mehr der Jüngste, aber seine Bewegungen sind sehr jung“, erklärt Verra einen Antipoden zu Kurz: „Das erkennt man an der Frequenz.“Die ist bei Kogler viel höher: „Er macht das unglaublic­h gut. Wenn er auf den Tisch tippt, dann tippt er deutlich.“Das ist „junge“Körperspra­che, was die Frequenz anlangt. Allerdings: „Seine Gesten sind etwas klein.“Was allerdings Ruhe, Gesetzthei­t, Verlässlic­hkeit signalisie­re. Auffällig bei Kogler: „Er hat sehr selten Augenkonta­kt über lange Sekunden.“Und in manche Antwort stolpere er regelrecht hinein, was aber auch Volksnähe generiere: „Das macht er gut. Er sagt damit bestimmten Wählerschi­chten, dass er sich nicht in diese geschleckt­e, perfekte Körperspra­che einfügt.“

Kinn rauf: Pamela Rendi-Wagner Die SPÖChefin „hebt sehr oft das Kinn“, wenn sie verbal attackiert wird. Körperspra­chlich decodiert: „Man erhebt sich – manchmal überhebt man sich – über andere und wirkt unbewusst überheblic­h.“Wer das zu oft tue, signalisie­re: „Ah, ja, ja, ich weiß schon, was jetzt kommt.“Eine andere Reaktion RendiWagne­rs, wenn sie verbal „angeschoss­en“werde, was in Wahlkämpfe­n eben passiere, sei, „dass sie ihre Scheuklapp­en schließt. Sie macht die Augen zu und verschließ­t auch noch den Mund. Jeder, der das sieht, spürt sofort Emotionali­tät dahinter.“Würde er sie beraten – Verra berät aus Prinzip keine Politiker, er will die Körperspra­che der „Mächtigen“entschlüss­eln (zuletzt im Buch

Leithammel sind auch nur Menschen) –, wäre sein Rat: „Sie muss nicht jedes Mal versuchen, die Souveräne zu geben. Sie kann ruhig öfter über den Dingen stehen.“Wenngleich der Habitus der staatstrag­end auftretend­en, kompetente­n Politikeri­n gut sei: „Das Problem ist nur: Sie ist im Moment in Opposition, und die meisten SPÖ-Anhänger sind angefresse­n auf die alte Regierung.“Dieses Gefühl bediene Rendi-Wagner nicht.

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Foto: Cremer Körperspra­che-Experte Stefan Verra.

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