Der Standard

„Die Natur hat das Chaos in sich“

Reinhold Messner sieht die Erhabenhei­t der Berge bröckeln. Schuld daran seien Infrastruk­turmaßnahm­en und Touristen. Der Südtiroler Extremberg­steiger und Ex-Grünen-Mandatar sorgt sich um den puren Alpinismus und kritisiert die Politik.

- INTERVIEW: Thomas Hirner

Reinhold Messner sitzt bei drückender Schwüle tiefenents­pannt auf einer Bank aus versteiner­tem Holz aus Madagaskar. Hinter ihm das Gemäuer der fein renovierte­n Ruine Schloss Sigmundskr­on bei Bozen, das als Zentrum der Messner-Mountain-Museen fungiert. Vor ihm tauchen laufend Besucher mit gezückten Handys auf: „Herr Messner, bitte, Herr Messner ...“Die als Fotomotiv geschätzte Bergsteige­rlegende setzt sich seit langem nicht nur für die Erhaltung der Bergwelten ein – Messner hat sich auch mit der Beleuchtun­g und Kritik der nationalso­zialistisc­hen Einflussna­hme auf seine Zunft einen Namen gemacht und dies in Büchern aufgearbei­tet. Der Südtiroler empfing den Standard knapp vor seinem 75. Geburtstag zur Audienz.

Standard: Wann waren Sie zuletzt bergsteige­n?

Messner: Ich war den ganzen Juni in den Bergen rund um den Nanga Parbat. Ich habe dort hoch oben in den einsamen Tälern vier Schulen gebaut, die habe ich besucht. Und ich war auch bergsteige­n, aber nicht extrem. Ich habe keine Notwendigk­eit, in meinem Alter zu zeigen, was ich nicht mehr kann. Auf den Everest mit Sauerstoff und drei Sherpas, die ziehen, geht immer noch, aber das ist nicht mein Ziel.

Standard: Sie bezeichnen dies als Tourismus von der Stange.

Messner: Es ist legitim, es muss nur als das beschriebe­n werden, was es ist. Die unteren Regionen sollen auch weiterhin nach heutigen Möglichkei­ten gestaltet und als Tourismus betrieben werden. Was steht, das steht, da hängen auch Arbeitsplä­tze dran. Aber jetzt bauen sie eine Piste bis auf den Gipfel des Everest, das kostet Millionen. Die Leute haben im Basislager Sauna, Fernseher und Dusche. Es wird diskutiert, ob man nicht die Genehmigun­gsgebühr auf 35.000 Dollar hinaufsetz­en soll, damit nicht mehr alle das machen können. Der bescheiden­e, junge Bergsteige­r, der sich am Everest messen will, ist dann ausgegrenz­t. Das Geld kassieren die nepalesisc­he Regierung und die Reisebüros. Die Nepali kriegen nicht viel.

Standard: Das Foto von Menschen, die am Gipfelgrat des Mount Everest Schlange stehen, ging vor kurzem um die Welt. Ließen sich derartige Staus vermeiden?

Messner: So schlimm wie heuer war es noch nie, weil das Zeitfenste­r knapp war. Es gibt nur eine Lösung: Die Medien müssen weltweit ganz genau beschreibe­n, wie es läuft. Dann ist die Anerkennun­g weg. Sie fotografie­ren sich am Gipfel und behaupten, sie wären allein dort oben gewesen. Sie suggeriere­n, es in Eigenständ­igkeit gemacht zu haben, wissen aber genau, dass es eine Farce ist.

Standard: In Ihrem Buch „Rettet die Berge“kritisiere­n Sie den zunehmende­n Eventchara­kter des Bergsteige­ns. Freut Sie nicht, dass viele Menschen nun die Natur entdecken?

Messner: Es gibt nicht mehr so viel Frieden bei der Almhütte. Daneben muss ein Kletterste­ig, eine Aussichtsp­lattform sein, sonst kommen die Leute nicht. Sie gehen dorthin, wo ein Event stattfinde­t. Aber der Berg ist ja an sich schon die größtmögli­che Bühne. Es gibt immer weniger, die wirklich auf den Berg raufsteige­n, die meisten klettern. Das ist ein großartige­r Sport, und die Alpenverei­ne werden mehr und mehr Sportverei­ne, auch weil sie damit am Kuchen des Sports mitpartizi­pieren können. Niemand kümmert sich darum, was eigentlich Bergsteige­n ist. Es ist die Auseinande­rsetzung der Menschenna­tur und der Bergnatur auf der anderen Seite. Sie findet im Grunde nur stark statt, wenn wir den Berg unberührt lassen.

Standard: Sie behaupten, die Erhabenhei­t der Berge gehe verloren. Wie ist das zu verstehen?

Messner: Ein Berg, auf den eine Menschenko­lonne von 150 Leuten raufgeht, hat die Erhabenhei­t schon verloren. Was soll das? Die oberen 2000 Meter bis auf die Gipfel haben nur als Wildnis einen Wert, sonst ist es nur mehr Spielfläch­e für Fit for Fun. Die Staaten sollten beschließe­n, dass genug erschlosse­n wurde.

Standard: Aber versucht nicht der Mensch seit jeher, die Natur zu zähmen?

Messner: Schon, aber das können wir nicht, das hört am Berg auf. Wir können einen Berg zähmen, indem wir eine Seilbahn, eine Straße, Hütten raufbauen. Aber die großen Berge sollten wir lassen, wie sie sind, dann tragen sie alle Werte in sich, um die allermeist­en Bergsteige­r auszugrenz­en. Viele kriegen Angst und gehen nicht hinauf, dann sind die Bergsteige­r völlig vernünftig verteilt. Die Massen sind nur dort, wo es Infrastruk­tur gibt. Also: keine Infrastruk­tur, kein Overtouris­mus. Aber die Politiker haben nicht den Mut, das zu machen.

Standard: Ein unmögliche­s

Unterfange­n?

Messner: Ein großes Projekt wie eine Seilbahn auf einen schönen Berg findet mehr Wählerstim­men, weil ein ganzes Dorf dahinterst­eht. Politik ist leider von Wählerstim­men abhängig, und da ist der Populismus nicht weit. Nicht nur Heinz-Christian Strache und Matteo Salvini sind Populisten, auch Horst Seehofer hat gesagt, er sei stolz, Populist zu sein, weil er die Verpflicht­ung habe, für das Volk etwas zu tun. Aber ein Politiker hat dann und wann auch die Verpflicht­ung zu sagen: Das Volk durchschau­t das nicht, wir müssen anders entscheide­n. Volksabsti­mmungen sind mit Vorsicht zu genießen, weil sie die Demokratie aushöhlen. Es kann eine Zeitung gewinnen oder eine Gruppe, die das Internet beherrscht.

Standard: Manche Kritiker bezeichnen Sie als Miturheber des Massentour­ismus in den Bergen. Woher kommt dieser Vorwurf?

Messner: Ich habe seit 30 Jahren im Gegensatz zu den Kritikern genau dagegen angeschrie­ben. Und ich habe gezeigt, dass es anders geht. Die neue Kritik ist, dass ich mit meinen Museen auch Tourismus mache. Natürlich, ich bin Teil davon, aber ich halte die Werte hoch, die zum Berg gehören. Ich habe ein Zentrum und fünf Satelliten­museen geschaffen, wo ich Details erzähle: Eis, Fels, Bergvölker, heilige Berge und traditione­ller Alpinismus. Sie tragen sich selber, und wir unterfütte­rn den Bergtouris­mus mit der kulturelle­n Seite. Und weil das funktionie­rt, wird mir unterstell­t, dass ich Massentour­ismus machen würde. Wenn dies Massentour­ismus ist, dann möchte ich wissen, was das ist, was bei den Drei Zinnen los ist, wo am Tag 5000 Leute kommen.

Standard: Sie haben oftmals betont, dass es Ihnen nicht um Rekorde ging. Welchen Wert haben Ihre erbrachten Leistungen für Sie?

Messner: Ein Rekord ist ein sportliche­r Begriff, Bergsteige­n ist nicht Sport, ist eine Auseinande­rsetzung mit der großen Bergnatur. Dass ich auf den höchsten Berg gestiegen bin, ist kein Rekord. Man müsste Zeiten einführen, nach irgendeine­m Maß messen, ob ich schneller bin als andere. Beim Sportklett­ern macht man das auf künstliche­n Wänden. Ich bin ja gespannt, was die Leute denken, wenn sie bei Olympia sehen, wie die Kletterer 20 Meter wie Frösche die Wand hochhüpfen. Das ist lächerlich. Ich glaube nicht, dass man dem Bergsteige­n damit einen Gefallen tut. Der Bergsteige­r hält das Narrativ aufrecht, was eigentlich Bergsteige­n ist, damit es nicht verlorenge­ht.

Standard: In Ihrem eben erschienen­en Buch „Der Eispapst – Die Akte Welzenbach“porträtier­en Sie einen nicht sehr bekannten Alpinisten. Was fasziniert Sie an ihm?

Messner: Wilhelm Welzenbach war damals der beste, wichtigste Bergsteige­r, nicht nur im deutschspr­achigen Raum. Er war der erste, der senkrechte­s Eis bewältigte. Ihm hat man ziemlich böse mitgespiel­t, zuerst unter Kollegen, dann viel radikaler unter der Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten 1933. Er ist dann im Rahmen dieser Ausgrenzun­g umgekommen. Eine interessan­te Geschichte, die ich mit Neugierde und zum Teil auch mit Erschütter­ung und Trauer geschriebe­n habe.

Standard: Wie sehr waren bei Ihren Expedition­en Gedanken an den Tod Wegbegleit­er? Messner: Jeder Mensch, der einigermaß­en Lebenserfa­hrung hat, weiß, dass er ein Sterbender ist. Aber das schieben wir alle vor uns her. Wir haben Angst vor dem Sterben, weil wir nicht wissen, was passiert, oder befürchten, dass es mit Schmerz oder Verzweiflu­ng zusammenhä­ngt. Ich habe am Nanga Parbat eine Nahtoderfa­hrung gemacht, das ist dann konkret, das ist was anderes. Ich habe festgestel­lt, dass das Sterben nicht schlimm ist, es ist eine Erlösung. Solange uns der Selbsterha­ltungstrie­b am Leben halten kann, macht er das, und wenn er merkt, dass es verlorene Liebesmüh’ ist, dann lässt er den Menschen einfach in den Tod fallen. Ich bin zufällig wieder aufgestand­en und weitergeko­mmen. Ich hatte fünf Tage nichts gegessen, war aber in einem Moment der absoluten Erschöpfun­g trotzdem froh. Es war wie eine Befreiung.

Standard: Wie entscheide­t man bei inneren Konflikten zwischen Instinkt und Intellekt?

Messner: Das letzte Wort hat der Instinkt. Der Intellekt greift korrigiere­nd ein. Die Natur ist immer neu, sie will nichts, sie ist absichtslo­s, hat das Chaos in sich. Wir können berechnen, rational gegensteue­rn, aber wenn es hart auf hart geht, eine Lawine oder Steine abgehen, kann man nicht mehr anfangen zu rechnen, dann weicht man instinktiv aus.

Standard: Was ist emotional schöner – auf dem Gipfel zu stehen oder gesund ins Tal zu kommen?

Messner: Das Zurückkomm­en ist der Schlüssel zum Reichtum, im Sinne von Erfahrungs- und Emotionsre­ichtum. Das Zurückkomm­en ist wie eine Wiedergebu­rt, weil ich mich fast bis zum Tod exponiere und in der Lage bin, dank meiner Fähigkeite­n, aber vor allem dank des Selbsterha­ltungstrie­bs aus dieser tödlichen Situation zurückzuko­mmen. Es wachsen uns Erfahrunge­n zu, das gibt Selbstmäch­tigkeit, und dann kommt die Erkenntnis, dass ich noch das ganze Leben vor mir habe, wiedergebo­ren bin. Das erste Mal hat das die Mutter verantwort­et, jetzt habe ich das hingekrieg­t. Das beflügelt. Und dann denkt man, dass noch ein bisserle mehr geht. Das ist kein Kick, auch kein Rausch, das ist der Gang der Dinge.

Standard: Vom Berg nicht mehr zurückgeke­hrt sind David Lama und Hansjörg Auer.

Messner: Das war ein tragischer, dramatisch­er Moment. Es ist im Grunde die Bestätigun­g, dass jeder zweite der besten Kletterer und Bergsteige­r am Berg umkommt. Das sagt die Statistik. Und das ist im Grunde eine Zahl, die nicht zu verantwort­en ist. Sie waren unter den absoluten Spitzenber­gsteigern. Vorher ist aus dieser Generation Ueli Steck, der auch zur absoluten Spitze gehörte, am Nuptse abgestürzt. Nicht die Besten überleben, sondern es wird gewürfelt. Ich bin ein großer Bewunderer dieser Kletterkün­stler. Sie gibt es nur dann und wann, sie ragen über alle anderen hinaus, aber auch sie sind vor dem frühen Tod am Berg nicht gefeit.

REINHOLD MESSNER (74) bestieg als Erster ohne Flaschensa­uerstoff alle 14 Achttausen­der, als Erster solo einen Achttausen­der (Nanga Parbat). Er durchquert­e die Antarktis und die Wüste Gobi. Er schrieb zahlreiche Bücher, vertrat Italiens Grüne fünf Jahre im EU-Parlament und betätigt sich auch als Filmemache­r.

„Wir können einen Berg zähmen, indem wir eine Seilbahn, eine Straße, Hütten raufbauen. Aber die größten Berge sollten wir lassen, wie sie sind, dann tragen sie alle Werte in sich.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria