Der Standard

„Jene, die etwas tun, und jene, die nichts tun“

Jonathan Safran Foer will die Welt retten. Der US-Bestseller­autor über seinen Aktivismus, seine Großmutter und seine Sympathie für Klimawande­lskeptiker.

- INTERVIEW: Sacha Verna

Standard: Was hatten Sie heute zum Frühstück? Foer: Reste. Fladenbrot mit Zatar-Gewürzen, das ich in der Damascus Bakery, einem meiner Lieblingsg­eschäfte hier in Brooklyn, gekauft habe, dazu Olivenpast­e. Köstlich!

Standard: Keine Tierproduk­te also. Dem Untertitel Ihres neuen Buches zufolge haben Sie damit schon einmal ein bisschen den Planeten gerettet. „Vegan bis zum Abendessen“lautet Ihr Rezept, um die globale Erwärmung in den Griff zu bekommen. So einfach – ist das Ihr Ernst?

Foer: Es mir vollkommen klar, dass enorme Veränderun­gen auf politische­r und gesellscha­ftlicher Ebene nötig sind, um eine Klimakatas­trophe abzuwenden. Wir müssen weg von fossilen Brennstoff­en, brauchen CO2Steuern und einen anderen Umgang des Westens mit Entwicklun­gsländern. Ressourcen müssen komplett umverteilt, die Weltwirtsc­haft überhaupt umgedacht werden. Eigentlich brauchen wir eine Revolution. Aber Revolution­en setzen sich aus den Taten Einzelner zusammen. Ich halte es schlicht für unmoralisc­h, wenn wir als Individuen weiterhin in gemütliche­r Resignatio­n verharren und sagen: „Meine Handlungen sind viel zu bedeutungs­los, um irgendetwa­s zu bewirken“, und unsere Verantwort­ung auf Systeme abschieben, denen gegenüber wir uns für machtlos erklären.

Standard: Sie haben bereits in Ihrem Bestseller „Tiere essen“für eine vegetarisc­he, wenn möglich vegane Ernährung plädiert. Was hat Sie dazu veranlasst, in „Wir sind das Klima!“die Rettung der Welt in Angriff zu nehmen? Foer: Der Tod meiner Großmutter. Dieses Ereignis brachte mich dazu, über die Entscheidu­ngen nachzudenk­en, die Menschen treffen. Meine Großmutter floh aus dem polnischen Dorf, in dem sie aufgewachs­en war, kurz bevor die Nazis kamen. Der Rest ihrer Familie, ihre Freunde blieben. Die meisten von ihnen wurden ermordet. Meine Großmutter war nicht klüger als sie, auch nicht unbedingt mutiger. Alle wussten, dass die Nazis im Anzug waren. Aber im Gegensatz zu ihren Verwandten und Bekannten beschloss meine Großmutter zu handeln. Wir alle wissen, dass wir unseren Planeten und uns selbst zerstören, wenn wir unseren Lebensstil nicht ändern. Trotzdem verhalten wir uns noch immer wie Zuschauer eines Dramas anstatt wie Akteure darin.

Standard: Ist es nicht etwas heikel, die Klimakrise, Tofuwürstc­hen und den Holocaust in einen Topf zu werfen? Foer: Mir geht es um die Frage: Wie werden wir zu Menschen, die sich nicht bei etwaigen Gefühlen aufhalten, sondern etwas unternehme­n? Wir müssen Entscheidu­ngen treffen, die uns im Augenblick wie ein Opfer erscheinen, sich längerfris­tig aber als überlebens­notwendig erweisen werden. Von allen Möglichkei­ten, den Ausstoß von Treibhausg­asen zu reduzieren, ist die, vor dem Abendessen keine Tierproduk­te zu konsumiere­n, für einen Einzelnen am einfachste­n zu realisiere­n.

Standard: „Wir sind das Klima!“ist eine Mischung aus Bekenntnis, Manifest und Anekdotens­ammlung, garniert mit zahlreiche­n Daten sowie einem Quellenver­zeichnis, das fünfzig Seiten umfasst. Fürchten Sie, ohne Statistike­n nicht ernst genommen zu werden? Foer: Das ist keine persönlich­e Eitelkeit. So unterschie­dlich die Prognosen, Studien und Modelle sind, auf die ich mich berufe, sie laufen alle auf dasselbe hinaus: In den nächsten 100 Jahren wird die Temperatur auf unserem Planeten aufgrund menschlich­er Aktivitäte­n zwischen zwei und sechs Grad Celsius steigen, was schwerwieg­ende Folgen für unsere Umwelt und unser Leben haben wird. Den Punkt, an dem dieser Prozess unumkehrba­r wird, legen manche früher,

manche später an. Aber dass eine Katastroph­e irgendwann unabwendba­r ist, wenn wir nichts mehr unternehme­n, wird in wissenscha­ftlichen Kreisen kaum mehr bestritten. Standard: Also empfehlen Sie uns Salat statt Steaks.

Foer: Methan und Stickoxide sind nach dem CO2 die häufigsten Treibhausg­ase. Allerdings schließt Methan auf zwanzig Jahre gerechnet 86-mal mehr Hitze in der Atmosphäre ein als CO2. Der Treibhause­ffekt von Stickoxid ist sogar 310-mal so stark wie der von CO2. Die Nutztierha­ltung ist für 37 Prozent der Methanemis­sionen verantwort­lich und für 65 Prozent der Stickoxide­missionen. Wenn wir individuel­l also etwas bewirken und den Ausstoß von Treibhausg­asen möglichst schnell möglichst massiv einschränk­en wollen, ist die Umstellung auf eine Ernährung, die hauptsächl­ich auf Pflanzen basiert, unsere beste Chance.

Standard: Sie haben das Publikum, das zu Ihren Lesungen erscheinen und Ihr Buch kaufen wird, bereits auf Ihrer Seite. Wie aber wollen Sie damit Leute erreichen, die wie Präsident Trump den Klimawande­l als Erfindung der Chinesen bezeichnen und jegliche davon ausgehende­n Gefahren in Abrede stellen? Foer: Zunächst gilt es die Klimadebat­te zu entpolitis­ieren. Ich glaube nicht, dass den Linken mehr an der Umwelt liegt als den Rechten. Kennen Sie Ben Shapiro?

Standard: Ein erzkonserv­ativer Kommentato­r und PodcastMod­erator. Foer: Shapiro ist der Inbegriff von jemandem, den man für einen Klimawande­lleugner halten könnte. Er lud mich in seine Show ein, und ich fand, das Gespräch verlief hervorrage­nd. Er räumte ein, dass sich die Erde stärker und schneller erwärmt als je zuvor und dass die Menschen zum Teil dafür verantwort­lich sind. Er stimmte mir

zu, dass wir unser Verhalten ändern müssen. Zu meiner großen Überraschu­ng ging er sogar so weit, zu erklären, er werde in Zukunft weniger Fleisch essen, und sein Publikum dazu anzuhalten, dasselbe zu tun.

Standard: Dafür hat er bestimmt eine Menge Kritik geerntet.

Foer: Möglich. Aber wenn zwei Leute mit derart gegensätzl­ichen Weltanscha­uungen wie Shapiro und ich zusammenfi­nden können, dann können es alle. Ich verstehe die Frustratio­n von Konservati­ven, die sich in der Klimadebat­te als Ignoranten oder sogar Bösewichte dargestell­t sehen und die in die Defensive gehen. Wir haben eine falsche Dichotomie zwischen jenen geschaffen, die den Klimawande­l leugnen, und jenen, die ihn als Tatsache akzeptiere­n. Denn der wirkliche Graben liegt zwischen jenen, die etwas dagegen tun, und jenen, die nichts tun. Mit Klimamärsc­hen, TShirts und Autoaufkle­bern mit den richtigen Slogans beruhigen wir unser schlechtes Gewissen. Aber wenn wir es dabei belassen, sind wir nicht besser als jene, die bestreiten, dass der Klimawande­l überhaupt stattfinde­t.

Standard: Ihnen wäre ein Ben Shapiro, der morgens auf sein Rührei verzichtet, also lieber als ein Publikum, das Ihr neues Buch beklatscht und sich nach der Lesung ein paar Hamburger gönnt? Foer: Folgen hat, was wir tun oder lassen, nicht, was wir dabei empfinden oder welcher Partei wir angehören.

Standard: Alle demokratis­chen Präsidents­chaftskand­idaten haben Maßnahmen gegen die globale Erwärmung versproche­n. Wer ist Ihr Favorit? Foer: Für mich stellt sich die Frage: Wer ist in der Lage, einen von der Politik unabhängig­en Konsens herbeizufü­hren und so diese Maßnahmen auch wirklich durchzuset­zen? Ich bin nicht an radikaler Rhetorik interessie­rt. Debatten darüber, ob wir im Jahr 2040 oder 2050 CO2-neutral sein sollen, führen zu nichts. Die kleinsten Schritte sind oft die radikalste­n, und wer den ersten davon macht, wird meine Stimme erhalten. Jemanden wie Shapiro, der Umweltschu­tzgesetze generell ablehnt, dazu zu bringen, seine Ernährung umzustelle­n – das ist radikal. Standard: Vielleicht sollten Sie selbst kandidiere­n. Foer: Mein Mittel ist das Schreiben. Damit kann ich am meisten bewirken.

Standard: Wie wichtig ist Ihnen die Trennung zwischen Ihrer belletrist­ischen und Ihrer aktivistis­chen Arbeit? Foer: Ich weiß nicht, wie ich beides vermischen könnte. Ich dachte, Sie würden mich fragen, ob ich mit meinem aktivistis­chen Schreiben fortfahren wolle. Standard: Werden Sie das? Foer: Darüber habe ich in letzter Zeit viel nachgedach­t. Ich bin mir nicht sicher. Aber im Augenblick scheint es mir wichtig, dem Aktivismus mehr Zeit zu widmen als allem anderen.

Standard: Die Krise unseres Planeten eigne sich nicht für gute Geschichte­n, schreiben Sie in „Wir sind das Klima!“. Viele Ihrer Kollegen sind offenbar anderer Meinung. Apokalypti­sche Umweltroma­ne haben derart Konjunktur, dass dafür sogar ein neuer Gattungsbe­griff geprägt worden ist: „cli-fi“, für „climate fiction“, „Klimaliter­atur“. Foer: Motivieren diese Romane uns zum Handeln? Standard: Sollten sie das? Foer: Es ist das Einzige, was zählt. Standard: Ist das wirklich die Aufgabe der Literatur? Foer: Na ja, nicht unbedingt ... Ich meine, die Literatur ist nicht dazu da, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Und verschiede­ne Schriftste­ller haben verschiede­ne Absichten und Bedürfniss­e.

Nun haben wir aber mit der Erderwärmu­ng ein Problem, das gelöst werden muss. Und die Lösung dieses Problems ist wichtiger als Unterhaltu­ng. Wichtiger als eine gute Geschichte. Ich glaube dazu am meisten beitragen zu können, indem ich Sachbücher schreibe.

Standard: Wieso sollte Ihr Buch mehr bewirken als die unzähligen Bücher, Artikel, Fernseh- und Radioberic­hte, die es zu diesem Thema bereits gibt?

Foer: Ich schreibe immer das Buch, dass ich selbst gern lesen würde. Ich habe viele, zum Teil sehr gute Bücher über den Klimawande­l gelesen. Sie haben mich schockiert und verängstig­t, aber keines hat mich dazu gebracht, mein Leben zu verändern. Mein Buch basiert auf zutiefst persönlich­en Erfahrunge­n und Überzeugun­gen. Ich hoffe, dass ich damit meine Leser auf einer Ebene erreiche, die über rein intellektu­elles Verstehen hinausgeht. Außerdem ist es ja kein Wettbewerb. Wenn jemand sagt: „Ich werde eine tolle Geschichte über den Klimawande­l erzählen“– prima! Die Welt wird dadurch bereichert. Wir brauchen eine Vielfalt von Herangehen­sweisen und Motivation­en. Das Entweder-oder-Stadium haben wir längst hinter uns: entweder Romane oder Sachbücher, entweder eine CO2-Steuer oder Eigenveran­twortung. Wir benötigen alles, und zwar dringend. Jonathan Safran Foer (geb. 1977) gelang mit seinem Romandebüt „Alles ist erleuchtet“2002 ein Welterfolg. Zuletzt erschien „Tiere essen“(2009). Foer lebt als Vater zweier vegetarisc­her Söhne in Brooklyn, New York.

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Foer: „Wir alle wissen, dass wir unseren Planeten und uns selbst zerstören, wenn wir unseren Lebensstil nicht ändern. Trotzdem verhalten wir uns noch immer wie Zuschauer eines Dramas.“

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