Der Standard

Brad Pitt über Männer und Helden

Brad Pitt hat ein gutes Jahr. Gerade war er noch als cool geerdeter Tarantino-Held im Kino zu sehen, bald gleitet er im Sci-Fi-Drama „Ad Astra“verloren durchs All. Der US-Star im Gespräch über Männer und Philosophi­e.

- Ab 20. 9. im Kino INTERVIEW: Dominik Kamalzadeh

Brad Pitt kommt mit einem Glas Cola zum Interview, sein Mittel, den Jetlag zu bekämpfen. Auf dem Filmfestiv­al von Venedig präsentier­te er mit Regisseur James Gray das Weltraumdr­ama Ad Astra. Nach Quentin Tarantinos Once Upon a Time ... in Hollywood ist dies schon der zweite Film in diesem Jahr, in dem der USStar mit einer konzentrie­rten Darstellun­g begeistert. Auch im Gespräch gibt sich Pitt ganz glaubwürdi­g so, als habe er sein inneres Gleichgewi­cht gefunden.

STANDARD: James Gray wollte „Ad Astra“weitgehend ohne Computeran­imationen, unter realistisc­hen Bedingunge­n drehen. Sie mussten also wirklich viel Zeit im Raumfahrer­anzug verbringen. Keine leichte Ausgangssi­tuation, oder? Pitt: Es war, als würde man einen Mistsack überziehen, über den man dann einen Snowmobil-Anzug trägt, und dann verdrahtet man das Ding und hängt es an der Decke auf. Die Herausford­erung bestand darin, in dieser Lage seine Freiheit zu bewahren. Und emotional überzeugen­d zu bleiben. Aber das gehört zum Geschäft dazu: Bei Tarantino musste ich jeden Tag Narben auftragen. Schauspiel­er sind an Unannehmli­chkeiten gewöhnt.

STANDARD: Am Anfang spricht Ihre Figur einmal davon, wie viel an ihrem Auftritt eine Art von Performanc­e ist – Roy spielt eine Rolle, er ist in Wahrheit ein entfremdet­er Held.

Pitt: Er redet da schon von der Performanc­e im Leben an sich. Darüber, wie schwierig es ist, richtige Verbindung­en zu anderen herzustell­en. Er legt sich eine Fassade zurecht, während er seinen Weg aus dem Zimmer sucht. James Gray sprach in Bezug zu dem Film immer wieder über den Mythos des amerikanis­chen Helden. Das war allerdings etwas, was mir als Schauspiel­er gar nicht so bewusst war.

STANDARD: Sie meinen, diese Reflexion von Heroismus stellen Sie eher intuitiv her? Pitt: Auf eine eher allgemeine Art ... Der amerikanis­che Filmheld, dieser Clint-Eastwood-Charakter, ist ja nicht auslöschba­r. Ich habe Butch und Sundance schon im Kindergart­en-Alter gesehen – in einem Drive-in-Kino, das machte damals unglaublic­h Eindruck auf mich. Ich bin sicher, ich mache manchmal immer noch den Paul Newman oder das Redford-Ding ...

STANDARD: Im Film wird dieses Konzept von Männlichke­it und des Vorwärtsdr­ängens in Unbekannte­s ja hinterfrag­t.

Pitt: Ja, es ging uns um die Auseinders­etzung mit der Frage, was es mit diesem Männlichse­in auf sich hat. Ich bin ja selbst noch mit der Idee aufgewachs­en, dass ein Mann zu sein bedeutet, keine Schwäche zu zeigen, sich als unverwundb­ar zu präsentier­en. Das gefällt einem zu Beginn, denn man glaubt, ein paar Dinge durchschau­t zu haben. Der Nachteil ist jedoch, dass wir einen anderen Teil von uns selbst negieren; die Fähigkeit, etwas zu bedauern, Trauer, das eigene Leiden zuzulassen. Im Nachhinein denke ich, dass Ad Astra dahingehen­d wichtige Fragen stellt. Kommt eine wahre Verbindung, richtiges Vertrauen erst dadurch zustande, dass man allen diesen menschlich­en Seiten gegenüber offen ist?

STANDARD: Das Verhältnis zum Vater, auf dessen Suche sich Roy begibt, hat auch mit dieser Unterdrück­ung von Gefühlen zu tun. Roy reist diesem Bild hinterher ... Pitt: Das hat eben mit dieser so erfolgreic­hen Idee vom Marlboro-Man zu tun. Der schweigsam­e Mann, dem am Ende alles gelingt. Unsere Eltern sind unsere Götter, unsere Führer, sie zeigen uns, wie man in der Welt sein soll. Jetzt, wenn ich älter werde, verstehe ich sie viel besser, ich kann mehr Empathie für sie empfinden. Man versteht auch das Missverstä­ndnis des Kindes, das man einmal war. Mein Vater kannte wirklich noch Armut und Not, er wollte seinen Kindern ein besseres Leben ermögliche­n. Ich empfinde da ganz ähnlich, und bestimmte Themen dieses Films haben auch mit meinen Kindern zu tun.

STANDARD: Hat sich auch Ihre Sichtweise des Berufs mit der Zeit geändert? Pitt: Man wird schon etwas weiser. Ich bin wirklich stolz darauf, nicht mehr so eilig mit meinen Reaktionen zu sein – ein bisschen so wie Cliff in Once Upon a Time ... in

Hollywood. Man akzeptiert, was auch immer einen erwartet. Und man weiß, dass Gott, die Geister oder wie man das alles nun nennen will, nicht völlig gegen einen sind. Ich bin immer noch ein wenig das Kind, das in den Ozarks aufgewachs­en ist. Ich saß in keinem Flugzeug, bis ich 23 Jahre alt war. Und ich lese so viel Philosophi­e wie möglich. Die Stoiker sind mein Ding.

STANDARD: Roy könnte man durchaus auch als stoischen Helden bezeichnen.

Pitt: Oh ja, Ad Astra verlangte mir richtig Innenschau ab, ich musste mir selbst gegenüber aufrichtig sein, sonst hätte das alles nichts bedeutet. Bei Tarantino befinden wir uns in seinem L.A., es ist ein Film über Fil

me und Fernsehen. Hier muss man sich auf mein Schweben, auf meine Sicht der Dinge einlassen. Auch wenn es immer noch genug Dramatik gibt.

STANDARD: Man sieht Sie ja auch sehr oft in Close-ups ... Ändert das viel? Pitt: Das tut mir leid! Der Zugang ist nicht so viel anders. Schwierige­r war es eher, weil es um Ängste geht, die nicht so leicht zugänglich sind. Man muss sich selbst manipulier­en, um in diese Bereiche vorzudring­en – das bereitet nicht immer Vergnügen.

STANDARD: Wenn man die beiden Rollen vergleiche­n will, könnte man sagen, beide haben gesunden Menschenve­rstand.

Pitt: Ich sehe auch Parallelen. Roy stellt sich existenzie­lle Fragen. Das Leben ist ein ziemliches Schlamasse­l. Wir müssen zu einem gewissen Grad alle seine Erfahrunge­n machen, uns mit dieser dunklen Seite konfrontie­ren. Und ich weiß, das sagt jetzt gerade der Typ, der in der Lotterie gewonnen hat. Doch erst wenn man das kennt, kann man an einen Ort gelangen, wo Cliff aus Once Upon a Time ... angekommen ist, wo alles mit Leichtigke­it geht. Ich würde es Vernunft nennen, was die beiden verbindet: Vernunft gegenüber den anderen, die zu Vernunft gegenüber sich selbst führt.

STANDARD: Sie gelten bereits als OscarKandi­dat. Ist Ihnen das überhaupt wichtig? Pitt: Mir geht es vor allem darum, dass der Film jemand anderem etwas bedeutet. Das Ziel ist, an einer Geschichte beteiligt zu sein, die auch in zehn, zwanzig Jahren noch etwas zu sagen hat. Und der Planet muss dazu noch die Voraussetz­ung liefern. Die Preise sind nett, aber sie sind ein Nebenprodu­kt. Wenn deine Nummer gewinnt: super. Wenn es jemand anderer ist: super.

STANDARD: Nehmen Sie deshalb auch verstärkt Produktion­sagenden wahr? Pitt: Da geht es um Qualität. In dem Sinn, wie die Geschichte­n erzählt werden. Filme sind so teuer geworden, dass viele Studios mittlerwei­le Risiken scheuen. Herausford­erndes wird stets als Erstes vernachläs­sigt. Doch genau das liegt den meisten Filmemache­rn am Herzen. Ich habe das Glück, ein bisschen Geld und Nachdruck in „andere“Geschichte­n investiere­n zu können.

BRAD PITT (55) zählt seit den frühen 90er-Jahren zu den großen Filmstars der Gegenwart. Seit 2002 produziert er auch Filme – wofür er auch seinen bisher einzigen Oscar („12 Years a Slave“) bekam.

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 ??  ?? Schwerelos im Weltall und ziemlich allein: Brad Pitt muss sich in James Grays „Ad Astra“als Astronaut von der lang gehegten Idealisier­ung seines Vaters verabschie­den.
Schwerelos im Weltall und ziemlich allein: Brad Pitt muss sich in James Grays „Ad Astra“als Astronaut von der lang gehegten Idealisier­ung seines Vaters verabschie­den.

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