Offener Streit über Niedrigzinspolitik der EU-Zentralbank
Nördliche Eurostaaten lehnen Draghis Kurs ab
Frankfurt/Wien – Gegen Ende seiner Amtszeit hat es Mario Draghi noch mit einem Aufstand in den eigenen Reihen zu tun. Der jüngste Entscheid der Europäischen Zentralbank (EZB), die Zinsen zu senken und das Anleihekaufprogramm hochzufahren, spaltet die beteiligten europäischen Notenbanker. Ab November will die EZB pro Monat neue Anleihen im Wert von 20 Milliarden Euro aufkaufen.
Am Freitag übten gleich drei Notenbankchefs aus nördlichen Mitgliedsstaaten an diesem Kurs Kritik: Bundesbankchef Jens Weidmann warf Draghi vor, übers Ziel hinauszuschießen. Die wirtschaftliche Lage sei „nicht wirklich schlecht“, sagte ausgerechnet der Vertreter Deutschlands, dessen Heimat am Rande einer Rezession steht.
In die gleiche Kerbe schlug der niederländische Notenbankchef Klaas Knot. Die Konjunktur sei zu robust, um solche Geschütze aufzufahren. Dagegen gebe es bereits Anzeichen für verzerrte Kurse an den Finanzmärkten und eine überhöhte Risikobereitschaft im Immobilienmarkt.
Auch der neue OeNB-Chef Robert Holzmann schloss sich den Kritikern an. Er habe die Ratssitzung mit dem Gefühl verlassen, dass die EZB einen Fehler gemacht habe. Medienberichten zufolge hat sich auch Frankreich den Skeptikern angeschlossen. Die Französin Christine Lagarde wird im November das Zepter von Mario Draghi übernehmen. Mit dem jüngsten Schritt wird ihr Handlungsspielraum beschränkt. (red)
Jetzt proben die eigenen Reihen den Aufstand. Mehrere Mitglieder des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) üben Kritik am Kurs von Präsident Mario Draghi, nachdem sich dieser am Donnerstag damit durchgesetzt hatte, das milliardenschwere Anleihenkaufprogramm wieder auszuweiten. Den Leitzins beließ die EZB bei null. Der Einlagezinssatz für Banken wurde um 0,1 Prozentpunkte auf -0,5 Prozent weiter gedrückt.
Jetzt verdichten sich Meldungen, dass der Entscheidung relativ viel Gegenwind während der Ratssitzung entgegenwehte. Der Deutsche-Bundesbank-Chef Jens Weidmann, Frankreichs Notenbank-Gouverneur Francois Villeroy de Galhau sowie EZB-Direktor Benoît Coeuré seien dagegen gewesen. Auch die Vertreter der Notenbanken Österreichs, der Niederlande und Estlands hätten die Abweichler unterstützt, berichtete Bloomberg. Insgesamt habe ein knappes dutzend Ratsmitglieder Draghi die Gefolgschaft verweigert, schreibt der Spiegel online.
Offene Kritik
Manche Ratsmitglieder übten sogar öffentlich Kritik: Für Jens Weidmann ist die EZB „über das Ziel hinausgeschossen“, wie er am Freitag im Interview mit der Bild sagte.
Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann sprach im Interview mit Bloomberg sogar von „Widerstand“während der Ratssitzung. Unter den sogenannten Falken wie Holzmann, die sich eine straffere Geldpolitik wünschen, sei die Effektivität der letztlich gesetzten Schritte angezweifelt worden. Schließlich verharrt die Inflation in der Eurozone mit einem Prozent auf dem tiefsten Stand seit November 2016. Der Zielwert der EZB liegt bei knapp unter zwei Prozent. Gefragt, ob der EZB-Rat am Donnerstag einen Fehler begangenen habe, antwortete der OeNB-Chef: „Das ist mir definitiv durch den Kopf gegangen.“Anderen vermutlich auch, sagt Holzmann.
Auch der Chef der niederländischen Notenbank (DNB), Klaas Knot, kritisierte die Entscheidungen des Rats am Freitag: „Dieses breite Maßnahmenpaket, insbesondere die Wiederaufnahme der Anleihenkäufe, steht in keinem Verhältnis zu den gegenwärtigen wirtschaftlichen Bedingungen, und es gibt triftige Gründe, an seiner Wirksamkeit zu zweifeln“, schreibt Knot auf der Website der DNB. Es gebe weder die Gefahr einer Deflation, noch gebe es Anzeichen für eine Rezession in der gesamten Eurozone. Die Gefahr sieht Knot etwa in der Befeuerung von Immobilienpreisblasen.
Kritik am EZB-Kurs kam auch von Beobachtern. IHS-Chef Martin Kocher sieht die Ausweitung des Anleihenkaufprogramms ohne Enddatum als „falsches Signal“. Verbraucherschützer befürchten, dass Banken den höheren Strafzins auf Sparer überwälzen könnten.
Mario Draghi gestand die gedämpfte Wirkung der expansiven Geldpolitik ein. Die Schuld dafür gab er jedoch den Staaten: Mit einer aktiveren Ausgabenpolitik hätten die Finanzminister die Nebeneffekte der EZB-Politik für Teile der Bevölkerung abfedern können.
Gleichzeitig hätten Staaten mit höheren Ausgaben die Inflation antreiben sollen, wodurch die EZB ihre Maßnahmen früher hätte zurückfahren können, sagte Draghi gewohnt verklausuliert. Auch die Senkung des Einlagensatzes verteidigte er: Das Vertrauen in die EZB beruhe auf ihrer Fähigkeit, Preise stabil zu halten. Negative Zinsen seien eine Notwendigkeit.