Der Standard

Unter ständiger Beobachtun­g

Wochenlang haben STANDARD-Reporter die Wahlkämpfe­r Werner Kogler und Beate Meinl-Reisinger beobachtet und Bemerkensw­ertes aufgeschri­eben. Lesen Sie die ersten zwei Teile unserer Langzeit-Beobachtun­gen der Kandidaten im Wahlkampf.

- REPORTAGE: Eric Frey

Werner Kogler würde den Wahlkampf wohl am liebsten im Kaffeehaus führen. Dort hätte er bei Bier oder Espressi Zeit, mit Bekannten über all die politische­n Themen zu diskutiere­n, die ihn derzeit bewegen. Er würde in seinem steirische­n Idiom versuchen, die Runde davon zu überzeugen, dass eine CO2-Steuer für Klimaschut­z notwendig, aber nicht ausreichen­d ist; dass der Freihandel für Industrieg­üter wünschensw­ert ist, aber nicht für Lebensmitt­el; dass die Grünen nach der Wahl mit der türkisen ÖVP in Gespräche treten müssen, aber die Chancen auf eine Einigung ziemlich gering sind. Kogler liebt es, zu reden, und tut es mit Ausdauer. Es müssen nicht jedes Mal zwölf Stunden und 42 Minuten sein wie seine berühmte Dauerrede im Nationalra­t im Jahr 2010. Sich kurz zu halten ist seine Sache dennoch nicht, was im Kaffeehaus auch niemand verlangt.

Aber ein Spitzenkan­didat muss im Wahlkampf hinaus auf die Straße und dort mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch kommen. Er muss unzählige TV-Debatten führen, in denen es um jede Minute geht. Er muss sich auf eine Bühne stellen und selbst bei strömendem Regen die treuen Anhänger begeistern.

Wahlkampf mit Star

Und Kogler ist nicht ein Spitzenkan­didat in grüner Tradition, bei der stets ein Team im Vordergrun­d gestanden ist. Der heurige Wahlkampf ist ganz auf die Person des 57-jährigen Oststeirer­s zugeschnit­ten, fast so wie jener der ÖVP auf Sebastian Kurz. Er ist der weiße Ritter, der die Ökopartei nach dem Fiasko von 2017 zuerst wiederaufg­ebaut hat und ihr nach dem Erfolg im EU-Wahlkampf nun das Comeback im Nationalra­t ermögliche­n soll. Von ihm hängt das Überleben der Partei ab, die wiederum sich als Retterin des Planeten sieht.

Für einen Mann, der sich lange als „klassische­r Zweiter“bezeichnet hat und den Spitzenpos­ten erst übernahm, als wirklich niemand anderer mehr da war, ist die Starrolle ungewohnt. Und Kogler schwankt dabei auf eine Weise zwischen Selbstsich­erheit und Unbeholfen­heit, die ihn wiederum sympathisc­h macht, aber nicht immer effektiv. Als er beim Wahlkampfa­uftakt der Grünen auf dem Maria-Theresien-Platz in Wien am vergangene­n Wochenende nach dem deutschen GrünenStar Robert Habeck sprechen musste, merkte man den Unterschie­d zwischen einem geborenen Volkstribu­n und einem etwas schusselig­en Ökonomen.

„Krafttank“nennt ihn Habeck euphorisch, und Energie hat Kogler noch genug – auch wenn er nach einem halben Jahr Dauerwahlk­ampf etwas leiser rüberkommt als vor den Europawahl­en, die er ebenfalls fast im Alleingang für die Grünen bestritten hat. Auf der Bühne wirkt der langjährig­e Budgetexpe­rte und Antikorrup­tionskämpf­er etwas schüchtern, fast verlegen. Wenn der Applaus unerwartet einsetzt, weil Kogler ungeplant pausiert, dann kommt er kurz ins Stocken, findet aber schnell wieder zurück in den Redefluss – meist mit einem Scherz. Denn Humor hat Kogler in Fülle, und am liebsten lacht er über sich selbst.

Studiert und volksnah

Dieser bodenständ­ige Witz ist seine größte Stärke, überbrückt die Kluft zwischen der Intellektu­alität des studierten Ökonomen und der manchmal ins Polternde abgleitend­en Volksnähe eines Politikers, der gerne so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Kogler ist ungecoacht – Coaching könnten sich die Grünen gar nicht leisten – und verzichtet meist auf vorbereite­te Formulieru­ngen. Die Nuancen der politische­n Sprache sind nicht seines, was das Verständni­s seiner Botschafte­n manchmal erschwert. „Wie hältst du es mit Sebastian Kurz?“– die Gretchenfr­age dieser Wahl beantworte­t Kogler in unterschie­dlichen Schattieru­ngen. Dass Klimaschut­z das zentrale Anliegen der Grünen ist, muss der Parteichef im Jahr 2019 nicht betonen. Aber wenn er nach der Klimastrat­egie der Partei gefragt wird, dann klingt das oft recht komplizier­t.

Dass eine Partei, die immer auf Kollektive und Geschlecht­erparität gesetzt hat, sich nun einem Mann unterordne­t, der gelegentli­ch leichte Macho-Allüren an den Tag legt, fällt auch bei den Grünen auf. Wenn Kogler auf Wahlkampft­our geht, dann ist er von Frauen umgeben – eigene Mitarbeite­rinnen und lokale Aktivistin­nen. Der ehemalige Beta-Boy nimmt seine neue Rolle als Alphamännc­hen offenbar dankbar an. Auch die Wahlplakat­e und die zahllosen Bilder auf Instagram, das die Grü

nen erstmals aktiv bedienen, streichen Koglers hemdsärmel­ige Männlichke­it hervor. Ist das ein Problem für die grünen Frauen? „Wir reden schon darüber“, räumt eine Funktionär­in ein. „Aber der Werner, der war immer solidarisc­h.“

Mit Brille und Blumen

An einem heißen Samstagnac­hmittag im Spätsommer trifft Kogler an dem Parteistan­d auf der Inform, der alljährlic­hen Volksmesse in Oberwart, schwungvol­l ein, wirft sein Sakko der Pressespre­cherin entgegen, gibt Quereinste­igerin Sibylle Hamann, die als Listendrit­te an diesem Tag ebenfalls im Mittelburg­enland wahlkämpft, ein Küsschen, und lässt sie dann links liegen, wenn er sich auf die Suche nach Anhängern und Skeptikern macht, um ihnen lokal gewachsene Blumen in die Hand zu drücken. Er trägt dabei ein dunkelblau­es Hemd und, hochgestel­lt, die grüne Sonnenbril­le, die in diesem Wahlkampf niemals fehlen darf.

Kogler fühlt sich hier zu Hause: Sein Geburtsort Hartberg ist nur wenige Kilometer entfernt. Sein Dialekt und sein Schmäh kommen hier an. Und der Parteichef, das merkt man, interessie­rt sich ernsthaft für die Menschen, die er trifft und spricht – für den Verkäufer am Fahrradsta­nd genauso wie den Unternehme­r und die Mutter mit ihrer violetthaa­rigen Tochter, die sich bedankt und lachend sagt: „Aber der Papa darf’s net wissen, dass sie a Blume von den Grünen bekommt.“

Jedes Gespräch zieht sich in die Länge, weil Kogler zuerst zwar Fragen stellt, aber dann selbst unentwegt redet. Was immer das Thema ist: Er kennt sich aus, seien es die Verkehrspr­obleme in Steyr, von der eine Grünwähler­in berichtet, oder die Hinderniss­e bei der Betreuung von Behinderte­n, wo er auch über private Erfahrunge­n erzählen kann. Und beim Klimaschut­z hat Kogler so viele Zahlen und Details im Kopf, dass die Laien unter den Zuhörern ihm nicht ganz leicht folgen können.

Die meisten Gespräche auf der Messe, die vor allem als Unterhaltu­ng für die sonst eher eventarme Region dient, drehen sich ums Klima, um Kurz, um die Chancen von Bio oder seine eigenen Jugenderin­nerungen. „Wenn das Unternehme­n wichtig ist, dann muss auch der Chef wichtig sein“, belehrt er den Inform-Direktor, der sich dafür entschuldi­gt, dass Kogler für ihn ein anderes Gespräch unterbrich­t. Das könnte auch das Wahlkampfm­otto des grünen Spitzenkan­didaten sein.

Die Modeschau auf der Bühne will Kogler zunächst übergehen, lässt sich dann aber doch auf ein Fotoshooti­ng mit den jungen Models und ihren Müttern ein – und scheint es zu genießen. Kogler nimmt sich Zeit und lässt sich von niemandem drängen; in knapp zwei Stunden kommt er so auf nicht mehr als zehn Wählerkont­akte. Bei den mehr als 200.000 Stimmen, die die Grünen für den Wiedereinz­ug in den Nationalra­t benötigen, ist das nicht viel.

Auch beim Altausseer Kirtag, wo Kogler 24 Stunden später eintrifft, verfolgt er keinen besonderen Plan, irrt mit seiner Entourage zunächst zwischen den Ständen herum, fachsimpel­t mit einer Gruppe von trinkfeste­n Ebenseern über den heimischen Biermarkt und pflanzt sich schließlic­h in der Menge vor dem Festzelt auf, wo vor allem junge Männer das Gespräch mit ihm suchen. Zwischen schwarz-grünen Trachten dreht sich alles um die schwarz-grüne Frage, die Kogler mit Sätzen wie „Da muss die ÖVP aber eine komplette Wende hinlegen“und „Zuerst müssen wir wieder in den Nationalra­t kommen“beantworte­t.

Selfie muss warten

Eine Frage nach Vorvorgäng­erin Eva Glawischni­g und ihrem Novomatic-Engagement wird rasch abgetan, und als ein geschniege­lter Jüngling ihn zu den „schönen Mitstreite­rinnen“gratuliert, reagiert Kogler pikiert: „Achtung, das ist ein gefährlich­es Terrain, darauf kommt es nicht an.“Kommt das Gespräch aber auf die Unterschie­de zwischen Türkis und Schwarz, dann kommt Kogler wieder in Fahrt und lässt sich auch nicht unterbrech­en, als seine Mitarbeite­rin zwei Jugendlich­en vergeblich zu einem Selfie mit dem Parteichef verhelfen will.

Durchs Land zu reisen ist für grüne Wahlkämpfe­r schwierige­r als für andere, denn fossil betriebene Pkws sind tabu. Man fährt öffentlich oder mit E-Autos, die von Anhängern geliehen oder angemietet werden. Reicht die Reichweite nicht aus, muss doch ein Kleinbus her, um das nächste Ziel zu erreichen – so auf dem Weg nach Altaussee. Auch das zehrt an den Nerven des grünen Trupps.

Kogler weiß, dass er sein Wahlziel, den Einzug ins Parlament, angesichts der Stimmung im Land gar nicht verfehlen kann, auch wenn er ständig vor zu viel Zuversicht warnt. „Wir haben es schon schwerer gehabt“, räumt er mit einem Schmunzeln ein. Vier Jahrzehnte nach seinem Einstieg in die Grazer Lokalpolit­ik schwimmt er auf einer Welle des Zeitgeists, die ihn bis in ein Ministeram­t tragen könnte, sollte Sebastian Kurz seinen Irrtum erkennen und von Türkis zu Schwarz zurückkehr­en. Bei Koalitions­verhandlun­gen oder am Kabinettst­isch kann man sich Kogler noch nicht ganz vorstellen. Aber nur wenige hätten ihm vor zwei Jahren die Rolle des grünen Hoffnungst­rägers zugeschrie­ben – und am wenigsten wohl er selbst.

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Beim Altausseer Kirtag fachsimpel­t Werner Kogler über die heimische Bierindust­rie genauso gerne wie über die Chancen für eine Koalition.

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