Der Standard

Ekaterina Degots Steirische­r Herbst

Am Donnerstag eröffnet in Graz der Steirische Herbst, Genuss und Apokalypse reichen sich im Programm von Intendanti­n Ekaterina Degot die Hand. Das findet sie sehr habsburgis­ch.

- INTERVIEW: Amira Ben Saoud und Michael Wurmitzer

In ihrer Handtasche trägt Ekaterina Degot William Johnstons Buch The Austrian Mind mit sich. Sie verstehe die österreich­ische Seele dadurch besser, sagt die gebürtige Russin, die seit 2018 den Steirische­n Herbst leitet. So düster der dunkle Einband des Buches auch ist, Degot fühlt sich in Österreich wohl. Ab Donnerstag geht in der Steiermark unter ihrer Ägide die Welt nobel zugrunde – das Motto der diesjährig­en Ausgabe lautet Grand Hotel Abyss – Grand Hotel Abgrund.

STandard: Sie haben das heurige Motto vom Philosophe­n Georg Lukács ausgeborgt, der es in den 1930ern prägte. Warum?

Degot: Ich glaube, viele Leute haben heute das Gefühl, in einer Art Endzeit zu leben. Politisch und ökologisch wird viel darüber gesprochen, wie katastroph­al die Situation ist. Den Druck, genussvoll zu leben, gibt es aber überall und unabhängig von Krisen, zumindest für jene von uns, die so privilegie­rt sind, in reichen europäisch­en Ländern zu leben. Dieses Gefühl, dass das Orchester spielt, während das Schiff sinkt, ist auch sehr habsburgis­ch.

STandard: Dabei war der Abgrund für den Westen lange nicht mehr auf dem Radar. Dann kamen 9/11, Wirtschaft­skrise, Migration, Klimakrise, Rechtspopu­lismus ...

Degot: Verglichen mit Russland ist Österreich ein Kurort. Es gibt noch Strukturen, die die soziale Schere weniger präsent machen. Das vermittelt ein Gefühl der Sicherheit. Es gibt aber politische Veränderun­gen wie die Normalisie­rung des Nationalis­mus, die sich sehr langsam vollzieht, fast unsichtbar und deswegen so gefährlich ist.

STandard: Wie gehen die Künstler im Programm mit der Endzeitsti­mmung um?

Degot: Einige finden positive Aspekte in der Apokalypse, indem sie diese als eine Art Revolution deuten. Aber eigentlich stand nicht der Abgrund am Anfang unserer Überlegung­en, sondern das Thema Genuss. Das apokalypti­sche Gefühl ist dazugekomm­en, denn Genuss ist ja so fasziniere­nd, eben weil er den Abgrund miteinschl­ießt.

STandard: Weil die Dekadenz naheliegt?

Degot: Dieses Wort ist mir zu verurteile­nd, wir sind an anderen Aspekten interessie­rt. Die touristisc­he Identität der Steiermark definiert sich etwa über Genuss. Man kann sich etwa davon ausgehend fragen, wer ein Recht auf Genuss hat. Wer muss für den Genuss der anderen arbeiten? Wer sitzt nicht mit am Tisch? Ich amüsiere mich auch über Wörter wie „Kulturgenu­ss“.

STandard: Warum?

Degot: Genuss ins Zentrum der Kunst zu stellen ist unmodern. Ich sehe Kunst als Möglichkei­t, eine Diskussion zu eröffnen. Viele unserer Werke brauchen eine extra Portion Bemühen, um verstanden zu werden. Kultur ist schwierige­r als die Unterhaltu­ngsindustr­ie, aber sie bringt auch mehr. Kultur ist keine Nachspeise.

STandard: Eine FPÖ-Aussendung beklagt, dass das „hochsubven­tionierte“Festival mit dem Thema „gegen den Tourismuss­tandort Steiermark und seine Besucher“ausholt ...

Degot: Als ob wir den Österreich­ern ihre Erholung und den Genuss abspenstig machen wollen würden! Es herrscht hier die problemati­sche und populistis­che Tendenz, anzunehmen, dass Förderung mit Loyalität einherzuge­hen habe. Dass Kultur die Aufgabe hat, kritisch zu sein, stößt nicht immer auf Verständni­s.

STandard: Der Steirische Herbst versucht, internatio­nal wahrgenomm­en zu werden, gleichzeit­ig hat er den Anspruch, ein regionales Festival zu sein. Wie klappt das?

Degot: Der Steirische Herbst ist auf Widersprüc­hen aufgebaut wie dem, als Avantgarde ein großes Publikum zu erreichen. Regional und internatio­nal zu wirken ist auch so ein Widerspruc­h. Aber wir sind idealistis­ch und glauben, dass das möglich ist.

STandard: Sie haben aber ein Kuratorent­eam, das wenig in Graz vernetzt ist ...

Degot: Beim ersten Festival war ich erst kurz zuvor in Graz angekommen und wusste über die Stadt und die Steiermark überhaupt nichts. Aber ich wurde eingeladen, dieses Festival zu machen, obwohl oder vielleicht weil ich nicht von hier bin. Der Blickwinke­l von außen hat etwas für sich. Heuer gehen wir aber in die Steiermark hinaus und profitiere­n dabei von Ratschläge­n der Leute vor Ort. Stubenrein ist eine lokale Initiative, die wir unterstütz­en, wir zeigen eine Performanc­e in Köflach und eine Installati­on an der Steirische­n Apfelstraß­e. Das werden wir ausbauen.

STandard: Viele Künstler kommen heuer aus Osteuropa. Nutzt Graz seine Lage?

Degot: Künstler aus diesem Raum fühlen sich im Westen irgendwie außenstehe­nd, diese kulturmigr­antische Situation finde ich sehr produktiv. Mehrsprach­igkeit ist eine enorme Bereicheru­ng. Graz ist eigentlich eine Grenzstadt, und statt sich als Bollwerk zu verstehen, wäre es besser, es verstünde sich als Übersetzun­gsstadt. Es leben viele Leute aus anderen Ländern hier, besonders vom Balkan. Graz hätte also enormes Potenzial, kosmopolit­isch zu sein.

STandard: Aber es fehlt das Interesse?

Degot: Vor allem herrscht das Gefühl, dass in Graz sowieso alles gut sei. Historisch ist Graz die Stadt, in der reiche Pensionist­en aus Wien ihren Lebensaben­d verbrachte­n. Migranten mögen nicht in dieses Bild passen, sind aber Teil des Lebensallt­ags. EKATERINA DEGOT (61) leitet den Steirische­n Herbst. Das Festival läuft heuer von 19. 9. bis 13. 10.

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 ??  ?? „Sehr politisch, aber nicht unbedingt aktivistis­ch“will Ekaterina Degot ihr Festival. „Ich bin an Inhalten interessie­rt, und Inhalte sind immer politisch.“
„Sehr politisch, aber nicht unbedingt aktivistis­ch“will Ekaterina Degot ihr Festival. „Ich bin an Inhalten interessie­rt, und Inhalte sind immer politisch.“

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