Der Standard

Poker bis zur letzten Minute

- Thomas Mayer

Nach allen Drehungen und Wendungen in London sowie Täuschunge­n seitens des Tory-Premiers Boris Johnson samt Gegenmanöv­ern des Unterhause­s scheint ein chaotische­r EU-Austritt Großbritan­niens nicht vermeidbar. Wie und womit soll der gordische Knoten durchtrenn­t werden? Den Wunderwuzz­i, der einen neuen Deal aus dem Hut zaubert, an den in zwei Jahren intensiver Verhandlun­gen bisher niemand gedacht hat, den gibt es nicht.

Da mag Johnson noch so oft mit Kommission­schef JeanClaude Juncker gut essen gehen und fantasiere­n, dass „in nur ein paar Tagen“ein Durchbruch möglich wäre – das ist schlicht ein Bluff. Der Premier ist ein Maulheld. Er hat noch nicht einmal seine Hausaufgab­en gemacht und den EU-27 einen Vorschlag gemacht, wie er vor Wochen angekündig­t hat. Die EU-Partner trauen ihm nicht, haben keinen Grund, von sich aus an ihrer Position etwas zu ändern, um „Bojo“aus seiner Sackgasse zu helfen, in die er selber einfuhr.

Weil keine Zeit mehr bleibt, um einen neuen Austrittsv­ertrag (inklusive mehrjährig­er Übergangsp­hase) bzw. ein Folgefreih­andelsabko­mmen auszuhande­ln, wird Johnson sich beim Backstop – der Garantie für offene Grenzen auf der irischen Insel – bewegen müssen. Nordirland bliebe dann nach dem Brexit vorläufig im EU-Binnenmark­t. Ein Vorteil für die Nordiren. Ob Johnson dazu bereit ist? Er wird jedenfalls pokern bis zur letzten Minute. Für ihn gilt: Besser ein Brexit mit Schrecken als ein Brexit ohne Ende.

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