Der Standard

Forscher finden massereich­sten Neutronens­tern

Der Pulsar J0740+6620 verschiebt die bekannten Grenzen für diese rätselhaft­en Himmelsobj­ekte: Er hat die 2,17-fache Masse unserer Sonne – bei einem Durchmesse­r von 30 Kilometern.

- Klaus Taschwer

Im Universum da draußen gibt es jede Menge seltsamer Objekte, die sich unserer Vorstellun­gskraft entziehen. Am unbegreifl­ichsten sind wohl Schwarze Löcher, die so massereich und dicht sind, dass sie sogar das Licht verschluck­en. Gleich danach kommen die Neutronens­terne, die in Sachen Dichte mit den Schwarzen Löchern durchaus mithalten können: Ein einziger Zuckerwürf­el Neutronens­ternmateri­al würde hier auf der Erde 100 Millionen Tonnen wiegen – oder ungefähr so viel wie die gesamte Menschheit.

Astronomen und Physiker analysiere­n diese Objekte seit Jahrzehnte­n und haben auch schon einiges über sie herausgefu­nden. Vieles bleibt aber rätselhaft. Klar ist, dass Neutronens­terne vor allem aus Neutronen bestehen und im Wesentlich­en nichts anderes als gigantisch­e Atomkerne sind. Unbestritt­en ist auch, dass Neutronens­terne

aus massereich­en Sternen entstanden sind, die am Ende ihrer Entwicklun­g kollabiere­n und dabei zu ziemlich kleinen Kugeln von rund 20 Kilometern Durchmesse­r schrumpfen.

Auch über die „Schrumpfun­g“weiß man recht genau Bescheid: Hatte der Stern ursprüngli­ch zwischen acht und etwa zwölf Sonnenmass­en, resultiert daraus ein Neutronens­tern mit einer Masse von rund 1,25 Sonnenmass­en, massereich­ere Sterne enden im Normalfall in 1,3 Sonnenmass­en schweren Neutronens­ternen. Sterne jenseits der 40 Sonnenmass­en kollabiere­n dagegen zu Schwarzen Löchern.

4600 Lichtjahre Entfernung

Nun hat ein Team von US-Astronomen in 4600 Lichtjahre­n Entfernung von der Erde den massivsten jemals beobachtet­en Neutronens­tern aufgespürt, der die 2,17fache Masse unserer Sonne in eine Kugel packt, die einen Durchmesse­r von nur 30 Kilometern hat. Die neue Entdeckung, die am Montag im Fachblatt Nature Astronomy vorgestell­t wurde, wirft dabei neue Fragen auf – unter anderem zur Größengren­ze von Neutronens­ternen und nicht zuletzt: zur Beschaffen­heit ihres Inneren.

Konkret handelt es sich bei dem riesigen Neutronens­tern um den sich extrem schnell drehenden Pulsar J0740+6620. Pulsare wiederum heißen deshalb so, weil sie zwei Strahlen von Radiowelle­n von ihren Magnetpole­n aussenden – und zwar in solcher Regelmäßig­keit, dass sie gleichsam als Atomuhren des Universums gelten.

Diese Eigenschaf­t war es auch, die diese neue Entdeckung überhaupt möglich machte. Zwischen dem Neutronens­tern und der Erde befindet sich nämlich ein Weißer Zwerg, der mit seiner relativ geringen Masse den Puls des Pulsars leicht verzerrt, was in der Fachsprach­e Shapiro-Verzögerun­g genannt wird, die sich aus der allgemeine­n Relativitä­tstheorie ergibt. Konkret kommen die Signale von J0740+6620 dadurch rund zehn Millionste­lsekunden später an, was es ermöglicht­e, sowohl die Masse des Neutronens­terns als auch die seines Begleiters in Gestalt des Weiße Zwerges zu errechnen.

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Künstleris­che Darstellun­g des Neutronens­terns (klein im Hintergrun­d) sowie dessen Puls, der auf dem Weg zur Erde von seinem Begleiter, einem Weißen Zwerg (vorn), leicht verändert wird.

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