Der Standard

Ein höherer Ölpreis ist keine Krise

Der saudische Produktion­sausfall ist für Weltwirtsc­haft und Verbrauche­r verkraftba­r

- Eric Frey

Als vor genau 45 Jahren ein Krieg im Nahen Osten zu einem Teilausfal­l der globalen Erdölverso­rgung führte, erlitt die Weltwirtsc­haft einen Schock, von dem sie sich viele Jahre nicht erholte. Das Ölembargo der Opec-Staaten als Reaktion auf den Jom-Kippur-Krieg ließ den Ölpreis in die Höhe schnellen und traf die Industries­taaten an ihrer verwundbar­sten Stelle – denn die Welt war damals süchtig nach Erdöl.

Der jüngste Angriff auf die wichtigste­n Ölanlagen Saudi-Arabiens hätte früher ähnliche Schockwell­en ausgelöst, verstärkt noch durch die wachsende Angst vor einem Krieg zwischen den USA und dem Iran. Doch die Wirtschaft­swelt hat sich geändert. Zwar verzeichne­te der Ölpreis zu Wochenbegi­nn den stärksten Kurssprung seit dem Golfkrieg von 1991, ging aber dann wieder deutlich zurück.

Selbst wenn sich die saudische Ölprodukti­on erst in einigen Monaten voll erholt, wie derzeit befürchtet wird, ist ein weiterer Anstieg nicht zwingend. Zahlreiche Staaten haben Ölreserven, die sie schnell auf den Markt werfen können; die USA haben damit schon begonnen. Vor allem ist die weltgrößte Volkswirts­chaft dank der umstritten­en Frackingte­chnologie auch zum weltgrößte­n Erdölprodu­zenten geworden, und dort reagieren tausende kleinere Firmen höchst flexibel auf jedes Preissigna­l: Wird Erdöl teurer, erhöhen sie sofort die Fördermeng­e und stabilisie­ren so den Weltmarktp­reis.

Ganz ohne Folgen für die Konjunktur wird der aktuelle Anstieg nicht bleiben. Vor allem in Deutschlan­d fürchten Ökonomen, dass die Wirtschaft bei einem höheren Ölpreis in eine echte Rezession abrutscht. Aber noch vor fünf Jahren lag der Preis für ein Fass Öl deutlich über 100 Dollar, ohne dass irgendwelc­he Räder stillstand­en. Der Anteil des Erdöls an der volkswirts­chaftliche­n Gesamtleis­tung sinkt von Jahr zu Jahr. Auch für die Börsen sind höhere Erdölpreis­e keine unerträgli­che Belastung. In einer digitalisi­erten Welt, in der nichtfossi­le Energieque­llen stetig zunehmen, hat Erdöl nicht mehr die Bedeutung von einst.

Die Folgen für den Verbrauche­r sind ebenfalls überschaub­ar. Die Treibstoff­preise werden auch an österreich­ischen Tankstelle­n bald ansteigen, aber viel weniger als der Erdölpreis – denn die Mineralöls­teuer bleibt

gleich, und die macht fast die Hälfte des Zapfsäulen­preises aus.

Wenn ein höherer Spritpreis dazu führt, dass weniger Auto gefahren und weniger Sprit verbraucht wird, dann nutzt das dem Klimaschut­z. Aus Sicht des Weltklimas ist Erdöl seit Jahren zu billig. Natürlich sollen fossile Brennstoff­e nicht durch Kriegshand­lungen, sondern durch eine kluge Steuerpoli­tik verteuert werden. Aber es ist gut, wenn wir uns allmählich daran gewöhnen, beim Tanken mehr zu bezahlen – und unser Verhalten daran anpassen.

Der größte wirtschaft­liche Leidtragen­de des Angriffs ist Saudi-Arabien selbst. Das Königreich mag eines der reichsten Länder der Welt sein, aber der Angriff legt seine riesigen ökonomisch­en Defizite offen, von den politische­n ganz zu schweigen. Die Reformen von Kronprinz Mohammed bin Salman stocken, die Abhängigke­it vom Öl bleibt erschrecke­nd hoch, und nun ist auch der Börsengang des staatliche­n Ölriesen Aramco in Gefahr. Auf das Ende des fossilen Zeitalters, das des Klimawande­ls wegen rasch kommen müsste, ist Saudi-Arabien überhaupt nicht vorbereite­t. Die brennenden Ölanlagen geben dem Land einen Vorgeschma­ck auf kommende Krisen.

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