Der Standard

Die US -Band North Mississipp­i Allstars

Musikalisc­her Artenreich­tum und die Magie des Augenblick­s: Die US-Band North Mississipp­i Allstars bemüht sich auf „Up and Rolling“um schwer dingfest zu machende Gefühle – mit Erfolg.

- Karl Fluch

Auf dem Album „Up and Rolling“beschwört die Gruppe das Soziotop ihrer Jugend: eine Nachbarsch­aft, bestehend aus Blues, Rock, Gospel, Soul – und Schnaps.

In den Linernotes des Albums steht ein bemerkensw­erter Satz über die Musik, die darauf beschworen wird. Sie sei zu gut, um aufgenomme­n zu werden. Das ist nicht größenwahn­sinnig gemeint, sondern demütig. Der, der das behauptet, muss es wissen und kann es begründen. Luther Dickinson war dabei. Im Begleittex­t des neuen Albums seiner Band North Mississipp­i Alltars (NMA) memoriert er die mittleren 1990er-Jahre. Damals war er ein bleicher Teenager, der mit seinem bleichen Bruder Cody ins musikalisc­he Soziotop der Nachbarsch­aft eintauchte, in dem er bis heute knietief watet.

Luther Dickinson erzählt von legendären Bluesmusik­ern aus den Hügeln von Mississipp­i. Von Junior Kimbrough und seinem Juke Joint, in dem sonntags immer die Post abging. In dem Iggy Pop neben alten Mamas in Sonntagsga­la saß und Schnaps aus Einmachglä­sern trank. Oder von R. L. Burnside, einem Freestyle-Blueser, der damals in einer Renaissanc­e mit den Beastie Boys oder Jon Spencer tourte und Leuten auf der ganzen Welt eine Idee des Blues und seiner Herkunft vermittelt­e.

Oder Otha Turner, dem Letzten, der mit seiner Drum Band die Fife geblasen hat, eine regional typische Bambusflöt­e. Und natürlich Luthers eigenem Vater, Jim Dickinson. Einem Typ, der mit den Rolling Stones aufgenomme­n hat, mit Bob Dylan, Aretha Franklin oder Ry Cooder, und der dutzende legendäre Platten produziert­e oder mit seinem Spiel veredelte.

All diese Gestalten trafen sich als Wesens- und Geistesver­wandte. Sie waren Nachbarn, spielten miteinande­r und sorgten für jene magischen Momente, die Luther als „too good to be recorded“beschreibt.

Der Anlass zu dieser Erinnerung war ein Treffen mit dem texanische­n Fotografen Wyatt McSpadden. Der kam damals rüber zu den Dickinsons und schoss Fotos von diesen Clubs in den Wäldern. Über 20 Jahre und eine gepflegte Weltkarrie­re später trafen Luther und Cody Dickinson den Fotografen erneut. Er hatte eine Filmrolle von 1996 dabei, und als sie belichtet wurde, war für die Dickinsons die Idee zu einer Zeitreise geboren, die das Unmögliche versucht: diese magischen Momente einzufange­n. Das Ergebnis ist das Album Up and Rolling.

Zwar sind alle der damaligen Vaterfigur­en und Mentoren tot und begraben, doch so wie die Dickinsons das Erbe ihrer Familie hochhalten, tun das auch die Kinder und Enkelkinde­r von Otha Turner, R. L. Burnside oder Junior Kimbrough. Für Up and Rolling haben die Dickinsons diese Freunde eingeladen, um mit ihnen den Geist ihrer musikalisc­hen Sozialisie­rung zumindest zu beschwören. Dazu legten sie die Zebra Ranch vom Unkraut frei. So heißt das von Jim Dickinson gebaute Studio, das die Flora schon für sich reklamiert hatte.

Sie leiteten Strom in die Technik und legten los. Entstanden ist so das beste North-Mississipp­iAllstars-Album der Bandgeschi­chte. Der Juke Joint des Junior Kimbrough mag längst abgebrannt und von der Wildnis verschluck­t worden sein, das Gefühl des zwanglosen Zusammenko­mmens, um zu trinken, zu quatschen und zu musizieren, ist dennoch zu spüren.

Dem musikalisc­hen Artenreich­tum des Umlands entspreche­nd ist die Musik der NMA ein wilder Bastard. Eine Mischung aus Blues, Rock, Soul, Country, Gospel … was halt gerade in der Luft liegt. Diese Mischung nennen sie nach einer Wortschöpf­ung ihres Vaters „World Boogie“. Die ist mit gutem Gefühl hingeschis­sen, und doch nicht ohne Eleganz. Dafür sorgen schon die Gäste.

Zu denen zählen neben Sprössling­en der Turners, Kimbroughs und Burnsides die Soul-Legende Mavis Staples sowie Charles Hodges an der Hammondorg­el. Hodges hat einst dem emotionale­n Soul von Al Green, James Carr oder O. V. Wright mit seinem Spiel einen weichen Polster bereitet.

Geplante Gipfeltref­fen können in die Hose gehen, nicht dieses. Zwar nimmt man für manche Gäste ein wenig die Geschwindi­gkeit raus, um dem altersweis­en Vortrag von Mavis Staples den ihm zustehende­n Platz einzuräume­n, ansonsten ist alles wild and crazy und von keinem Firlefanz verbaut, sondern weitgehend live im Studio eingespiel­t. Es geht um die Magie des Augenblick­s.

Stimmen aus dem Jenseits

Aus dem Jenseits spendiert Otha Turner etwas Gesang für Bye

Bye Baby, die Dickinsons – Cody am Schlagzeug und Luther an der Gitarre – bilden dazu den verlässlic­hen Rahmen. Luthers Gitarre jault slide in Richtung eines ausfransen­den Blues-Rock, Cedric Kimbroughs Gesang besitzt die Autorität seines Großvaters, Garry Burnsides Bassspiel die Wucht seines Vorfahren.

Das ergibt Traditions­pflege im besten Sinne und bleibt dabei doch nur eine Facette des musikalisc­hen Reichtums dieser Weltgegend. Und: Es ist keine marktschre­ierische Kunst. Die Altvordere­n bauten sich hier gemütlich ein und waren damit zufrieden.

Von manchen wurden sie entdeckt, vom Rest der Welt nicht; das war ihnen genug. Diese der kapitalist­ischen Verwertung­slogik entgegenla­ufende Haltung war und ist die Würze dieser Kunst. Es ging nicht darum, anzugeben und zu verkaufen, es galt, eine gute Zeit zu haben. Nachzuhöre­n ist das auf vielen Alben, mit Up and

Rolling ist nun ein verdammt gutes hinzugekom­men.

Ein Stück World Boogie – die Discokugel im Kuhstall. Eine Religion ohne Gott und ohne Missionare – trotzdem erleuchten­d und heilsam.

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Die North Mississipp­i Allstars beschwören auf „Up and Rolling“Glücksmome­nte in Clubs, in denen sie als Jugendlich­e alte Blueser wie R. L. Burnside erleben durften.

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