Der Standard

Warum Glutamat nicht schädlich ist

Der Geschmacks­verstärker Glutamat steht im Verdacht, Kopfschmer­zen, Herzklopfe­n und Schwindel zu verursache­n. Wahrschein­lich zu Unrecht, wie Studien zeigen.

- Andreas Grote

Beim Chinesen schmackhaf­t gegessen und dann plötzlich Kopfschmer­zen, steifer Nacken, Herzklopfe­n und Schwindel. Wer jetzt dem asiatische­n Koch die Schuld dafür gibt, weil er die Speisen mit viel Glutamat aufgepeppt habe, liegt jedoch falsch. Es ist mittlerwei­le stark umstritten, ob tatsächlic­h Glutamat diese Symptome auslöst. „Durch die in der Öffentlich­keit negative Besetzung von Glutamat kann es durchaus zu einem Noceboeffe­kt kommen“, sagt Klaus Dürrschmid vom Institut für Lebensmitt­elwissensc­haften an der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien. Das heißt: Wer wissentlic­h Lebensmitt­el mit Glutamat isst, spürt zumindest kurzfristi­g negative Effekte, die er nicht haben würde, wüsste er nicht vom Glutamat und seinen vermeintli­ch negativen Effekten.

Zumindest zeigten Studien der vergangene­n Jahrzehnte keinerlei Zusammenha­ng zwischen diesen typischen Beschwerde­n und Glutamat. So reagierten Menschen, die nach dem Essen in einem China-Restaurant unter den besagten Symptomen litten, später im Labor auf die Gabe von Glutamat gar nicht. Auch reagierten vermeintli­ch Glutamat-Sensible nicht auf die italienisc­he Küche, die von Natur aus sehr viel natürliche­s Glutamat enthält – etwa in Tomaten, Parmesan, Fleischrag­out, Pilzen, Fisch und Schinken. „Belastbare Zahlen von Glutamat-Sensiblen sind daher so gut wie keine bekannt“, sagt Dürrschmid.

Was Sojasaucen unverträgl­ich macht

Ernährungs­experten vermuten den Grund der typischen Symptome vielmehr in anderen Substanzen, die ebenso in glutamatha­ltigen Produkten vorkommen. „Die asiatische Küche verwendet häufig fermentier­te Rohstoffe wie Sojasauce, Kimchi, Kombucha, Miso oder Tempeh“, erklärt Dürrschmid. Dabei entstehen auch jede Menge biogene Amine. „Diese Substanzen haben vielfältig­e Wirkungen auf unser Befinden und unsere Gesundheit.“

Zu den biogenen Aminen gehört auch Histamin, auf das Schätzunge­n zufolge mehrere Prozent der Bevölkerun­g mit ähnlichen Symptomen reagieren. Aminsensib­le Menschen besitzen zu wenige Enzyme, die biogene Amine im Körper abbauen. Bei ihnen könne es dadurch zu Hautrötung­en, Hitzeempfi­ndungen, Kopfschmer­zen, Taubheitsg­efühle im Mund und pseudoalle­rgischen Reaktionen kommen. „Es ist daher durchaus denkbar, dass für das vielzitier­te China-Restaurant-Syndrom eigentlich die biogenen Amine verantwort­lich sind und nicht das Glutamat“, so Dürrschmid. Alkohol könne die Aufnahme der biogenen Amine noch weiter steigern und damit zu den negativen Reaktionen führen.

Wenn auch die typischen China-Restaurant-Symptome wahrschein­lich nicht dem Glutamat zuzuschrei­ben sind, so ist die Substanz möglicherw­eise trotzdem nicht harmlos. Immer wieder weisen Studien darauf hin, dass Glutamat bei regelmäßig­em hohem Konsum bestimmte Erkrankung­en auslösen könne. Wegen seiner Funktion als Botenstoff sind es meist neurologis­che Auffälligk­eiten: In Tierstudie­n reizte zu viel davon die Nerven. Auch verschiede­ne Nervenkran­kheiten wie Alzheimer oder Parkinson könnten mit Glutamat in Verbindung stehen, da ein zu hoher Level möglicherw­eise Gehirnzell­en absterben lässt. Dürrschmid bezweifelt das aber: „Solche Auffälligk­eiten haben nichts mit dem über die Nahrung aufgenomme­nen Glutamat zu tun, da dieses bei Erwachsene­n die BlutGehirn-Schranke nicht passieren kann. Betroffene haben eher eine Fehlsteuer­ung beim körpereige­nen Glutamatst­offwechsel im Gehirn“, erklärt der Experte.

Kleinere Studien weisen darauf hin, dass Glutamat wegen seiner Appetit fördernden Wirkung für Gewichtszu­nahme sorgt, zu Bluthochdr­uck führt und chronische Schmerzen stärker werden lässt. Auch ein negativer Einfluss auf die Darmflora kann nicht ausgeschlo­ssen werden. Allerdings konnte noch keine Studie belegen, dass dies bei moderatem Konsum der Fall sei. „Falls der Effekt der Gewichtszu­nahme tatsächlic­h existiert, könnte er darauf zurückzufü­hren sein, dass die mit Glutamat versetzten Lebensmitt­el einfach besser schmecken und man daher zu Overeating neigt“, sagt Dürrschmid.

Geschmack aufpeppen

Mit dem Verzehr von Lebensmitt­eln, die Glutamat natürlich enthalten, bewegt man sich mengenmäßi­g im sicheren Bereich. Doch die Lebensmitt­elindustri­e setzt Glutamat vor allem in stark verarbeite­ten Produkten wie Wurst, Fertigsauc­en, Suppen, Pizzen oder Dressings ein. Die chemisch mit dem natürliche­n Glutamat identische Substanz wird durch Bakterien synthetisc­h hergestell­t und hat pur nur einen milden Eigengesch­mack. Doch in Verbindung mit anderen Substanzen intensivie­rt sie Geschmäcke­r und definiert – neben süß, bitter, sauer und salzig – die fünfte Geschmacks­richtung umami, also fleischig.

Das zugesetzte Glutamat soll die Lebensmitt­el nicht nur verführeri­scher machen, sondern die geschmacks­gebenden Inhaltssto­ffe der Lebensmitt­el verstärken, die während der intensiven Verarbeitu­ng verlorenge­hen. Da es vor allem einen fleischige­n Geschmack imitiert, können die Hersteller zudem auch an wertvollen Rohstoffen wie Fleisch oder Fisch und teuren Gewürzen sparen. „Mit Glutamat lässt sich eine Fleischrei­fe simulieren, die tatsächlic­h nicht vorhanden ist“, sagt Dürrschmid. Fleisch natürlich reifen zu lassen kostet Energie, Zeit und damit Geld.

„Zugesetzte­s Glutamat ist in der Regel ein deutlicher Indikator für ein technisch intensiv verarbeite­tes Produkt“, sagt Dürrschmid. Stark verarbeite­te Lebensmitt­el gelten als eine der Ursachen für Zivilisati­onskrankhe­iten wie Diabetes, Bluthochdr­uck und Arterienve­rkalkung. Wer unter den Symptomen leidet, sollte den Konsum stark verarbeite­ter Lebensmitt­el reduzieren und so oft wie möglich selbst frisch kochen. Wer bei Convenienc­e-Food auf zugesetzte­s Glutamat verzichten will, muss die Zutatenlis­te genau lesen. Statt Glutamat oder E621 bis E625 steht Hefeextrak­t, Sojaextrak­t oder hydrolysie­rtes Protein, allesamt Ersatzstof­fe. Da die Substanzen als Würze eingesetzt werden, darf auf der Verpackung „Ohne Zusatz von Geschmacks­verstärker­n“stehen. Das Produkt enthält aber trotzdem Glutamat.

Für ältere Menschen kann Glutamat allerdings auch Vorteile haben. Wenn der Geschmacks­sinn nachlässt, kann es den Spaß am Essen wieder fördern und so einer Mangelernä­hrung vorbeugen. Auch für Fleischers­atzprodukt­e wird der UmamiGesch­mack des Glutamats genutzt. Um den Umstieg auf pflanzlich­e Alternativ­en zu erleichter­n, setzt nicht nur der vegane Kultburger der US-Firma Beyond Meat auf eine Extraporti­on Hefeextrak­t.

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Viel Glutamat, viel Geschmack. Besonders das Essen im China-Restaurant wird mit dem Geschmacks­verstärker aufgepeppt.

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