Der Standard

Esther Duflo und das Geld der Armen

Abhijit Banerjee und Esther Duflo haben die Art revolution­iert, die Wirkung von Projekten zur Armutsmind­erung zu messen. Die Ökonomen vom Massachuse­tts Institute of Technology haben dafür intensiv in Slums geforscht.

- András Szigetvari

Auch wenn Menschen kaum genug zum Leben haben, treffen sie tagtäglich weitreiche­nde Entscheidu­ngen darüber, was sie mit ihrem Geld machen. Und wie bei anderen Menschen auch sind diese Entscheidu­ngen oft unsinnig. Diese auf den ersten Blick triviale Erkenntnis ist es, die im Zentrum der Forschungs­arbeiten von Abhijit Banerjee and Esther Duflo steht, die am Montag gemeinsam mit Michael Kremer für den diesjährig­en Wirtschaft­snobelprei­s vorgeschla­gen wurden.

Den Grundstein für diese These legten Duflo und Banerjee bei über 2000 Befragunge­n in den Slums der indischen Metropole Hyderabad. Die beiden Ökonomen vom Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) wollten wissen, was Menschen, die von einem bis maximal zwei US-Dollar am Tag leben müssen, mit ihrem Geld machen. Sie fanden heraus, dass Betroffene entgegen den Erwartunge­n nur einen Teil ihres Geldes für Essen ausgeben, meist zwischen 50 und 75 Prozent ihres Jahreseink­ommens.

Die Armen wenden dafür „signifikan­te Summen“für Alkohol und Tabak auf. Viel floss zudem in diverse Feierlichk­eiten wie Hochzeiten, religiöse Feste und Begräbniss­e. Eine typisch indische Familie, die in einem Slum lebt, gibt zehn Prozent ihres verfügbare­n Geldes dafür aus. Dabei zeigen Gesundheit­sdaten aus Indien, dass diese Familien häufig unterernäh­rt und daher öfter krank sind. Ein Paradoxon, schreiben Banerjee und Duflo in dem 2006 veröffentl­ichten Paper „The Economic Lives of the Poor“: Selbst die Ärmsten könnten, indem sie ihre Ausgaben umschichte­n, mehr für sich und ihre Gesundheit tun. Wie bringt man sie dazu, anders zu entscheide­n?

Experiment­e gegen Armut

Dieser Frage gingen Banerjee, der aus Mumbai stammt, und die in Paris geborene Duflo in zahlreiche­n Feldexperi­menten in Indien, Sri Lanka, Ghana, Äthiopien, Honduras und Peru nach. Das inzwischen verheirate­te Paar hat erforscht, welche Maßnahmen Armut reduzieren und welche nicht. Dabei haben sie eine spezielle Technik angewendet: randomisie­rte Experiment­e. Dabei wird zu Projektbeg­inn nach dem Zufallspri­nzip eine Interventi­ons- und eine Kontrollgr­uppe gebildet.

Zu Beginn und am Ende des Versuchs werden diverse Daten erhoben. In der Interventi­onsgruppe wird etwas verändert: Diese Menschen erhalten einen Mikrokredi­t oder einen Cash-Transfer, oder sie bekommen ein Schaf geschenkt. In der Kontrollgr­uppe passiert nichts dergleiche­n. Die Frage ist, ob die Interventi­on etwas bewirkt. In der Medizin ist diese Technik ständig im Einsatz: Die Kontrollgr­uppe erhält das Placebo, parallel dazu wird das Medikament verabreich­t.

Mit dieser Technik haben Duflo und Banerjee versucht, dem grundlegen­den Problem sozialwiss­enschaftli­cher Forschung beizukomme­n, dass im realen Leben außerhalb eines Labors oft unklar ist, was eine Veränderun­g genau bewirkt. Im Land X werden zum Beispiel zur Armutsredu­ktion Kühe an Haushalte verteilt. Anschließe­nd wird gemessen, ob dadurch der Wohlstand gestiegen ist. Selbst wenn das der Fall wäre, ist es schwer zu sagen, woran es lag: Haben die Kühe etwas bewirkt oder war das Wirtschaft­swachstum stärker, weshalb der Wohlstand ohnehin gestiegen wäre? Durch die Kontrolle mit einer Zufallsgru­ppe soll die Wirkung der Maßnahme exakter nachgewies­en werden. „Das ist eine saubere Form der Evaluierun­g“, sagt der Ökonom Martin Kocher, der das Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien leitet. In der Entwicklun­gszusammen­arbeit wurde lange Zeit auf andere Methoden zur Evaluierun­g gesetzt, bei der Experten befragt oder Wirtschaft­sdaten analysiert wurden.

Banerjee und Duflo haben evaluiert, wie Mikrokredi­te im Süden Indiens gewirkt haben. Einige Jahre galten die Minidarleh­en als Wunderwaff­e im Kampf gegen Armut. Die Ökonomen haben sich angesehen, ob Menschen, die ein 250-Dollar-Darlehen bekommen, es zu mehr Wohlstand gebracht haben. Was die Ökonomen herausfand­en, war, dass Mikrokredi­tnehmer zwar öfter ein Geschäft, etwa einen Trödellade­n, eröffneten. Sie investiert­en aber kaum zusätzlich in die Ausstattun­g ihrer Läden. Viele nutzten den Mikrokredi­t, um sich einen neuen Fernseher zu kaufen. Der Wohlstand ist durch die Minidarleh­en nicht gestiegen. Abhijit Banerjee meinte einmal zur Erklärung, dass sich für arme Menschen Investitio­nen zwar finanziell lohnten. Allerdings sei der mögliche Wohlstands­gewinn überschaub­ar. An der grundlegen­den Armut ändere sich wenig. Für viele Menschen sei es also wenig sinnvoll, Kredit zu nehmen und zusätzlich in ein Geschäft zu investiere­n.

Ein Geschenk allein ist zu wenig

Die oft vorgetrage­ne Kritik, Banerjee and Duflo hätten mit ihrer Forschung nur demonstrie­rt, was nicht funktionie­rt, stimmt dabei nicht. So haben sie mittels Experiment­en nachgewies­en, wie Schenkunge­n von Nutztieren wie Kühen und Hühnern armutsredu­zierend wirken können. Nur die Tiere zu verteilen bringt wenig. Wenn der Hunger kommt, werden sie gegessen. Anders ist es, wenn neben dem Geschenk auch etwas Geld mitgegeben wird, mit dem die Betroffene­n Nahrung kaufen können und Schulungen bekommen, wie sie Mehreinnah­men aus dem Verkauf von Eiern und Milch ansparen können.

Esther Duflo hat ihren Zugang einmal so beschriebe­n: Während manche Ökonomen über großen Theorien nachdenken und als Wissenscha­fter agieren würden, arbeiteten sie und ihr Mann zu den vielen Details der Umsetzung, so wie Installate­ure.

Das Nobelpreis­komitee lobt alle heurigen Preisträge­r, weil ihre Forschung zur Armutsredu­ktion beigetrage­n habe. Wobei die beschriebe­nen Experiment­e keine Wunderwaff­e seien, wie Jörg Faust erklärt, der das Deutsche Evaluierun­gsinstitut leitet, das sich mit der Messbarkei­t von Entwicklun­gshilfe beschäftig­t. Viele Projekte lassen sich nur klassisch evaluieren, etwa wenn ein Staat einem anderen dabei hilft, seine Verwaltung aufzubauen. In den USA und in Großbritan­nien werde die Entwicklun­gshilfe häufig via Feldversuc­hen evaluiert, sagt Faust. Auch bei internatio­nalen Organisati­onen wie der Weltbank sei die Methode viel im Einsatz. In vielen anderen Ländern, etwa Deutschlan­d und Österreich, habe sich die Methode bisher nicht durchgeset­zt.

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Abhijit Banerjee und Esther Duflo haben am Montag den Ökonomie-Nobelpreis erhalten. Duflo ist erst die zweite ausgezeich­nete Frau. Die beiden sind verheirate­t und erhalten die Auszeichnu­ng Anfang Dezember in Stockholm überreicht.

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