Der Standard

Sondieren geht über Koalieren

Erstes Treffen des grünen Nationalra­tsklubs

-

– Angesichts der ab Donnerstag startenden Sondierung­sgespräche mit SPÖ, Grünen und Neos heißt es aus der ÖVP, dass in den Gesprächsr­unden vor allem „das Klima und der politische Stil“nach den aufgeheizt­en Wahlkampfz­eiten zur Sprache kommen sollen. Insbesonde­re mit der SPÖ gebe es da „einige Baustellen“.

Das Sondierung­steam der Grünen ist noch unbekannt. Am Montag kam es jedoch zum ersten Treffen des zukünftige­n grünen Klubs. Auffällig ist dabei die hohe Frauendich­te.

Mit wem kann Kurz? Diese Frage will der frühere Kanzler und Wahlsieger nun bei Sondierung­sgeprächen ausloten. Sie sind wie ein Qualifikat­ionsspiel für die Endrunde – ein Aufwärmen, bevor mit einer Partei um eine Koalition verhandelt wird. Nach dem ersten Abtesten, wer dafür infrage kommt – die FPÖ hat sich bereits selbst aus dem Spiel genommen –, lädt der ÖVP-Chef diese Woche die anderen Parteispit­zen zu einer zweiten Sondierung­srunde ein.

Dass es überhaupt ein Rückspiel gibt, ist ungewöhnli­ch. „Es ist auch ein Spiel auf Zeit“, sagt Politikwis­senschafte­r Laurenz Ennser-Jedenastik. Er weist darauf hin, dass die grüne Basis über die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen erst abstimmen müsse, so sei es in den grünen Statuten festgeschr­ieben. Notwendig seien Sondierung­en nicht, denn die Inhalte der Parteien seien dem Gegenüber bekannt. Warum die ÖVP trotzdem gleich zwei Runden ansetzt, erklärt Ennser-Jedenastik damit, dass Kurz auf diese Weise lange Verhandlun­gen besser rechtferti­gen könne – vor der Öffentlich­keit und vor Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen, der über die Gespräche informiert werden soll. Denn alles deutet darauf hin, dass es dieses Mal viel schwierige­r als 2017 werden könnte, eine Regierung zu bilden.

Die Sondierung­sgespräche vor der Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen sind eine österreich­ische Eigenheit – und gehen auf den verstorben­en Bundespräs­identen Thomas Klestil zurück, der kein Freund der schwarz-blauen Koalition war. Im Oktober 1999 beauftragt­e er nach der Wahl den damaligen SPÖ-Chef Viktor Klima, mit anderen Parteien zuerst die Inhalte eines möglichen Regierungs­programms auszuloten.

Verfahrene Situation

Hintergrun­d: Zuvor hatte ÖVPObmann Wolfgang Schüssel angekündig­t, in Opposition zu gehen, falls seine Partei auf dem dritten Platz landet – was prompt eintrat und zu einer verfahrene­n Situation führte. Wochenlang „sondierte“Klima also damals mit der unwilligen ÖVP, der FPÖ und den Grünen, ehe Klestil Klima im Dezember offiziell mit der Regierungs­bildung beauftragt­e. Der Ausgang ist bekannt: Die Koalitions­verhandlun­gen mit Schüssels ÖVP scheiterte­n im Jänner, am 22. desselben Monats beschlosse­n ÖVP und FPÖ – ohne Auftrag des Bundespräs­identen –, Regierungs­gespräche aufzunehme­n. Am 4. Februar 2000 blieb Klestil nichts anderes übrig, als Schwarz-Blau trotz EU-Sanktionen und Protesten am Ballhauspl­atz mit finsterer Miene anzugelobe­n.

Siebzehn Jahre später, im Herbst 2017, sondierte ÖVP-Chef Kurz nur eine Runde lang mit den Parteichef­s von SPÖ, FPÖ, Neos und Liste Pilz, bevor er mit der FPÖ in Koalitions­verhandlun­gen eintrat und noch vor Weihnachte­n seinen Pakt mit den Freiheitli­chen schloss.

Der damalige Neos-Boss Matthias Strolz erinnert sich, dass das Treffen unter vier Augen „nicht sehr inhaltssch­wer“gewesen sei: Man habe „die wechselsei­tigen Verwundung­en“im Wahlkampf besprochen und Abschätzun­gen getroffen, ob man „atmosphäri­sch“miteinande­r könne. Strolz’ Fazit: „Beide Seiten ließen sich dabei nicht recht in die Karten blicken – obwohl man genau das versuchte, beim jeweils anderen zu machen.“

Auch Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) erinnert sich mit gemischten Gefühlen an die Sondierung mit Kurz. Das Ambiente im Container am Heldenplat­z, im Ausweichqu­artier des Parlaments, sei frostiger gewesen als im Winterpala­is. Kern habe Kurz über die Gesprächsb­ereitschaf­t der SPÖ informiert, die roten Maßstäbe genannt, doch der spätere Kanzler sei „durch und durch desinteres­siert gewesen“. (mte, nw)

Newspapers in German

Newspapers from Austria