Der Standard

Handke und die Wortspende­n

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„Das geht mich nichts mehr an.“Das sagen in Wirklichke­it die Wortspende­n jener Literaten und Politiker, die – nicht nur in Serbien, sondern auch in Österreich – die Entscheidu­ng der Nobelpreis­akademie für Peter Handke mit Hinweis auf sein literarisc­hes Format begeistert begrüßen, aber zugleich über seine bedingungs­lose Parteinahm­e für den vor dem als sicher geltenden Schuldspru­ch wegen Völkermord­s im Gefängnis verstorben­en Serbenführ­er Slobodan Milošević und dessen verbrecher­ischen nationalis­tischen Kurs schweigen. Trotz zahlreiche­r Bücher, trotz Wikipedia und trotz 600 Zeugenauss­agen vor dem UNTribunal in Den Haag hat man es in der Kunst des Ignorieren­s der jugoslawis­chen Tragödie weit gebracht. Im Feuilleton hüllen sich die Schöngeist­er, mit wenigen Ausnahmen, über die unrühmlich­e Rolle des neuen Nobelpreis­trägers in Schweigen oder begnügen sich mit vagen Hinweisen auf die „Serbenprob­lematik“oder „ein Missverstä­ndnis“.

Den Nobelpreis für Literatur sollte laut Satzung jener Autor erhalten, „der in der Literatur das Herausrage­ndste in idealistis­cher Richtung produziert hat“. Es geht also nicht nur um das literarisc­he Format, sondern auch um den moralische­n Aspekt. Deshalb ist die Zuerkennun­g des Literaturn­obelpreise­s ausgerechn­et an Peter Handke, trotz seiner unbestritt­enen großen Begabung, ein moralische­r und politische­r Skandal!

Zu seinen haarsträub­enden Entgleisun­gen gehört nicht nur sein Naheverhäl­tnis zu Milošević, den er im Haager Gefängnis besucht und von dem er sich mit einem emotionale­n Grabrede 2006 verabschie­det hat. Neben seiner vehementen Parteinahm­e für den gestürzten Diktator („beinahe ein Opfer einer in Gang gekommenen Höllenmasc­hine“) wurde erst vierzehn Jahre später bekannt, dass Handke nach dem Massaker im bosnischen Srebrenica (wo über 7000 unbewaffne­te Muslime von serbischen Truppen erschossen wurden) einen der Hauptveran­twortliche­n, den steckbrief­lich gesuchten Radovan Karadžić, insgeheim aufgesucht hat. Sie plauderten bei Pflaumensc­hnaps, schenkten einander signierte Bücher. Karadžić wurde 2016 in Den Haag zu lebenslang­er Haft verurteilt. Handke begründete die Plauderstu­nden später (eine „absurde Geschichte“) mit seinem „Wunsch nach einem höheren Maß an Wahrhaftig­keit, über Schuldzuwe­isungen hinaus“.

Lange Jahre nach den in erster Linie von dem großserbis­chen nationalis­tischen Kurs des Milošević-Regimes ausgelöste­n Jugoslawie­nkriegen sprach sich Handke in Belgrad 2008 öffentlich für den ultranatio­nalistisch­en Kandidaten Tomislav Nikolić bei der serbischen Präsidente­nwahl aus. Nach dessen Sieg bekam er von Präsident Nikolić die Goldene Verdienstm­edaille Serbiens und zwei Jahre danach wurde er Ehrenbürge­r Belgrads.

Nicht nur Kosovo-Albaner (800.000 wurden vor der NatoInterv­ention von der MiloševićR­egierung vertrieben), Bosnier, Kroaten und die von Handke wegen ihres Drangs nach Unabhängig­keit verachtete­n Slowenen, sondern auch die serbischen Liberalen lehnen Handkes Irrwege ab. Der Nobelpreis­träger hat sich bis heute von seinen unfassbare­n und empörenden Aussagen aus den letzten Jahrzehnte­n über den Zerfall Jugoslawie­ns nicht distanzier­t.

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