Angst vor Eskalation zwischen Türkei und Assad-Truppen
Syrische Soldaten und türkische Armee nur 35 Kilometer voneinander entfernt
Ankara/Damaskus – Nach der Einigung zwischen den kurdischen YPG-Milizen und dem syrischen Regime sind am Montag erste Regierungssoldaten in Grenzstädten im Norden Syriens eingerückt. Die Kurden erhoffen sich von den Truppen von Staatschef Bashar alAssad Schutz vor der türkischen Armee, die seit Mitte der vergangenen Woche in dem kurdisch kontrollierten Grenzgebiet einmarschiert. Ein Augenzeuge berichtete dem STANDARD von massiven Kämpfen und Zerstörungen.
Regierungstruppen sollen laut syrischen Staatsmedien unter anderem in Tel Tamer Stellung bezogen haben. Die Stadt ist nur 35 Kilometer von Ras al-Ain entfernt, einem der zentralen Ziele der türkischen Armee. Dies weckt Ängste vor einer weiteren Eskalation. Die EU hat am Montag Ankaras Militäroffensive verurteilt. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg forderte die Beendigung der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei.
Auch das mögliche Entkommen tausender IS-Kämpfer aus kurdischen Gefängnissen bereitet dem Westen Sorge. Trotz Kritik am Vorgehen Washingtons haben am Montagabend alle in Nordsyrien stationierten US-Truppen den Befehl erhalten, das Land zu verlassen. US-Präsident Donald Trump hat wegen der Offensive der Türkei Wirtschaftssanktionen gegen Ankara angekündigt.
Der Krieg in den nordsyrischen Kurdengebieten eskaliert nach dem Beginn des türkischen Einmarsches Mitte vergangener Woche weiter. Die syrische Armee von Machthaber Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Streitkräften (SDF) am Montag in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der „türkischen Aggression“entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichten. Soldaten hätten in Tel Tamer, in Tabqa nahe Raqqa, Ain Issa und weiteren Orten Stellung bezogen, heißt es dort. Assads Truppen seien bei ihrer Ankunft in Tel Tamer von jubelnden Einwohnern begrüßt worden. Die Stadt liegt an der strategisch wichtigen Fernstraße M4, die parallel zur türkischen Grenze von Osten nach Westen führt. Die Regierungstruppen teilten mit, die Straße am Sonntag unter ihre Kontrolle gebracht zu haben. Tel Tamer ist nur 35 Kilometer von Ras alAin entfernt, das eines der zentralen Ziele der türkischen Armee ist.
„Militärische Übereinkunft“
Die syrischen Soldaten würden in die Grenzstädte von Manbij bis Derik einziehen, sagte der führende Kurdenvertreter Badran Jia Kurd zur Agentur Reuters. „Das ist eine vorläufige militärische Übereinkunft. Die politischen Aspekte wurden nicht besprochen.“Nachdem die USA der Türkei grünes Licht für ihren Angriff gegeben hätten, sei man gezwungen gewesen, nach einer anderen Option zu suchen, sagte Kurd. SDF-Kommandant Mazlum Abdi, auch Mazlum Kobanê genannt, bezeichnete das neue kurdisch-syrische Bündnis in einem Beitrag für das US-Magazin Foreign Policy als „schmerzhaften Kompromiss“. Die Kurden stünden nach dem Abzug der US-Truppen „den türkischen Messern jetzt mit nackter Brust entgegen“; notgedrungen habe man sich auf der Suche nach Hilfe an Damaskus – und an dessen Schutzmacht Moskau – gewandt. „Wenn wir zwischen Kompromissen und dem Genozid an unserem Volk wählen müssen, werden wir uns mit Sicherheit für das Leben unserer Bevölkerung entscheiden“, schrieb Abdi.
Unterdessen wächst die internationale Kritik an der Türkei. Vor allem in der EU wird befürchtet, dass sich der Krieg ausweitet, sollte es zu einer direkten Konfrontation zwischen Syrien und dem Nato-Mitglied Türkei kommen. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg sprach sich Montag für ein Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara aus. US-Präsident Donald Trump hat den Kurden unterstellt, sie wollten mit der Freilassung von IS-Terroristen die USA in den Konflikt mit der Türkei hineinziehen. Der angekündigte Truppenabzug ist indes voll angelaufen, alle in Nordsyrien stationierten US-Truppen haben den Befehl erhalten, das Land zu verlassen. (flon)