Der Standard

In Ungarns Städten weht künftig ein anderer Wind

Anders als es die Orbán-nahen Umfrageins­titute vorausgesa­gt hatten, wird ein junger Soziallibe­raler neuer Bürgermeis­ter von Budapest. Auch in anderen ungarische­n Großstädte­n siegte die Opposition.

- Gregor Mayer aus Budapest

Bei den landesweit­en Kommunalwa­hlen in Ungarn hat die Opposition am Sonntag einen unerwartet deutlichen Sieg gelandet und der Fidesz-Partei des Rechtspopu­listen Viktor Orbán eine empfindlic­he Niederlage zugefügt. In Budapest stieß der grün-liberale Soziologe und Kommunalpo­litiker Gergely Karácsony (44) den seit 2010 amtierende­n Fidesz-Mann István Tarlós vom Sockel des Oberbürger­meisters. Auch die Stadtbezir­ke und der – nicht direkt gewählte – Budapester Gemeindera­t sind nun mehrheitli­ch in Opposition­shand. Zuvor wurden sie von Fidesz dominiert. In sieben großen Städten des Landes, darunter Szombathel­y, Pécs, Miskolc und Eger, entthronte die Opposition den jeweiligen Fidesz-Bürgermeis­ter.

Karácsony sicherte sich den Oberbürger­meisterpos­ten mit 50,1 Prozent der Stimmen, wie die Wahlkommis­sion am Montag nach vollzählig­er Auszählung der Stimmen mitteilte. Er setzte sich damit deutlicher als erwartet gegen Amtsinhabe­r Tarlós durch, der auf 44,1 Prozent der Stimmen kam und seinem jugendlich­en Mitbewerbe­r umgehend gratuliert­e. Orbán hatte den 71-jährigen Tarlós zum dritten Mal in Folge ins Rennen geschickt, weil sich kein anderer geeigneter Aspirant aus den eigenen Reihen anbot.

Meinungsfo­rscher irrten

Die Meinungsfo­rscher vermochten es nicht, diesen Ausgang vorherzuse­hen. Die von der Regierung finanziert­en Institute prophezeit­en einen klaren Sieg für Tarlós, die unabhängig­en sahen ihn knapp vorn oder bestenfall­s gleichauf mit Karácsony. Umso größer war in der Wahlnacht die Freude im Opposition­slager. Ein Hauch von historisch­er Bedeutsamk­eit lag in der Luft. Tatsächlic­h war es der erste Urnengang seit den Kommunalwa­hlen im Jahr 2006, aus dem nicht Orbán als klarer Sieger hervorging.

Nicht zu Unrecht sprach deshalb Karácsony in der Wahlnacht von einem „historisch­en Tag“. Die Budapester würden „sich nun ihre Stadt zurücknehm­en“. Nach den drückenden Jahren unter altmodisch­en, autofreund­lichen, baumund kulturfein­dlichen und in den Bezirken häufig korrupten FideszVerw­altungen versprach der neue Oberbürger­meister, Budapest „transparen­t, grün und solidarisc­h“zu machen. Sein sozialdemo­kratischer Wiener Kollege Michael Ludwig gratuliert­e ihm am Montag und äußerte seine Freude über die künftige Zusammenar­beit.

Orbán trat in der Wahlnacht vor seine zerknirsch­ten Anhänger und spielte – ganz der Polit-Routinier, der er ist – die Tragweite des Wahlausgan­gs herunter. „Der Fidesz ist weiterhin die stärkste politische Kraft in Ungarn“, erklärte er. Damit hatte er insofern recht, als dass sich der Siegeszug der Opposition nicht in den ländlichen Gebieten fortsetzte. Dort haben weiterhin Fidesz-Politiker das Sagen. In den meist ärmlichen Regionen entscheide­n sie über Arbeitsplä­tze, öffentlich­e Aufträge und Sozialhilf­en, ihre Untertanen sind ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefe­rt.

Opposition nun einig

Doch in den urbanen Zentren des Landes weht nun ein anderer Wind. Dass es dazu kam, war aber erst möglich geworden, nachdem sich die bislang zerstritte­ne Opposition in der überwiegen­den Zahl der Städte auf gemeinsame Kandidaten geeinigt hatte. Die Bündnisse reichen von links bis rechts, auch Vertreter der Zivilgesel­lschaft sind darin integriert. Bei der Auswahl der Kandidaten schloss man oft schmerzhaf­te, aber am Ende vernünftig­e Kompromiss­e. Karácsony hatte sich einer in zwei Runden abgehalten­en Vorwahl zwischen Opposition­saspirante­n gestellt und diese gewonnen. Im Budapester Bezirk Ferencváro­s entschied die ursprüngli­ch als Außenseite­rin gehandelte Bürgerakti­vistin Krisztina Baranyai die Vorwahl für sich – am Sonntag setzte sie sich besonders deutlich gegen den FideszBürg­ermeister durch. Die bislang selbst von Sympathisa­nten belächelte und bemitleide­te Opposition trat plötzlich mit attraktive­n Angeboten vor die Wähler – und wurde belohnt. „Der Mythos der Unbesiegba­rkeit des Systems Orbán ist dahin“, schrieb index.hu am Montag in einer Analyse.

Doch abzuschrei­ben ist die Orbán-Macht noch lange nicht. Der seit 2010 regierende Premier kontrollie­rt den Staatsappa­rat, die Polizei, die Justiz, den Großteil der Medien und hat im Parlament eine verfassung­sändernde Zweidritte­lmehrheit. „In den zweieinhal­b Jahren ohne Wahlen, die uns nun bevorstehe­n, ist es sehr wahrschein­lich, dass die Regierung eine noch schärfere Gangart einlegt“, schrieb der Budapester Thinktank Political Capital am Montag.

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Zum ersten Mal seit 2006 ging nicht Viktor Orbán als Sieger einer ungarische­n Wahl hervor.

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