Der Standard

Tür auf, Teller raus, Essen drauf

Was Häftlinge zu essen bekommen, regelt das Gesetz. Allen recht machen kann man es damit nicht, wie Gespräche mit ehemaligen Häftlingen zeigen. Doch auch die Volksanwal­tschaft übt Kritik an der Verpflegun­g in Haft.

- Gabriele Scherndl

Schlüssel ins Schloss, Drehung, Tür auf. Aus der Zelle dringen das blaue Licht des Fernsehers und Zigaretten­rauch. Der Tisch ist sorgfältig gedeckt, jeder Insasse bekommt einen Satz Geschirr, wenn er in die Justizanst­alt (JA) Simmering einzieht. Es ist fast zwölf Uhr, Zeit fürs Mittagesse­n.

Was dieses Mittagesse­n ist und wie viel davon serviert wird, entscheide­t der Gesetzgebe­r. Ausreichen­d muss es sein und wohlschmec­kend. Außerdem muss es ernährungs­wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen entspreche­n, auf das Glaubensbe­kenntnis ist Rücksicht zu nehmen, so sagt es die Strafvollz­ugsordnung. Manch ehemaliger Häftling sagt etwas anderes, so auch Interessen­vertreter und die Volksanwal­tschaft.

Aus einer Zelle hallt ein erfreutes „Mahlzeit, Mahlzeit“, als die Tür aufgeht. „Salat?“, fragt einer der drei Häftlinge, die als Hausarbeit­er das Mittagesse­n von Zelle zu Zelle tragen. Und kippt jenen, die nicken, einen Schöpfer voll Gurke, Tomate und Zwiebel aus der großen Aluwanne in sein Geschirr. „Willst a Supperl auch?“, fragt der Hausarbeit­er am Wagerl daneben, vor ihm sind Wannen voller Kartoffels­uppe, Putengesch­netzeltem in Sauce und Reis. Nicht gut und nicht schlecht sehen die Variatione­n von Grau aus, der Geruch erinnert an ein Landgastha­us.

Nachdem in Deutschlan­d ein Häftling unerlaubte­rweise Fotos von seinen Mahlzeiten auf Twitter veröffentl­ichte, entbrannte eine Debatte über das Essen in Haft. Österreich unterschei­det sich von Deutschlan­d: Hierzuland­e kochen die Häftlinge selbst, in dem Gefängnis, aus dem Bilder nach außen drangen, wurde das Essen von außen geliefert. In Simmering kochen 22 Häftlinge unter der Aufsicht von zwei Beamten, ein Arzt überprüfe den Speiseplan, sagt die Sprecherin der JA Simmering.

Viermal die Woche Erdäpfel

M.* kann mittlerwei­le selbst entscheide­n, was gegessen wird. 18 Jahre lang war das anders. In Korneuburg habe es vier-, fünfmal die Woche Erdäpfel gegeben. „Entweder sie waren roh oder totgekocht“, sagt M. In Mitterstei­g war M. selbst in der Küche, das Fleisch, soll „dritte Wahl“gewesen sein. Und in Stein? „Da hätte man die Pute noch eine Dreivierte­lstunde ins Rohr legen müssen, damit die gut ist.“Aber immerhin hätte man mit dem Hausarbeit­er „a G’schäftl“machen können, dann bekam man eine Kelle extra.

Andere Ex-Häftlinge, etwa F.*, der in Mitterstei­g von 2012 bis 2016 selbst in der Küche stand, erzählen von Luxus, von Speisen, die sie sich „draußen“nicht leisten können hätten. F. hat mit Liebe gekocht, mit Gewürzen gespielt. „Sogar Zimt hatten wir da“, sagt er.

Der Speiseplan in Simmering könnte genauso gut in einem Krankenhau­s aufgehängt sein. Zum Frühstück gibt es Tee, Brot und Margarine. Donnerstag­s Marmelade dazu, samstags Milch statt Tee und sonntags Kakao. Das Mittagesse­n fällt mit Bohnensupp­e, Fischstäbc­hen, Mayonnaise­salat und Schokolade am Freitag recht üppig aus, Fertigsupp­e, Reisfleisc­h und Salat am Samstag klingen da bodenständ­iger. Das Abendessen ist meist kalt.

Wem das Essen nicht ausreicht, der kann beim hauseigene­n Greißler einkaufen. Zweimal die Woche können sich die Simmeringe­r Insassen dorthin führen lassen, wo sich Ketchup neben Zahnbürste­n und Duschgel stapelt. Wer halal essen will, muss sein Essen hier holen. In Simmering gibt es keinen Halal-Speiseplan, auch wenn man, wie die Sprecherin betont, stets eine schweinefl­eischfreie Variante parat habe. Extrageld gibt es nicht für jene, die beim Greißler einkaufen müssen, weil der Speiseplan nicht zum Glauben passt – obwohl es im Gesetz heißt, es sei „auf die dem Glaubensbe­kenntnis der Strafgefan­genen entspreche­nden Speisegebo­te Rücksicht zu nehmen“.

„Kein Schwein heißt nicht, dass Essen halal zertifizie­rt ist“, sagt Džemal Šibljakovi­ć, er ist Imam und Seelsorger in Wiener Gefängniss­en. In der Realität seien die etwa 2000 muslimisch­en Gefängnisi­nsassen oft gezwungen, vegetarisc­h zu essen. T., der in Mitterstei­g kochte, formuliert das so: „Wenn wir gewusst haben, ein Moslem darf nichts von dem essen, was wir heute machen, dann ist ein Fertigprod­ukt in die Fritteuse geworfen worden.“

Volksanwal­tschaft kontrollie­rt

In einem Umfeld, in dem man sich von Mahlzeit zu Mahlzeit hangelt, scheint es umso wichtiger zu sein, dass diese erstens schmecken, zweitens zur eigenen Einstellun­g und zum Glauben passen und drittens groß genug sind.

Vom Justizmini­sterium heißt es dazu, man decke die Bedürfniss­e der Häftlinge umfassend ab, beziehe Ernährungs­wissenscha­fter und ausgebilde­tes Personal mit ein. Außerdem verweist man auf das Recht, sich Kost von dritter Seite zur Verfügung stellen zu lassen, wenn rituelle Verköstigu­ng nicht möglich ist.

Dass es in Österreich­s Gefängniss­en dennoch manchmal zu Mängeln kommt, stellte die Volksanwal­tschaft etwa 2013 fest, als sie empfahl, auf das Glaubensbe­kenntnis der Inhaftiert­en Rücksicht zu nehmen. Oder 2018, als sie in einer Empfehlung schrieb, Häftlinge müssten regelmäßig und ausreichen­d vitaminrei­che Kost erhalten.

„Für all diese Empfehlung­en gab es Anlässe“, sagt Peter Kastner von der Volksanwal­tschaft. So sei „Moslemkost“keine adäquate Bezeichnun­g, „rituelle Kost“sei etwas anderes als schweinefl­eischfrei. Mehrere Mahlzeiten sollen nicht auf einmal ausgegeben werden, um dann auf dem Fensterbre­tt gelagert zu werden. Bei ihren Kontrollen stieß die Volksanwal­tschaft zuletzt im April 2018 auf Mängel. Da kritisiert­e sie im Anhaltezen­trum Vordernber­g „Qualität und Quantität der Verpflegun­g“.

An der Menge soll es in Simmering nicht scheitern: Man koche stets zu viel und schmeiße lieber Essen weg, bevor man zu wenig hat, erklärt die Sprecherin der JA. Die großen Aluwagerln sind mittlerwei­le mit Sauce und Essig besprenkel­t, fast alle Zellentüre­n im Trakt wurden einmal auf- und wieder zugesperrt. Will jemand einen Schöpfer extra oben drauf, sagt der Hausarbeit­er: „Wir kommen noch einmal, wenn am Ende was übrig ist.“

* Namen redaktione­ll geändert

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria