Tür auf, Teller raus, Essen drauf
Was Häftlinge zu essen bekommen, regelt das Gesetz. Allen recht machen kann man es damit nicht, wie Gespräche mit ehemaligen Häftlingen zeigen. Doch auch die Volksanwaltschaft übt Kritik an der Verpflegung in Haft.
Schlüssel ins Schloss, Drehung, Tür auf. Aus der Zelle dringen das blaue Licht des Fernsehers und Zigarettenrauch. Der Tisch ist sorgfältig gedeckt, jeder Insasse bekommt einen Satz Geschirr, wenn er in die Justizanstalt (JA) Simmering einzieht. Es ist fast zwölf Uhr, Zeit fürs Mittagessen.
Was dieses Mittagessen ist und wie viel davon serviert wird, entscheidet der Gesetzgeber. Ausreichend muss es sein und wohlschmeckend. Außerdem muss es ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen, auf das Glaubensbekenntnis ist Rücksicht zu nehmen, so sagt es die Strafvollzugsordnung. Manch ehemaliger Häftling sagt etwas anderes, so auch Interessenvertreter und die Volksanwaltschaft.
Aus einer Zelle hallt ein erfreutes „Mahlzeit, Mahlzeit“, als die Tür aufgeht. „Salat?“, fragt einer der drei Häftlinge, die als Hausarbeiter das Mittagessen von Zelle zu Zelle tragen. Und kippt jenen, die nicken, einen Schöpfer voll Gurke, Tomate und Zwiebel aus der großen Aluwanne in sein Geschirr. „Willst a Supperl auch?“, fragt der Hausarbeiter am Wagerl daneben, vor ihm sind Wannen voller Kartoffelsuppe, Putengeschnetzeltem in Sauce und Reis. Nicht gut und nicht schlecht sehen die Variationen von Grau aus, der Geruch erinnert an ein Landgasthaus.
Nachdem in Deutschland ein Häftling unerlaubterweise Fotos von seinen Mahlzeiten auf Twitter veröffentlichte, entbrannte eine Debatte über das Essen in Haft. Österreich unterscheidet sich von Deutschland: Hierzulande kochen die Häftlinge selbst, in dem Gefängnis, aus dem Bilder nach außen drangen, wurde das Essen von außen geliefert. In Simmering kochen 22 Häftlinge unter der Aufsicht von zwei Beamten, ein Arzt überprüfe den Speiseplan, sagt die Sprecherin der JA Simmering.
Viermal die Woche Erdäpfel
M.* kann mittlerweile selbst entscheiden, was gegessen wird. 18 Jahre lang war das anders. In Korneuburg habe es vier-, fünfmal die Woche Erdäpfel gegeben. „Entweder sie waren roh oder totgekocht“, sagt M. In Mittersteig war M. selbst in der Küche, das Fleisch, soll „dritte Wahl“gewesen sein. Und in Stein? „Da hätte man die Pute noch eine Dreiviertelstunde ins Rohr legen müssen, damit die gut ist.“Aber immerhin hätte man mit dem Hausarbeiter „a G’schäftl“machen können, dann bekam man eine Kelle extra.
Andere Ex-Häftlinge, etwa F.*, der in Mittersteig von 2012 bis 2016 selbst in der Küche stand, erzählen von Luxus, von Speisen, die sie sich „draußen“nicht leisten können hätten. F. hat mit Liebe gekocht, mit Gewürzen gespielt. „Sogar Zimt hatten wir da“, sagt er.
Der Speiseplan in Simmering könnte genauso gut in einem Krankenhaus aufgehängt sein. Zum Frühstück gibt es Tee, Brot und Margarine. Donnerstags Marmelade dazu, samstags Milch statt Tee und sonntags Kakao. Das Mittagessen fällt mit Bohnensuppe, Fischstäbchen, Mayonnaisesalat und Schokolade am Freitag recht üppig aus, Fertigsuppe, Reisfleisch und Salat am Samstag klingen da bodenständiger. Das Abendessen ist meist kalt.
Wem das Essen nicht ausreicht, der kann beim hauseigenen Greißler einkaufen. Zweimal die Woche können sich die Simmeringer Insassen dorthin führen lassen, wo sich Ketchup neben Zahnbürsten und Duschgel stapelt. Wer halal essen will, muss sein Essen hier holen. In Simmering gibt es keinen Halal-Speiseplan, auch wenn man, wie die Sprecherin betont, stets eine schweinefleischfreie Variante parat habe. Extrageld gibt es nicht für jene, die beim Greißler einkaufen müssen, weil der Speiseplan nicht zum Glauben passt – obwohl es im Gesetz heißt, es sei „auf die dem Glaubensbekenntnis der Strafgefangenen entsprechenden Speisegebote Rücksicht zu nehmen“.
„Kein Schwein heißt nicht, dass Essen halal zertifiziert ist“, sagt Džemal Šibljaković, er ist Imam und Seelsorger in Wiener Gefängnissen. In der Realität seien die etwa 2000 muslimischen Gefängnisinsassen oft gezwungen, vegetarisch zu essen. T., der in Mittersteig kochte, formuliert das so: „Wenn wir gewusst haben, ein Moslem darf nichts von dem essen, was wir heute machen, dann ist ein Fertigprodukt in die Fritteuse geworfen worden.“
Volksanwaltschaft kontrolliert
In einem Umfeld, in dem man sich von Mahlzeit zu Mahlzeit hangelt, scheint es umso wichtiger zu sein, dass diese erstens schmecken, zweitens zur eigenen Einstellung und zum Glauben passen und drittens groß genug sind.
Vom Justizministerium heißt es dazu, man decke die Bedürfnisse der Häftlinge umfassend ab, beziehe Ernährungswissenschafter und ausgebildetes Personal mit ein. Außerdem verweist man auf das Recht, sich Kost von dritter Seite zur Verfügung stellen zu lassen, wenn rituelle Verköstigung nicht möglich ist.
Dass es in Österreichs Gefängnissen dennoch manchmal zu Mängeln kommt, stellte die Volksanwaltschaft etwa 2013 fest, als sie empfahl, auf das Glaubensbekenntnis der Inhaftierten Rücksicht zu nehmen. Oder 2018, als sie in einer Empfehlung schrieb, Häftlinge müssten regelmäßig und ausreichend vitaminreiche Kost erhalten.
„Für all diese Empfehlungen gab es Anlässe“, sagt Peter Kastner von der Volksanwaltschaft. So sei „Moslemkost“keine adäquate Bezeichnung, „rituelle Kost“sei etwas anderes als schweinefleischfrei. Mehrere Mahlzeiten sollen nicht auf einmal ausgegeben werden, um dann auf dem Fensterbrett gelagert zu werden. Bei ihren Kontrollen stieß die Volksanwaltschaft zuletzt im April 2018 auf Mängel. Da kritisierte sie im Anhaltezentrum Vordernberg „Qualität und Quantität der Verpflegung“.
An der Menge soll es in Simmering nicht scheitern: Man koche stets zu viel und schmeiße lieber Essen weg, bevor man zu wenig hat, erklärt die Sprecherin der JA. Die großen Aluwagerln sind mittlerweile mit Sauce und Essig besprenkelt, fast alle Zellentüren im Trakt wurden einmal auf- und wieder zugesperrt. Will jemand einen Schöpfer extra oben drauf, sagt der Hausarbeiter: „Wir kommen noch einmal, wenn am Ende was übrig ist.“
* Namen redaktionell geändert