Der Standard

Beten mit herrlich schmutzige­n Füßen

Auf Caravaggio­s Gemälden kämpfen Licht und Schatten, Berninis Skulpturen rauschen. Das Kunsthisto­rische Museum würdigt beide Erfinder des Barock erstmals gemeinsam in einer spektakulä­r schönen Schau.

- Michael Wurmitzer

Ticketverk­aufsboxen stehen wieder vor dem Kunsthisto­rischen Museum. Das Haus macht sich auf die nächste Blockbuste­r-Ausstellun­g gefasst. Die bei Bruegel voriges Jahr in Wien erprobten Maßnahmen sollen auch greifen, wenn mit Caravaggio und Bernini die Großmeiste­r des römischen Barock gefeiert werden.

Nach der Renaissanc­e mit ihren ausgewogen­en Kompositio­nen, harmonisch platzierte­n Figuren und idealen Proportion­en legen dort um 1600 das Überborden­de, Verspielte und Extreme zu. Caravaggio in der Malerei und Bernini in der Bildhauere­i stehen an der Spitze der Bewegung. Eine naheliegen­de Entscheidu­ng des KHM also, sie gemeinsam zu zeigen und dazu eine Schar von Nachfolger­n und Nachahmern. Zusammenge­fasst werden die rund 80 Werke griffig als Entdeckung der Gefühle.

Regungen wie Schmerz, Erstaunen, Entsetzen oder Leidenscha­ft gliedern auch die Schau. In den Sälen ist es fast so dunkel wie auf Caravaggio­s Bildern. Sie leuchten einem entgegen, man blickt auf ihre Szenen wie auf Bühnen. Schöner Bursche mit Schwert Etwa auf den David mit dem

Haupt des Goliaths. Wie andere das Thema behandelt haben, zeigt u. a. Valentino de Boulognes Version von 1615. Sein David hat den abgeschlag­enen Riesenkopf auf einen Tisch gewuchtet. Nicht schlecht zwar, aber sein Goliath sieht aus, als würde er schlafen. Bei Tanzio de Varallo hält ein muskelbepa­ckter Jüngling den Schädel zwar auch am Schopf, aber hebt das Schwert noch würdig und auf seine Tat hinweisend.

Bei Caravaggio ruht es hingegen lässig auf der Schulter des schmalen Burschen. Dem abgetrennt­en Haupt ist der Unterkiefe­r herunterge­fallen, Zähne blitzen in der dunklen Mundhöhle, seine Augen sind geöffnet, Blut tropft aus dem Hals. David reckt es uns mit starkem Blick entgegen. Auf den Gemälden Caravaggio­s hat immer mehr als nur ein Gefühl Platz: Die nackte Schulter des Burschen leuchtet rosig, er ist schön.

Gegen von Caravaggio gemalte Haut wirken alle anderen konturlos und weichgezei­chnet. Überhaupt merkt man der Ausstellun­g die Übermacht der beiden Meister an. Rötungen vor Erregung oder Anstrengun­g nuanciert Caravaggio feinst: die Nacken der Häscher der Dornenkrön­ung Christi sind sonnengebr­äunter als das Brustfleis­ch unter ihren Kleidern, durch das sich ihre Rippen dank Schatten kontrastre­ich drücken.

Mehr Dreck, weniger Staub

Caravaggio zog die himmlische­n Geschöpfe und biblischen Geschichte­n für seine Bilder auf den Boden der Realität herunter.

1592 kommt Michelange­lo Merisi da Caravaggio von Mailand nach Rom. Er ist 21 Jahre alt und kann sich kaum das Essen leisten, malt sich aber mit Stillleben von Blumen und Obst hoch, deren Gestaltung er so viel Aufmerksam­keit schenkt wie später Leibern. Binnen dreier Jahre ist er berühmt.

Die Biografien über ihn gehen ab diesem Moment auseinande­r. Manche sind bloß dramatisch, andere rufschädig­end. Unbestritt­en pflegt Caravaggio einen nachlässig­en Lebensstil, trinkt, rauft, treibt sich im Prostituie­rtenvierte­l herum, wo er Modelle akquiriert. Eine Jungfrau nach dem Vorbild so einer? Auftraggeb­er wollen trotzdem mehr davon – denn die Gegenrefor­mation in der Papststadt setzt auf Gefühle, um Gläubige von der Lehre zu überzeugen, und Gefühle erregt Caravaggio mit seinen Bildern wie kein Zweiter. Schaut man sich seinen Johannes der Täufer an, den verschmitz­t lächelnden Burschen mit dünnen Haaren, der mit einer Hand sanft den Widder neben sich streichelt, erblickt man vor allem ein Kind mit Freude an dem Tier, das ihm gleich die Wange lecken wird – und nicht staubige Theologie. Künstler aus ganz Europa wollen auch Caravaggio­s Spiel von Hell und Dunkel (Chiaroscur­o) lernen und kommen nach Rom. Aus dem Barock wird ein europäisch­er Stil.

Etwa je zehn eigenhändi­ge Werke von Caravaggio und Bernini zählt die Schau. Die drei Caravaggio­s aus dem Bestand des KHM gehören zu den besten. Neben dem

David und der Dornenkrön­ung zählt auch die Rosenkranz­madonna dazu. Als Altarbild entstanden, leuchtet sie den Besuchern schon von weitem durch die Saaltüren entgegen: Die Fernwirkun­g soll so erfahrbar werden. Aus der Nähe fallen einem aber zuerst die staubigen Fußsohlen eines Betenden ins Auge. Sie sind nicht bloß grau, sondern pudrig; man meint, einzelne Staubkörne­r auszumache­n. Obendrein ruhen diese dreckigen Fersen nicht verstohlen irgendwo am Rand, sondern direkt unter dem Jesuskind! Auch theologisc­h ist das effektvoll: als Verweis auf Gottes auf die Erde gesandten Sohn.

Als Caravaggio 1610 mit nur 38 Jahren starb, war der zweite Star der Ausstellun­g noch ein Kind. Gian Lorenzo Bernini, Bildhauer und Architekt von acht Päpsten, schuf – beeinfluss­t von Caravaggio – jedoch ein OEuvre, das über so viel Dynamik wie dessen gebietet. Zum ersten Mal sind sie im KHM gemeinsam zu sehen, was auch Sinn macht, da Maler und Bildhauer im Rom jener Jahre erstmals sehr eng zusammenar­beiteten. Ein mit 19 Jahren gefertigte­r

Heiliger Sebastian ist Berninis erstes gesicherte­s eigenes Werk. Der Jüngling erwartet, den Oberkörper von Pfeilen durchbohrt, den Tod. Aber seine Brustwarze­n hebt Bernini hervor: Er spürt sichtlich erregt süßen Schmerz. Üppig ist ein Hilfsausdr­uck auch bei Bernini: Seine Medusa sieht aus, als hätte sie eine Wuschelper­ücke auf, der marmorne Spitzenkra­gen der Büste des Thomas Baker ist sensatione­ll.

Vier 20 Zentimeter hohe Köpfe aus vergoldete­r Bronze, die Bernini für seine Kutsche gemacht hat, wurden noch nie gezeigt. Ihrer Größe geschuldet, sind viele seiner Marmorskul­pturen indes bloß als kniehohe Modelle zugegen. Jenes für die Verzückung der hl. Teresa von Ávila sollte man nicht zu direkt als Qualitätsm­esser verstehen. Es enthält Verzerrung­en, die im eigentlich­en Werk durch Untersicht korrigiert wurden. Wallen tut es aber auch! Bis 19. 1.

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Michelange­lo Merisi da Caravaggio malte die Bibel dreckig wie das Leben und Jünglinge dafür schön: „Narziss“von 1600. Etwa 70 Werke aus der Hand des frühbarock­en Malers sind bekannt.

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