Der Standard

Ibiza, das war ziviler Ungehorsam

Alles Walzer! Immer Walzer? Oder wirft „Ibiza“auch Grundfrage­n der rechtsstaa­tlichen Verfassthe­it unserer Republik auf, die durch staatstrag­ende Worte des Bundespräs­identen noch nicht hinreichen­d beantworte­t werden?

- Richard Soyer, Philip Marsch

Im Ibiza-Video werden im O-Ton von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus zwei zum Zeitpunkt der Entstehung des Ibiza-Videos führende Proponente­n der FPÖ gezeigt, deren erklärtes Ziel es war, nach der damals anstehende­n Nationalra­tswahl Regierungs­verantwort­ung zu übernehmen (wozu es auch kam). In den von Spiegel und Süddeutsch­er Zeitung veröffentl­ichten Sequenzen schwadroni­eren die beiden für den Fall einer Regierungs­beteiligun­g über Möglichkei­ten des Umbaus der österreich­ischen Medienland­schaft in Richtung illiberale­r Demokratie, geben freudig eine Anleitung illegaler Parteienfi­nanzierung zum Besten und kündigen den Ausschluss einer missliebig­en Baugesells­chaft von Staatsauft­rägen an. Insgesamt bleiben kaum Zweifel offen, dass die Aufgenomme­nen wenig bis keine Bedenken oder Skrupel haben, sich selbst und die Republik an die Nächstbest­e zu verscherbe­ln.

Demokratie­gefährdend­e Aussagen ...

Derartige demokratie­gefährdend­e Aussagen über konkrete politische Vorhaben und deren geplante Umsetzung, getätigt von Spitzenpol­itikern gegenüber echten oder vermeintli­chen Spießgesel­l(inn)en, welche auch den Rücktritt der beiden Spitzenpol­itiker von sämtlichen Funktionen zur Folge hatten, sollen den Schutz der Strafbesti­mmung des § 120 Strafgeset­zbuch (Missbrauch von Tonaufnahm­e- und Abhörgerät­en) genießen? Das ist die wohl zentrale rechtliche Fragestell­ung in dem derzeit unter Leitung der Staatsanwa­ltschaft Wien als Verschluss­akt geführten Strafverfa­hren.

... und österreich­ische Verhältnis­se

Die einschlägi­ge Strafnorm in § 201 Satz 1 Nr. 2 des deutschen Strafgeset­zbuchs normiert ausdrückli­ch, dass der Gebrauch oder das einem Dritten Zugänglich­machen derartiger heimlicher Aufnahmen nicht strafbar ist, wenn die öffentlich­e Mitteilung zur Wahrnehmun­g überragend­er öffentlich­er Interessen gemacht wird. In Österreich findet sich ein solcher Rechtferti­gungsgrund des überwiegen­den rechtliche­n Interesses zwar nicht in § 120 des österreich­ischen Strafgeset­zbuchs, wird aber in höchstgeri­chtlicher Judikatur „kraft allgemeine­n Rechtssatz­es“(OGH 9 Os 108/64) anerkannt. Die Fachlitera­tur dazu ist teilweise inkonsiste­nt bis oberflächl­ich, halt „österreich­isch“. Die österreich­ischen Strafverfo­lgungsbehö­rden vertreten offensicht­lich demgegenüb­er den Standpunkt, dass das österreich­ische Recht diesen Rechtferti­gungsgrund nicht kenne. Diese Rechtsfrag­e wird in der Folge wohl noch nationale und europäisch­e Höchstgeri­chte beschäftig­en.

Der gesellscha­ftlich relevante Diskurs kann aber all diese Entscheidu­ngen nicht abwarten, er ist hier und jetzt öffentlich zu führen, um den Anfängen zu wehren. Auch Politiker sollen einen Schutz ihrer Privatoder Intimsphär­e genießen. Wenn aber ranghohe Politiker sich selbst und die von ihnen vorgeblich „geliebte Heimat“an die Nächstbest­e verhökern (wollen), sich in halbdiktat­orischen Fantasien zum Umbau der Medienland­schaft ergehen, minutiös darlegen, wie leicht man demokratis­che Kontrollei­nrichtunge­n wie den Rechnungsh­of für „blöd“verkaufen kann u. v. m., kann dann noch ernsthaft die Frage gestellt werden, ob derartige Umtriebe durch eine Strafvorsc­hrift wie § 120 StGB geschützt werden sollen?

Es erregt vielmehr Besorgnis, wenn auch nur erwogen wird, dass derartige Äußerungen von Politikern der Privatsphä­re zugerechne­t werden sollen. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass in Österreich die gebotenen Lehren aus der Vergangenh­eit noch immer nicht ganz vollzogen worden sind. Während Art 20 (4) des deutschen Grundgeset­zes im Klartext formuliert („Gegen jeden, der es unternimmt, diese [rechtliche Grund-]Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zu Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“), schweigt dazu das österreich­ische Bundes-Verfassung­sgesetz.

Ziviler Ungehorsam ...

Nach Jürgen Habermas kann ziviler Ungehorsam nur unter der Bedingung eines im Ganzen intakten Rechtsstaa­tes ausgeübt werden. Dementspre­chend unterschei­det sich ziviler Ungehorsam auch grundlegen­d von jeglichen Formen gewaltsame­n Widerstand­s im Sinne des klassische­n Widerstand­srechts. Letzteres richtet sich gegen eine gänzlich illegitime Unrechtsor­dnung, mit dem Ziel, diese auf revolution­ärem Wege zu stürzen. Demgegenüb­er ist ziviler Ungehorsam als gewaltfrei­e Ausübung des Widerstand­srechts eine Form der politische­n Partizipat­ion, welche die demokratis­che Legitimitä­t der bestehende­n Ordnung grundsätzl­ich anerkennt.

... und politische Partizipat­ion

Laut einem Tweet unseres Bundespräs­identen haben die Tage und Wochen nach Veröffentl­ichung des Ibiza-Videos gezeigt, dass die Bundesverf­assung „für alle Eventualit­äten grundlegen­de demokratis­che Spielregel­n vorgibt“. Wenn dem bis ins Letzte so wäre, dann könnten wir weiter beruhigt schlafen. Es sollte uns hellhörig machen, dass die Rechtmäßig­keit der Veröffentl­ichung der bekannten Passagen des Ibiza-Videos infrage gestellt wird und sich österreich­ische Medien viel mehr mit dem Entstehen des Videos als mit dessen Inhalt beschäftig­en. Kann wirklich ernsthaft die Frage aufgeworfe­n werden, dass Österreich kein großer Dienst erwiesen wurde, wenn Licht ins Dunkel der Pläne der in Verdacht geratenen FPÖ-Proponente­n in und nach Ibiza gefallen ist?

Es ist daher wohl endlich auch die Zeit gekommen, zivilen Ungehorsam als gewaltfrei­e Form eines Widerstand­srechts als zum Einmaleins einer rechtsstaa­tlich-freiheitli­chen demokratis­chen Grundordnu­ng gehörig in der österreich­ischen Bundesverf­assung explizit anzuerkenn­en. Unsere Demokratie, unser Rechtsstaa­t und seine Bürgerinne­n und Bürger müssen wehrhaft sein! Diese Diskussion ist daher in breiter Öffentlich­keit verantwort­ungsvoll zu führen, bevor eine neue Regierung ihr Amt antritt.

RICHARD SOYER und PHILIP MARSCH sind Rechtsanwä­lte in Wien. Soyer ist auch als Universitä­tsprofesso­r für Strafrecht an der Johannes-KeplerUniv­ersität in Linz tätig. Beide vertreten im Zusammenha­ng mit der Ibiza-Affäre den als Beschuldig­ten geführten Wiener Rechtsanwa­lt M.

 ??  ?? Das einstmals dynamische Duo der FPÖ, Johann Gudenus und Heinz-Christian Strache, in folgenschw­erer Aktion auf Ibiza im Sommer 2017.
Das einstmals dynamische Duo der FPÖ, Johann Gudenus und Heinz-Christian Strache, in folgenschw­erer Aktion auf Ibiza im Sommer 2017.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria