Der Standard

Folgen unterlasse­ner Hilfe

Eine 13-Jährige soll an einer Krankheit gestorben sein, weil die Eltern eine medizinisc­he Behandlung ablehnten. Das Mädchen wurde zu Hause unterricht­et. Nun gibt es Überlegung­en, Kontrollen in dem Bereich zu verschärfe­n.

- Vanessa Gaigg

Ein Mädchen starb, weil seine Eltern die Behandlung verweigert­en. Behörden erwägen schärfere Kontrolle von Heimunterr­icht.

Weil der Glaube den Eltern eine medizinisc­he Behandlung verboten hat, musste eine 13-Jährige in Niederöste­rreich sterben. So lautet der Vorwurf an ein Ehepaar, das deshalb seit Ende September in Untersuchu­ngshaft sitzt. Die 13Jährige litt an einer Entzündung der Bauchspeic­heldrüse – einer Erkrankung, die behandelba­r gewesen wäre. Den Eltern wird Mord durch Unterlassu­ng vorgeworfe­n. Es gilt die Unschuldsv­ermutung.

Die Familie soll Teil einer evangelika­len Gemeinscha­ft sein, die einer extrem konservati­ven Auslegung der Bibel anhängt. Vom Nennen des Namens der Gemeinscha­ft wird aufgrund der Gefahr der Verletzung von Persönlich­keitsrecht­en Abstand genommen.

Gefährlich­e Kombinatio­n

In der Gruppierun­g werde die moderne Gesellscha­ft abgelehnt, sagt Ulrike Schiesser von der Bundesstel­le für Sektenfrag­en. Eine Krankheit werde mit ihren Folgen mitunter als Wille Gottes gesehen. „Der Tod ist dann auch nicht die Katastroph­e schlechthi­n, da das Leben danach ohnehin besser sein soll“, sagt Schiesser.

Mit dem Bund evangelika­ler Gemeinden, der Teil der offiziell anerkannte­n Freikirche­n Österreich­s ist, habe die Familie nichts zu tun gehabt, sagt dessen Vorsitzend­er Reinhold Eichinger.

Oft ist es das soziale Umfeld, das in Fällen wie diesen bei Behörden Alarm schlägt. Neben Nachbarn dient vor allem die Schule als Korrektiv. Fällt diese etwa durch den häuslichen Unterricht weg, kann es zu einer massiven Isolierung der Kinder kommen. Auch in diesem Fall haben die schulpflic­htigen Kinder der Familie laut Informatio­nen der Staatsanwa­ltschaft keine Schule besucht. „Die Kombinatio­n extrem religiös, krank und daheim unterricht­et ist es wert, genauer hinzuschau­en“, sagt Schiesser.

Weil es immer wieder zu Problemen beim häuslichen Unterricht kommt, gibt es Überlegung­en, die Kontrollmö­glichkeite­n zu verschärfe­n, heißt es aus dem Bildungsmi­nisterium. Konkret geht es um zwei Punkte: Die Schulen, in denen die jährlichen Externiste­nprüfungen abgelegt werden müssen, sollen für Eltern bundesweit nicht mehr frei wählbar sein. Zusätzlich gibt es die Idee, eine gesetzlich­e Grundlage zu schaffen, die Mitglieder der Prüfungsko­mmission verpflicht­et, bei Auffälligk­eiten die zuständige­n Behörden zu informiere­n.

Eine absolute Garantie, dass betroffene Kinder vor ihren Eltern gerettet werden, gibt es auch dann nicht. Im Falle der 13-Jährigen war das Jugendamt mit der Familie in Kontakt, beendete die Betreuung aber. Bei solchen Familien sei es oft „verführeri­sch“zu glauben, es sei alles in Ordnung, sagt Expertin Schiesser. „Es wurde vermutlich unterschät­zt, was Glaube alles bewirken kann.“

Die sechs Geschwiste­r befinden sich nun in Obhut der Behörden.

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