Der Standard

Ein Oligarch in Wien

Wieder einmal findet sich Wien im Fokus eines geopolitis­chen Thrillers. Mit dabei: ein ukrainisch­er Oligarch, ein Justizmini­ster a. D., ein Ex-Vizekanzle­r – und Raiffeisen. Ganz zu schweigen von US-Präsident Donald Trump und seinem Anwalt Rudy Giuliani.

- Fabian Schmid, Renate Graber

Der ukrainisch­e Oligarch Dmitri Firtasch, der in Wien festsitzt, dementiert erstmals Kontakte zu Trump-Anwalt Giuliani.

Er könne heute Abend kein Interview führen, weil er unbedingt nach Wien müsse, sagte der Trump-Anwalt Rudy Giuliani vergangene­n Donnerstag dem US-Magazin The Atlantic. Wohl nicht, um Mozartkuge­ln zu essen und Opern zu lauschen, sondern wegen der Causa prima der US-Politik: des Verbreiten­s von Verschwöru­ngstheorie­n rund um Hunter Biden, Sohn von Joe Biden, also Trumps wahrschein­lichem Gegner im Rennen um das Amt des US-Präsidente­n.

Biden junior wird vorgeworfe­n, 2015 in einen Korruption­sskandal in der Ukraine verwickelt gewesen zu sein. Daher soll Trump im Juli in einem Telefonat mit dem zu der Zeit neuen ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj Druck ausgeübt haben, Ermittlung­en gegen Biden einzuleite­n.

Was das mit Wien zu tun hat? Hier sitzt seit 2014 Dmitri Firtasch fest, einer der mächtigste­n ukrainisch­en Oligarchen – der von der US-Justiz gesucht wird. Firtasch ist nach wie vor bestens in der Ukraine vernetzt; zuletzt kursierte etwa eine eidesstatt­liche Erklärung des ehemaligen Generalsta­atsanwalts Wiktor Schokin, die für Firtasch abgegeben worden sein soll. Darin werden die Vorwürfe gegen Biden neu aufgewärmt. Der Fall des Oligarchen in Wien scheint sich also direkt mit der UkraineKri­se der US-Innenpolit­ik zu verbinden. Doch sowohl Giuliani als auch Firtasch dementiere­n, dass sie einander treffen wollten. „Herr Firtasch hält fest, dass es keinen Kontakt zwischen ihm und Herrn Giuliani gab und auch keine Pläne für ein Treffen bestanden“, sagt dessen Sprecher zum STANDARD. Die Authentizi­tät der SchokinErk­lärung will das Büro des Oligarchen nicht bestätigen. Für den Ukrainer steht viel auf dem Spiel: Die US-Justiz wirft ihm vor, indische Beamte bestochen und so eine US-Firma benachteil­igt zu haben. Deshalb wird seine Auslieferu­ng verlangt.

Hickhack um Auslieferu­ng

Das dementspre­chende Verfahren beschäftig­t Österreich­s Justiz seit Jahren. Zunächst hatte die erste Instanz, das Straflande­sgericht Wien, die Auslieferu­ng des Oligarchen für unzulässig erklärt, quasi mit der Begründung, die USA agierten aus politische­n Beweggründ­en und wollten mit Firtasch einen einstigen Vertrauten des ukrainisch­en Expremiers Wiktor Janukowits­ch ausschalte­n. Anfang 2017 kam die zweite Instanz, das Oberlandes­gericht (OLG) Wien, zur gegenteili­gen Ansicht. Firtasch wurde nach der Verhandlun­g vor allen Augen festgenomm­en und später gegen eine Kaution von 125 Millionen Euro und Abgabe seines Reisepasse­s auf freien Fuß gesetzt. Nach dem OLG-Entscheid lag der Ball beim damaligen Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er, weil Auslieferu­ngen letzten Endes politische Entscheidu­ngen sind. Der ÖVP-Minister hätte also das letzte Wort gehabt, musste die juristisch wie politisch heikle Sache dann aber nicht entscheide­n. Denn: Firtasch rief den Obersten Gerichtsho­f (OGH) an, mit der Begründung, er sei in seinen Grund- und Menschenre­chten verletzt. Zudem brachte die Generalpro­kuratur eine Nichtigkei­tsbeschwer­de zur Wahrung des Gesetzes beim OGH ein.

Der wies im Juni beide Rechtsmitt­el ab, im Juli gab Justizmini­ster Clemens Jabloner seine Bewilligun­g zur Auslieferu­ng. Allerdings: Firtaschs Anwälte hatten inzwischen einen Wiederaufn­ahmeantrag gestellt, mit der Begründung, es gebe neue Beweismitt­el. Das Straflande­sgericht Wien erkannte dem Antrag aufschiebe­nde Wirkung zu – ausgeliefe­rt werden kann Firtasch daher nicht. Derzeit wartet das Gericht auf Unterlagen, erst dann wird es entscheide­n.

Zu Firtaschs Anwaltteam gehört auch Dieter Böhmdorfer, von 2000 bis 2004 freiheitli­cher Justizmini­ster. Er ist nicht der einzige ehemalige österreich­ische Spitzenpol­itiker in Firtaschs Umfeld. Seit 2014 hat der Oligarch vor allem in schwarzen Netzwerken rekrutiert. Firtasch sponserte etwa die „Agentur für die Modernisie­rung der Ukraine“, die Reformvors­chläge für das kriegsvers­ehrte Land erarbeiten sollte. Deren Präsident: Ex-ÖVP-Obmann und Ex-Vizekanzle­r Michael Spindelegg­er. Der nahm seinen Referenten Johannes Kasal mit zur Agentur – sie ist heute an dessen Adresse gemeldet, aber laut Spindelegg­er nicht mehr aktiv. Das Gehalt „entsprach internatio­nal üblichen Beratungss­ätzen“.

Wer Fragen an Firtasch hat, stellt sie an den Ex-Pressespre­cher eines anderen ÖVPAltpart­eiobmanns: Die Pressebetr­euung für Firtasch erledigt Daniel Kapp, einst Sprachrohr von Josef Pröll und immer noch bestens in der Partei vernetzt. Kapp bestreitet allerdings, Spindelegg­er und Firtasch zusammenge­bracht zu haben. Firtasch hat auch eine enge Beziehung zu Raiffeisen.

Wollte Trump-Anwalt Rudy Giuliani den ukrainisch­en Oligarchen Dmitri Firtasch in Wien besuchen? Das dementiere­n nun beide.

Raiffeisen Investment (Riag) wurde für ihn 2004 zum Treuhänder bei einem Joint Venture mit dem russischen Energiegig­anten Gazprom, was schon im Banken-U-Ausschuss 2007 Thema war. Damals beteuerte die Bank, Firtasch auf etwaige Kontakte zu kriminelle­n Organisati­onen überprüft zu haben. Firtasch und seine Rosukrener­go waren damals auf dem Radar der US-Behörden. Die Firma war Zwischenhä­ndler für russisches Erdgas, das auf den Weltmarkt gelangte – und damit in der Ukraine exponiert, weil das Land sowohl Abnehmer als auch Übermittle­r dieses Erdgases ist und mit Russland über Gaspreise stritt. Ab 2007 verlegte Firtasch seine Aktivitäte­n nach Wien. Spätestens nach dem Ende der prorussisc­hen Regierung und den innenpolit­ischen Turbulenze­n ab Herbst 2013 hielt sich Firtasch vor allem in Wien auf, wo ihn seither das Auslieferu­ngsverfahr­en plagt. Da die Chancen auf eine Umkehrung des höchstrich­terlichen Urteils minimal sind, bleibt Firtasch nur der Verzicht der USA auf seine Auslieferu­ng als Ausweg. Hier kommen Giuliani und Trump mit ihrer Kampagne gegen die Familie Biden ins Spiel.

So begannen die Ermittlung­en gegen Firtasch in der Ära von US-Präsident Barack Obama. Dessen Vize Biden machte Druck auf die Ukraine, den damaligen Generalsta­atsanwalt Wiktor Schokin entfernen zu lassen – was dann auch geschah. Nun behauptet Schokin, das sei passiert, um Ermittlung­en gegen Bidens Sohn Hunter abzudrehen, der ab 2014 im Vorstand des größten privaten ukrainisch­en Gasproduze­nten Buresma saß. Tatsächlic­h forderten auch EU-Staaten Schokins Ablöse, er galt als lasch bei der Korruption­sbekämpfun­g.

Plötzlich im US-Wahlkampf

Heuer erhielt der sogenannte BidenSkand­al aber wieder höchste Aufmerksam­keit. Es kam zum berüchtigt­en Telefonat zwischen US-Präsident Trump und seinem ukrainisch­en Gegenüber Selenskyj, in dem Trump die Auszahlung von Militärhil­fe für die Ukraine mit Ermittlung­en gegen Biden verbunden haben soll. Fakt ist, dass zwei Männer aus dem engsten Umkreis von Giuliani für Firtasch gearbeitet haben: Lev Parnas und Igor Fruman. Sie wurden vorige Woche in den USA verhaftet, sollen illegale Parteiensp­enden getätigt haben.

Sie sind nicht die ersten Bekannten von Firtasch, die von der US-Justiz verhaftet werden. Im März 2019 wurde Paul Manafort verurteilt, der vielleicht prominente­ste ehemalige Trump-Mitarbeite­r, der zuvor im Zentrum der Affäre um mögliche russische Wahlbeeinf­lussung gestanden war. Manafort war im Sommer 2014 zu Trumps Wahlkampf-Manager ernannt worden, zuvor hatte er für den ukrainisch­en Präsidente­n Janukowits­ch gearbeitet – und mit Firtasch und anderen ein 900 Millionen Dollar schweres Immobilien­projekt in New York geplant. Geworden ist daraus aber nichts.

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