Schwere Kämpfe in Nordsyrien trotz Rufs nach Waffenruhe
Einem Bericht zufolge haben US-Truppen die kurdische Stadt Manbij, die sie einst von der IS-Miliz befreit haben, an die Russen „übergeben“. Die US-Sanktionen erweisen sich zudem als stumpfe Waffe.
Ankara/Damaskus – Die Forderung der USA nach einer Waffenruhe verhallt wirkungslos: Türkische Truppen in Nordsyrien lieferten sich auch am Dienstag erbitterte Kämpfe mit der Kurdenmiliz YPG. In der Stadt Manbij wurde ein türkischer Soldat getötet, 18 weitere wurden verletzt. US-Truppen zogen aus der Stadt ab und übergaben sie praktisch an die Russen.
Am Vortag hatte US-Präsident Donald Trump neue Sanktionen gegen Ankara erlassen. Doch diese fielen moderat aus und beeindrucken weder Präsident Tayyip Erdogan noch die Finanzmärkte: Der Leitindex der Istanbuler Börse stieg wie auch die Landeswährung. Mit dem Abzug aus Nordsyrien hatte Trump die türkische Invasion erst ausgelöst. (red)
Ein Video, das am Dienstag in den sozialen Medien die Runde machte, zeigt, wie eine Kolonne hochmoderner USPanzerfahrzeuge auf einer Landstraße in die eine Richtung fährt, einige Pick-ups mit aufgesteckten syrischen Flaggen in die andere. Die einen verlassen die syrischkurdische Grenzstadt Kobanê, die im Winter 2015 der Schauplatz einer Befreiungsschlacht zwischen den kurdischen YPGMilizen und den IS-Besatzern wurde. Die anderen rücken ebendort ein.
In der Stadt Manbij auf der anderen, westlichen Seite des Euphrat spielten sich zeitgleich ähnliche Szenen ab, abrückende USStreitkräfte machten Platz für russische Truppen, dem Magazin Newsweek zufolge fand dort „eine Übergabe“statt. Ziel der US-Truppen sei gewesen, mit „so vielen Dingen wie möglich“abzuziehen und dabei „jegliches sensibles Gerät“zu zerstören. Das syrische Staatsfernsehen zeigte Aufnahmen, auf denen Einwohner Manbijs die eintreffenden Regierungssoldaten begrüßen. Kurdischen Quellen zufolge wurden syrische Flaggen gehisst. Die regimetreue Nachrichtenagentur Sana berichtete, 150 US-Soldaten hätten sich auf den Weg in den Irak gemacht.
Das US-Zentralkommando bestätigte den Newsweek-Bericht zunächst nicht. Aus dem Verteidigungsministerium in Moskau hieß es, die syrische Armee habe die „volle Kontrolle“über Manbij übernommen, die russische Armee patrouilliere lediglich in der Gegend. Zugleich sprach das Ministerium von einem „organisierten Zusammenwirken mit der türkischen Seite“.
Tote auch in der Türkei
Bei Kämpfen um die Stadt sind nach türkischen Angaben ein Soldat und 15 YPG-Milizionäre getötet worden. Auf der anderen Seite der Grenze, in der türkischen Provinz Mardin, sind laut dem lokalen Gouverneursamt zwei Menschen durch Mörsergranaten aus Syrien ums Leben gekommen. Ankara macht die YPG für den Angriff verantwortlich.
Angesichts der europäischen Sorgen bezüglich möglicherweise entflohener IS-Kämpfer aus kurdischen Gefängnissen bemühte sich der türkische Präsident Tayyip Erdogan am Dienstag in einem Gastbeitrag in der US-Zeitung Wall Street Journal um Beruhigung. „Wir werden sicherstellen, das kein Kämpfer des IS den Nordosten Syriens verlassen kann“, schrieb Erdogan in einem Kommentar. Wie genau er dies zu bewerkstelligen gedenkt, ließ der Präsident allerdings offen. Schon jetzt habe die türkische Armee im Rahmen ihrer Operation „Friedensquell“Gebiete in der Größe von 1000 Quadratkilometern erobert, am Ende soll Erdogan zufolge ein zehnmal so großes Territorium zwischen Manbij und der irakischen Grenze unter türkischer Kontrolle stehen.
Milde Sanktionen
Die USA haben in der Nacht auf Dienstag Sanktionen gegen mehrere türkische Minister und deren Behörden verhängt, die sie für den Einmarsch verantwortlich machen. Neben den Sanktionen kündigte Präsident Donald Trump an, Gespräche mit der Türkei über ein Handelsabkommen im Volumen von 100 Milliarden Dollar zu stoppen und die Zölle auf Stahl auf 50 Prozent anzuheben. Weil die USStrafmaßnahmen anders als erwartet aber weder das Bankennoch das Finanzsystem umfassten, reagierte die türkische Währung Lira am Dienstag erleichtert und gewann im Vergleich zum Montag nach kurzem Höhenflug um 0,4 Prozent dazu.
Kritik an den vergleichsweise milden Sanktionen und der Abkehr der USA von ihren kurdischen Verbündeten lässt Trump nicht gelten. In einem Tweet schrieb er, jeder könne Syrien dabei helfen, die Kurden zu schützen – „Russland, China oder Napoleon Bonaparte“. Er, so Trump, wünsche ihnen gutes Gelingen. „Wir sind 7000 Meilen weit weg!“
Flüchtlinge Seite 8