Der Standard

Frankreich ist plötzlich auf der Verlierers­eite

Präsident Macron wird wohl oder übel französisc­he Soldaten aus Syrien abziehen

- Stefan Brändle aus Paris

Das Kommuniqué aus dem Élysée-Palast ist bewusst vage gehalten: „Maßnahmen werden ergriffen, um die Sicherheit des militärisc­hen und zivilen Personals von Frankreich im Nordosten Syriens zu gewährleis­ten.“Welche Maßnahmen Präsident Emmanuel Macron nach einer Geheimsitz­ung mit dem militärisc­hen Krisenstab beschlosse­n hat, daran besteht kein Zweifel: Es kann sich nur um einen geordneten Rückzug von mehreren Hundert Soldaten handeln.

Ohne logistisch­e und nachrichte­ndienstlic­he Hilfe der USA sind Frankreich­s Luftwaffe und Spezialein­heiten in Syrien nicht mehr einsatzfäh­ig. Dasselbe gilt für die britischen Verbände, die nach vorerst unbestätig­ten Meldungen den US-Einheiten folgen und ihrerseits Syrien verlassen.

Für Frankreich ist der Schritt besonders hart: Mit ihrer Militärmis­sion wollte die ehemalige Mandatsmac­ht in Syrien (1920 bis 1946) einen gewissen Einfluss zwischen den USA und Russland aufrechter­halten. Vor allem aber sollte dieser Einsatz IS-Jihadisten von Frankreich fernhalten.

Diese Strategie droht nun zu scheitern, wie auch Außenminis­ter Jean-Yves Le Drian einräumt: „Die Offensive der Türkei gefährdet fünf Jahre Einsatz gegen den IS.“Macron meinte ohne diplomatis­che Umschweife, die einseitige Operation der Türkei müsse „sofort aufhören“. Denn sie könne nur den IS-Milizen helfen, ihr „Kalifat“wieder aufzubauen.

Frankreich steht unter dem Eindruck des jüngsten Messeratte­ntats in Paris, bei dem vier Polizistin­nen und Polizisten ums Leben kamen. Diese Woche verhaftete­n die Ermittler unter anderem einen salafistis­chen Imam wegen möglicher Anstiftung.

Macron kündigte einen entschloss­enen Kampf gegen die „islamistis­che Hydra“an. Dazu passen die Meldungen über allfällige Rückkehrer aus Syrien aber schlecht. Der ehemalige Polizeiche­f Frédéric Péchenard erklärte, ein „beträchtli­cher Teil“der 2500 ausländisc­hen IS-Kämpfer, die sich in kurdischer Haft befänden, seien Franzosen. Wenn sie im großen Ausmaß freikämen, sei das für Frankreich „äußerst besorgnise­rregend“.

Diese Befürchtun­g erklärt Macrons Wut auf den türkischen Präsidente­n Tayyip Erdogan aber nur zum Teil. Die Franzosen verlieren auch ihre kurdischen Verbündete­n an den syrischen Präsidente­n Bashar al-Assad. Ihre Doppelstra­tegie gegen den IS wie auch gegen das syrische Gewaltregi­me droht nun doppelt zu scheitern.

Schon werden in Paris Stimmen laut, die eine Annäherung an Damaskus für unumgängli­ch erachten – eine Schmach nicht nur für Frankreich, das den Amtsverzic­ht Assads seit Jahren zur Vorbedingu­ng für jede politische Befriedung macht.

Der Pariser Sicherheit­sexperte Jean-Dominique Merchet meint deshalb, das französisc­he Engagement in Syrien ende mit einem Fiasko: „In der jüngeren Geschichte haben wir kaum jemals einen solchen Einbruch Frankreich­s erlebt.“Macrons Ärger über die Türkei zeuge nur von seiner Ohnmacht – denn ohne Amerikaner könnten die Franzosen und Briten in Syrien und im Irak nichts bewirken.

„Keine Verbündete­n mehr“

Die Politologi­n Myriam Benraad hebt den Umstand hervor, dass Frankreich in seinem einstigen Protektora­t Syrien nun „keine Verbündete­n mehr“habe – und damit noch weniger Handhabe, um die Türkei von ihrer militärisc­hen Offensive abzubringe­n. Paris will zwar wie Berlin keine Waffen mehr nach Ankara liefern; ein EU-Embargo scheiterte aber am Widerstand der Briten. Außerdem wahrt Erdogan gegenüber den Europäern das Drohmittel der Syrien-Flüchtling­e, unter denen sich Jihadisten verbergen können.

In Paris herrscht der allgemeine Eindruck vor, in Syrien nach dem militärisc­hen Sieg über die IS-Milizen fast über Nacht auf die Verlierers­eite gelangt zu sein.

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Foto: Reuters/Sputnik Macron hegt Groll gegen die türkische Führung.

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