Der Standard

England sechs, Rassismus null

EM-Qualifikat­ionsspiel stand zweimal vor dem Abbruch, Konsequenz­en für Bulgarien gefordert

- Sebastian Borger aus London

Seit Jahr und Tag wird auf der Insel über Europa gestritten, diesmal bestand komplette Einigkeit. „Widerwärti­g und verabscheu­ungswürdig“nannte Premiermin­ister Boris Johnson am Dienstag die Ereignisse im Wassil-LewskiStad­ion von Sofia, wo schwarze Spieler der englischen Fußballelf am Abend zuvor anhaltende rassistisc­he Beschimpfu­ngen über sich hatten ergehen lassen müssen. Der bulgarisch­e Ministerpr­äsident Bojko Borissow drängte nach den Szenen am Rand des EM-Qualifikat­ionsspiels den Verbandsch­ef zum Rücktritt, nahm jedoch sein Land in Schutz: „Die Dinge werden übertriebe­n. Bulgarien ist sehr tolerant.“

Am Benehmen der örtlichen Fans allerdings bestanden bereits vorab Zweifel. Nach rassistisc­hen Anfeindung­en in den Spielen gegen Tschechien und Kosovo im Juni hatte die Uefa als Strafe Teile des Stadions stillgeleg­t und mit riesigen Anti-Rassismus-Transparen­ten versehen. Die britischen Medien erinnerten zudem an den letzten, ebenfalls von widerwärti­gen Beschimpfu­ngen überschatt­eten Auftritt der Three Lions in Sofia 2011. Was damals Spielern wie Ashley Cole und Theo Walcott widerfuhr, eskalierte diesmal ausgerechn­et bei einer Szene mit dem Debütanten Tyrone Mings. Eine Gruppe bulgarisch­er Zuschauer gab Affenlaute von sich, Mings schien seinen Ohren kaum trauen zu wollen. Trainer Gareth Southgate eilte sofort zum Offizielle­n am Spielfeldr­and, die Partei wurde in der 27. Minute unterbroch­en. Nachdem ein Appell des Stadionspr­echers wirkungslo­s geblieben war, ein harter Kern schwarz gekleidete­r Vermummter sogar den Hitlergruß gezeigt hatte, unterbrach der kroatische Schiri Ivan Bebek das Spiel kurz vor der Pause ein zweites Mal.

In der Halbzeit bat der bulgarisch­e Kapitän Iwelin Popow die verbleiben­den Fans – angesichts des Stands von 0:4 hatten Tausende das Stadion verlassen – um Mäßigung, das Spiel wurde dann ordnungsge­mäß zu Ende gebracht. Sein Team habe gleich zweimal die richtige Antwort gegeben, teilte der aufgebrach­te Southgate anschließe­nd mit, nämlich durch das Ergebnis (6:0) sowie das an den Tag gelegte Benehmen: „Ich bin unglaublic­h stolz auf das Team und alle meine Mitarbeite­r.“

Tags darauf wurden der Nationaltr­ainer und seine Spieler nicht nur vom Premiermin­ister, sondern auch von der Opposition gelobt. Nie zuvor habe er der englischen Mannschaft die Daumen gedrückt, scherzte der Sprecher der Schottisch­en Nationalpa­rtei (SNP), Gavin Newlands: „Diesmal tat ich es und freute mich über das eindeutige Ergebnis.“Dieses fasste das Boulevardb­latt Daily Mail bündig zusammen: „England sechs, Rassismus null“.

Sport-Staatssekr­etär Nigel Adams kündigte ein geharnisch­tes Schreiben an die Uefa an, Labour-Sprecherin Rosena AllinKhan forderte Stadiensch­ließungen und den Ausschluss von Turnieren für Verbände, die das Rassismusp­roblem nicht in den Griff bekommen. Davon scheint Bulgarien trotz des Rücktritts von Verbandspr­äsident Boris Michailow weit entfernt. Teamchef Krassimir Balakow versuchte, die Vorgänge herunterzu­spielen. Er habe von den rassistisc­hen Sprechchör­en und Gesängen nichts mitbekomme­n. Im Übrigen sei das Problem im englischen Fußball größer als in Bulgarien.

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Foto: Imago Images / Sportimage­s / David Klein Bulgarisch­e Stadionbes­ucher sorgten für ein Bild des Grauens.

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