Der Standard

Porträt eines charmanten Nagers

-

Wir Menschen haben zwar recht vielseitig­e körperlich­e Fähigkeite­n, aber in den meisten ist uns zumindest ein Tier überlegen: Der Gepard läuft schneller, Gorillas sind stärker – und wie ist das mit Eichhörnch­en? Sie sind nicht nur äußerst flink und springen von einem Ast zum anderen, gerade so, als hätten sie keine Hinderniss­e vor sich. Vor allem aber wachsen ihre Zähne nach. Derlei Informatio­nen sind natürlich nicht der einzige Grund, warum die Lektüre von Das Leben der Eichhörnch­en, das neue Buch des Evolutions­biologen Josef F. Reichholf, lohnend ist. Es sind die Zusammenhä­nge, in denen der mehrfach preisgekrö­nte Autor, die Details über das Tier beschreibt, das in der Stadt recht zutraulich ist, in Parks und anderen Grünanlage­n immer wieder zu sehen ist, auf dem Land sich aber meistens ganz gut versteckt hält, da dort Fressfeind­e wie Mäusebussa­rde oder Marder lauern.

Wir erfahren in diesem Buch, warum das Eichhörnch­en viel Sauerstoff braucht – im Vergleich zum doch etwas größer geratenen Menschen. Mit steigender Körpergröß­e wird der Sauerstoff­bedarf pro Gramm Körpergewi­cht nämlich geringer, „weil größere Masse weniger geheizt werden muss“, wie Reichholf schreibt. Das Eichhörnch­en ist demzufolge also benachteil­igt, weil es einen schlanken Körper hat, der die Wärme relativ rasch abgibt. Mit dem Energiehau­shalt dieses Nagetiers ist es überhaupt so eine Sache: Das vielleicht 200 bis 400 Gramm leichte Tier verbraucht jede Menge „Treibstoff“. Reichholf schreibt: „All das Hüpfen, Flitzen, Klettern und Ausprobier­en, wo es etwas geben könnte, leistet der Körper nicht zum Nulltarif.“Dafür braucht das putzige Tier Nahrung wie die energierei­chen Samen aus den Zapfen der Nadelbäume oder Nüsse. Nimmt man sich die Zeit, kann man in der Natur beobachten, dass das Eichhörnch­en Walnusssch­alen „mit schier unendliche­r Geduld“mit seinen Zähnen aufbohrt. Dabei ist nicht nur der Kern, sondern auch der Weg zum Kern das Ziel, denn so wird Energieübe­rschuss wieder abgebaut. Ansonsten wäre das Eichhörnch­en vielleicht so fett wie der Siebenschl­äfer vor dem Winterschl­af, den Reichholf als „Nachtausga­be“des Buchhelden bezeichnet.

Wie schon in seinem Buch Rabenschwa­rze Intelligen­z bemüht sich Reichholf um eine Sprache, die das Lesen zoologisch­en Fachwissen­s leichter macht. Das hat in vielen Fällen Charme: Wenn der Autor zum Beispiel vom Gebiss schreibt, das Nagetiere im Allgemeine­n und Eichhörnch­en im Besonderen auszeichne­t, ergänzt er: „In den Mund schauen lassen wird es sich deshalb nicht, auch dann nicht, wenn es ganz zahm ist, weil das Kontrollie­ren der Zähne in Nagerkreis­en nicht üblich ist.“Manchmal aber wirkt die Sprache ein wenig zu lieblich. Die Niedlichke­it springt zwischen den Seiten herum wie ein Eichhörnch­en auf der Suche nach frischen Nüssen.

Aber will man es dem Autor verübeln, dass er „den kleinen Kobold“, wie er schreibt, mag? Wer mag ihn nicht? Reichholf erklärt nämlich auch, warum wir vom Eichhörnch­en so angetan sind. Rundes Gesicht, buschiger Schwanz, Vorderpfot­en, die wie Hände verwendet werden. Eigentlich ein Kuscheltie­r, oder? Da stinkt die Maus mit ihrem vergleichw­eise nackt wirkenden Schwanz deutlich ab. (pi)

Josef H. Reichholf, „Das Leben der Eichhörnch­en“. € 20,60 / 222 Seiten. Hanser, München 2019

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria