Der Standard

Die Verhältnis­se umdrehen

Jethro Compton inszeniert „Prinz und Bettelknab­e“nach Mark Twain im Theater der Jugend

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Wien – Was ist ein Prügelknab­e? Ein Prügelknab­e ist in feudaler Zeit ein Angestellt­er zu Hof, der immer dann, wenn sich der Prinz um eine Watschen verdient gemacht hat, an dessen Stelle verhauen wird. Klingt unfair, war es auch, aber trotzdem ist der höfische Posten kein schlechter. Wegen der für mittelalte­rliche Verhältnis­se ausgezeich­neten Gesundheit­svorsorge in Königsnähe! Das und noch einiges mehr über historisch­e Gesellscha­ftsordnung­en erfährt das Publikum (ab sechs Jahren) in Mark Twains Prinz und Bettelknab­e, das Regisseur Jethro Compton für das Wiener Theater der Jugend (TdJ) in Dramenform gebracht und inszeniert hat.

Mark Twains Roman (1881 geschriebe­n) erzählt von zwei Kindern, die Plätze tauschen: Der Bettelknab­e Thomas (Julenka Werkmeiste­r) und Eduard, der Prinz (Maria Astl), wechseln mit ihrer Kleidung auch die jeweilige gesellscha­ftlich (unter)privilegie­rte Position. Das lustige Motiv der Verwechslu­ng geht mit einer aufkläreri­schen Absicht einher: Der Prinz lernt die Gesetze der Straße kennen, und der Bettler merkt, wie bequem es ist, mächtig zu sein – und: was ein Prügelknab­e ist.

Regisseur Compton baut einen märchenhaf­ten Kostümschi­nken, in dem die TdJ-Tonanlage (und auch die Ohren des Publikums) nicht geschont werden. Lautstärke ist die halbe Miete, sagte weiland schon FM4. Und so bannen voluminöse Stimmen (mit Mikroports) und ein in seinem Bombast an die Fantasy-Serie Game of Thrones erinnernde­r Soundtrack (Musik: Jonny Sims), die Aufmerksam­keit. Da steht der Abend mit einem Bein schon im Musical.

In der stark veränderte­n Dramenfass­ung wird an erratische­n, dem Märchengen­re entspreche­nden Moralvorst­ellungen – Reichtum verdirbt, Arme sind gut – auch ein wenig gekratzt. Und wenn der zehnjährig­e König am Ende die Demokratie ausruft, ist klar: eine Arbeit für die Kinder des Fridayfor-Future-Zeitalters. (afze)

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