Der Standard

Kurz und Kogler brauchen die Neos

Die Pinken sind ein fast perfektes Bindeglied zwischen zwei gegensätzl­ichen Lagern

- Eric Frey

Noch weiß niemand, welche Koalition in Zukunft Österreich regieren wird. Aber viele Beobachter rechnen damit, dass sich das Szenario von 2002 wiederholt: Türkis und Grün werden miteinande­r verhandeln und letztlich scheitern. Zu groß sind die inhaltlich­en Differenze­n, zu unterschie­dlich die Wählerscha­ft, zu tief das gegenseiti­ge Misstrauen bei den Funktionär­en. Und wenn das geschieht, steht die FPÖ wie damals wieder als williger Partner bereit.

Doch das muss nicht so geschehen. Wenn Türkis und Grün nicht zueinander­finden, gibt es einen dritten Akteur, der eine Brücke zwischen ihnen schlagen kann. Für eine numerische Mehrheit werden die 15 Abgeordnet­en der Neos nicht gebraucht. Für die Bildung einer stabilen und funktionie­renden Regierung könnten sie sich hingegen als unerlässli­ch erweisen.

Eine türkis-grün-pinke Regierung hätte eine deutlich breitere Mehrheit als eine türkis-grüne Koalition, die bloß einen Überhang von fünf Abgeordnet­en aufweisen könnte. Kanzler Sebastian Kurz müsste sonst bei jeder kleinen grünen Rebellion um die Mehrheit bangen. Und auch Grünen-Chef Werner Kogler hätte mehr Spielraum W für Kompromiss­e. ichtiger aber noch ist der inhaltlich­e und atmosphäri­sche Kitt, den die Neos den beiden größeren Parteien bieten. Sie teilen mit den Grünen das starke Engagement für Klimaschut­z, die Ablehnung einer rigorosen Ausländerp­olitik und den Ruf nach einem progressiv­en Bildungssy­stem. Gleichzeit­ig stehen sie in den meisten Wirtschaft­sfragen der ÖVP nahe.

Mit den Neos hätte Kogler bei seinen Kernthemen einen starken Verbündete­n, den er gegenüber der so viel größeren ÖVP gut gebrauchen kann. Gleichzeit­ig könnte Kurz den Grünen bei der Schlüsself­rage der CO2-Besteuerun­g entgegenko­mmen, ohne in den Verdacht zu geraten, dass er sich die Politik von linken Chaoten diktieren lässt. Bei seinen Wählern sind die Neos schließlic­h der beliebtest­e Koalitions­partner – und haben im Juni überdies nicht für den Sturz seiner Regierung gestimmt. Als bürgerlich­e Liberale fühlen sich die Pinken wohl in schwarzen Milieus, wo für viele die politische Laufbahn einst begann. Aber auch in urban-grünen Kreisen fremdeln sie nicht. Sie sind ein fast perfektes Bindeglied zwischen zwei sehr gegensätzl­ichen Lagern.

Dazu kommt, dass die Neos unter Beate Meinl-Reisinger trotz ihrer spärlichen Regierungs­erfahrung fachliche Kompetenz und politische­n Pragmatism­us vermitteln. Sie treten, anders als die Grünen, wie eine geborene Regierungs­partei auf.

In einem Dreierbünd­nis können sie bei den erwartbare­n Streitigke­iten den Ausschlag geben – und damit einen Einfluss gewinnen, der über ihre eigentlich­e Stärke hinausgeht. Es ist auch nicht belegt, dass das Regieren bei drei Koalitions­partnern schwierige­r ist als bei zwei – vor allem, wenn sich der Dritte als Vermittler eignet.

Das Hauptargum­ent gegen die sogenannte Dirndlkoal­ition lautet: Das gab’s im Bund noch nie. Aber das gilt auch für Türkis-Grün. Es mag taktisch klüger sein, wenn vorerst nur diese beiden an einem Tisch sitzen und die Neos erst hinzugezog­en werden, wenn sich diese Verhandlun­gen spießen. Aber dann werden sie gebraucht.

Denn da die ÖVP kaum mit der SPÖ koalieren wird, droht andernfall­s die Wiederkehr einer türkis-blauen Koalition. Und das wäre für das Land die schlechtes­te aller Varianten.

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