Buchpreisträger, dem bei Handke der Kragen platzt
Saša Stanišić hat turbulente Tage hinter sich. Am vergangenen Donnerstag war er einer der Ersten, die sich kritisch zum Nobelpreis für Peter Handke äußerten – auf Twitter, wo es seither in dieser Angelegenheit rundgeht. Weitgehend einhellige Zustimmung fand hingegen, dass er am Montag mit dem Deutschen Buchpreis für sein Buch
Herkunft ausgezeichnet wurde. In seiner Timeline vermischen sich nun die beiden Themen.
Stanišić äußert sich auch deswegen so engagiert, weil er autobiografisch betroffen ist: Er kam 1978 in Višegrad zur Welt. Das ist die Stadt an der Drina, die Handke 1996 auf dem
Weg nach Srebrenica besuchte. In Herkunft spielt Stanišić mit den Formen des Autobiografischen. In einem Lebenslauf schrieb er: Grundschule in Višegrad, Studium der Slawistik in Heidelberg. Gleich daneben steht eine Erinnerung an seine Großmutter und ein Nudelholz, das ihm bis heute „ein reserviertes Verhältnis zu Teigwaren“beschert hat. Die eine Information ist staatsbürgerschaftlich relevant, die andere persönlich und literarisch. An der Aufhebung dieses Unterschieds arbeitet Stanišić mit seinen Büchern.
Er kam 1992 mit seinen Eltern (der Vater: Betriebswirt, Serbe; die Mutter: Professorin für Politik, Bosnierin) nach Heidelberg. Schreiben wollte er seit seiner Kindheit, das Studium (mit einer Magisterarbeit über Wolf Haas!) war nur ein Zwischenspiel. 2004 wechselte er an das Deutsche Literaturinstitut Leipzig, 2005 nahm er am Bachmannpreis teil, und 2006 brachte er sein erstes Buch heraus: Wie der Soldat das Grammofon repariert handelt von einem jungen Bosnier aus Višegrad, der nach Deutschland flieht.
Mit seiner gewitzten Autofiktion traf Stanišić einen Ton, der in der deutschsprachigen Literatur davor unterrepräsentiert gewesen war. In seinem zweiten Roman Vor dem Fest (2014) ging es schon wesentlich um sein Leben in Deutschland, am Beispiel eines Dorfes in der Uckermark.
Heute lebt Stanišić mit seiner Familie in Hamburg. Seit 2013 ist er deutscher Staatsbürger. In Herkunft beschreibt er in einer Szene, wie er in Višegrad auf zwei Geflüchtete aus Afghanistan trifft. Deren Rat: „Always be nobody.“
Saša Stanišić ist längst das Gegenteil von niemand: Er ist nun auch offiziell einer der wichtigsten Schriftsteller Deutschlands. Und, so will es die Logik der Mediengesellschaft, HandkeGegner. Es lohnt sich sehr, ihm auf Twitter zu folgen.