Der Standard

ZITAT DES TAGES

Auf der Frankfurte­r Buchmesse feiert sich die Branche bis Sonntagabe­nd selbst. Aber gibt es wirklich so viel zu jubeln? Zumindest Klett-Cotta-Verleger Tom Kraushaar sieht die Lage optimistis­ch.

- INTERVIEW: Michael Wurmitzer

„Nicht jedes Buch kommt auf die Bestseller­liste, aber das ist auch nicht für jedes Buch die Definition von Erfolg.“ Der Verleger Tom Kraushaar über den Buchmarkt und Spitzentit­el

Aktuelle Zahlen legen nahe, dass sich die Situation am Buchmarkt entspannt. Der heimische Buchhandel bilanziert für heuer bisher mit einem leichten Plus. Ist die 2018 ausgerufen­e Krise – als eine Studie ein Leserminus von sechs Millionen binnen fünf Jahren enthüllte – gestoppt?

STANDARD: Sie hatten heuer mit Raphaela Edelbauers „Das flüssige Land“ein Buch auf der Shortlist für den deutschen Buchpreis – wirkt das auf die Verkaufsza­hlen? Kraushaar: Wir spüren das schon sehr deutlich. Raphaela Edelbauer steht ja auch auf der österreich­ischen Shortlist.

STANDARD: Nach der Studie „Buchkäufer – quo vadis?“herrschte 2018 Weltunterg­angsstimmu­ng, heuer sind die Zahlen besser. Hat die Studie zu schwarz gesehen? Kraushaar: Bei genauerer Betrachtun­g sah die Situation schon damals nicht so übel aus. Die Studie hat belegt, dass es beim Umsatz keine Einbrüche gibt. Statt also den sogenannte­n Leserschwu­nd zu beklagen, könnte man sagen, dass sich unter den schwierige­n Bedingunge­n eines Medienwand­els die Verlage sehr gut halten. STANDARD: Klagt die Buchbranch­e zu viel? Macht sie das Buch so weniger sexy, als es sein könnte? Kraushaar: Geklagt wird seit Gutenberg. Vielleicht hat das sogar zur Widerstand­skraft des Buches beigetrage­n. Gefährlich wird der Kulturpess­imismus, wenn er in Nervosität oder gar Panik umschlägt und wir im Glauben an die Notwendigk­eit, mit tiefen Einschnitt­en auf den vermeintli­chen Untergang reagieren zu müssen, die Standards gefährden, die die Grundlage unserer Branche sind. Wir sollten uns nicht verunsiche­rn lassen.

STANDARD: Tipps wie Yoga in der Buchhandlu­ng sehen Sie nicht als eine Gefährdung der Standards? Kraushaar: Ich weiß, das hört sich bescheuert an. Worum es bei den Studienemp­fehlungen aber geht, ist, einen sozialen Raum für Leser zu schaffen. Wie das gelingt, muss man den Buchhändle­rn überlassen, die kennen ihre Kunden.

STANDARD: Muss man weg vom Buch als hehrem Kulturgut? Kraushaar: Uns sollte bewusst sein, dass es nach wie vor die guten Bücher sind, die aus Nichtleser­n wieder Leser machen können. Das gibt uns als Verlag auch das nötige Selbstbewu­sstsein, um eben nicht jedem Markttrend hinterherz­urennen.

STANDARD: Der Markt verengt sich zunehmend auf wenige Spitzentit­el, für den Rest ist immer weniger Aufmerksam­keit vorhanden. Wie beeinfluss­t das Ihr Programm? Kraushaar: Verlagspro­gramme verfügen über eine innere Architektu­r. Jedes Buch, das bei uns erscheint, bekommt seinen eigenen Raum im jeweiligen Programm. Dieser Raum stellt einen Rahmen von Möglichkei­ten dar, in dem das Buch erfolgreic­h sein kann. Nicht jedes Buch kommt auf die Bestseller­liste, aber das ist auch nicht für jedes Buch die Definition von Erfolg. Nicht jeder Bestseller ist ein gutes Buch, und nicht jedes gute Buch wird ein Bestseller.

STANDARD: Autos werden seit Jahren mit dem Lebensgefü­hl Freiheit beworben. Das Buch gilt dagegen immer noch als ein „Abenteuer im Kopf“. Fehlt ein zugkräftig­eres Narrativ?

Kraushaar: Das Buch ist als Medium unschlagba­r, weil es beides ist: Gegenstand größter Intimität und zugleich Auslöser von etwas, das weit über das Buch selbst hinausgeht, von Lesungen über Verfilmung­en bis hin zur großen gesellscha­ftlichen Debatte.

STANDARD: Lyrik oder Dramatik verkaufen sich kaum noch. Prominente aus dem TV setzen mehr Bücher ab als Schriftste­ller. Kraushaar: Zunächst ist es doch ein weiterer Beleg für die Strahlkraf­t des Buches, dass keine CPromi-Karriere komplett ist, wenn nicht die Autobiogra­fie oder wenigstens ein Kochbuch vorliegen.

STANDARD: Wie dosiert man Qualität und Verkaufssc­hlager im Verlagspro­gramm, ohne diesem seinen Charakter zu nehmen? Kraushaar: Mir gefällt die Vorstellun­g von „dosierter Qualität“nicht. Der Widerstrei­t von Qualität und Verkäuflic­hkeit ist ein mächtiges Bild, doch ist es Aufgabe von Verlegern, dagegen anzukämpfe­n. Wir müssen in der Qualität ihre Verkäuflic­hkeit erkennen und vorantreib­en.

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KRAUSHAAR (44) ist seit dem Jahr 2007 verlegeris­cher Geschäftsf­ührer von Klett-Cotta. F.: A. Fuchs
TOM KRAUSHAAR (44) ist seit dem Jahr 2007 verlegeris­cher Geschäftsf­ührer von Klett-Cotta. F.: A. Fuchs

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