ZITAT DES TAGES
Auf der Frankfurter Buchmesse feiert sich die Branche bis Sonntagabend selbst. Aber gibt es wirklich so viel zu jubeln? Zumindest Klett-Cotta-Verleger Tom Kraushaar sieht die Lage optimistisch.
„Nicht jedes Buch kommt auf die Bestsellerliste, aber das ist auch nicht für jedes Buch die Definition von Erfolg.“ Der Verleger Tom Kraushaar über den Buchmarkt und Spitzentitel
Aktuelle Zahlen legen nahe, dass sich die Situation am Buchmarkt entspannt. Der heimische Buchhandel bilanziert für heuer bisher mit einem leichten Plus. Ist die 2018 ausgerufene Krise – als eine Studie ein Leserminus von sechs Millionen binnen fünf Jahren enthüllte – gestoppt?
STANDARD: Sie hatten heuer mit Raphaela Edelbauers „Das flüssige Land“ein Buch auf der Shortlist für den deutschen Buchpreis – wirkt das auf die Verkaufszahlen? Kraushaar: Wir spüren das schon sehr deutlich. Raphaela Edelbauer steht ja auch auf der österreichischen Shortlist.
STANDARD: Nach der Studie „Buchkäufer – quo vadis?“herrschte 2018 Weltuntergangsstimmung, heuer sind die Zahlen besser. Hat die Studie zu schwarz gesehen? Kraushaar: Bei genauerer Betrachtung sah die Situation schon damals nicht so übel aus. Die Studie hat belegt, dass es beim Umsatz keine Einbrüche gibt. Statt also den sogenannten Leserschwund zu beklagen, könnte man sagen, dass sich unter den schwierigen Bedingungen eines Medienwandels die Verlage sehr gut halten. STANDARD: Klagt die Buchbranche zu viel? Macht sie das Buch so weniger sexy, als es sein könnte? Kraushaar: Geklagt wird seit Gutenberg. Vielleicht hat das sogar zur Widerstandskraft des Buches beigetragen. Gefährlich wird der Kulturpessimismus, wenn er in Nervosität oder gar Panik umschlägt und wir im Glauben an die Notwendigkeit, mit tiefen Einschnitten auf den vermeintlichen Untergang reagieren zu müssen, die Standards gefährden, die die Grundlage unserer Branche sind. Wir sollten uns nicht verunsichern lassen.
STANDARD: Tipps wie Yoga in der Buchhandlung sehen Sie nicht als eine Gefährdung der Standards? Kraushaar: Ich weiß, das hört sich bescheuert an. Worum es bei den Studienempfehlungen aber geht, ist, einen sozialen Raum für Leser zu schaffen. Wie das gelingt, muss man den Buchhändlern überlassen, die kennen ihre Kunden.
STANDARD: Muss man weg vom Buch als hehrem Kulturgut? Kraushaar: Uns sollte bewusst sein, dass es nach wie vor die guten Bücher sind, die aus Nichtlesern wieder Leser machen können. Das gibt uns als Verlag auch das nötige Selbstbewusstsein, um eben nicht jedem Markttrend hinterherzurennen.
STANDARD: Der Markt verengt sich zunehmend auf wenige Spitzentitel, für den Rest ist immer weniger Aufmerksamkeit vorhanden. Wie beeinflusst das Ihr Programm? Kraushaar: Verlagsprogramme verfügen über eine innere Architektur. Jedes Buch, das bei uns erscheint, bekommt seinen eigenen Raum im jeweiligen Programm. Dieser Raum stellt einen Rahmen von Möglichkeiten dar, in dem das Buch erfolgreich sein kann. Nicht jedes Buch kommt auf die Bestsellerliste, aber das ist auch nicht für jedes Buch die Definition von Erfolg. Nicht jeder Bestseller ist ein gutes Buch, und nicht jedes gute Buch wird ein Bestseller.
STANDARD: Autos werden seit Jahren mit dem Lebensgefühl Freiheit beworben. Das Buch gilt dagegen immer noch als ein „Abenteuer im Kopf“. Fehlt ein zugkräftigeres Narrativ?
Kraushaar: Das Buch ist als Medium unschlagbar, weil es beides ist: Gegenstand größter Intimität und zugleich Auslöser von etwas, das weit über das Buch selbst hinausgeht, von Lesungen über Verfilmungen bis hin zur großen gesellschaftlichen Debatte.
STANDARD: Lyrik oder Dramatik verkaufen sich kaum noch. Prominente aus dem TV setzen mehr Bücher ab als Schriftsteller. Kraushaar: Zunächst ist es doch ein weiterer Beleg für die Strahlkraft des Buches, dass keine CPromi-Karriere komplett ist, wenn nicht die Autobiografie oder wenigstens ein Kochbuch vorliegen.
STANDARD: Wie dosiert man Qualität und Verkaufsschlager im Verlagsprogramm, ohne diesem seinen Charakter zu nehmen? Kraushaar: Mir gefällt die Vorstellung von „dosierter Qualität“nicht. Der Widerstreit von Qualität und Verkäuflichkeit ist ein mächtiges Bild, doch ist es Aufgabe von Verlegern, dagegen anzukämpfen. Wir müssen in der Qualität ihre Verkäuflichkeit erkennen und vorantreiben.