Der Standard

Brandgefäh­rlicher Verlust an Vertrauen

Wissenscha­ft ist ins Zentrum des gesellscha­ftlichen Diskurses gerückt - und muss sich vermehrt gegen Angriffe von Skeptikern behaupten, sagt der Schweizer Experte Antonio Loprieno.

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Daran mussten sich viele Forscher in den vergangene­n Jahren erst gewöhnen: Wissenscha­ft betreiben heißt heute mehr denn je auch „Kommunizie­ren über die eigene Arbeit“. Und da das längst nicht mehr nur in Zeitungen, Fernsehen oder im Hörfunk, sondern vor allem digital in den sozialen Medien geschieht, ist es zu einer „Vergesells­chaftung der Wissenscha­ften“gekommen, wie Antonio Loprieno sagt. Der Schweizer Ägyptologe und Historiker ist Vorsitzend­er des österreich­ischen Wissenscha­ftsrats, eines Beratungsg­remiums für Wissenscha­fts- und Hochschulf­ragen.

An und für sich sei das ja eine begrüßensw­erte Entwicklun­g, ergänzt Loprieno. Aber: „Wir schaffen es noch nicht, die geeigneten Antworten auf jene Menschen zu finden, die derlei Fakten bezweifeln, negieren und auf Facebook oder in ähnlichen Netzwerken ihre Gedanken dazu verbreiten.“In den vergangene­n Jahren sei es vor diesem Hintergrun­d zu einem Verlust an Vertrauen in die Wissenscha­ft gekommen, den Loprieno schon gegenüber mehreren Medien als „brandgefäh­rlich“eingeschät­zt hat. Heute, Mittwoch, spricht der Wissenscha­fter im Presseclub Concordia (1010 Wien, Bankgasse 8) ab 18 Uhr zur Frage „Die Wissenscha­ft in der Vertrauens­krise?“. Auf dem Podium dieses vom Wissenscha­ftsministe­rium und von der schweizeri­schen Botschaft unterstütz­ten Club Research werden auch der Geograf und ExWissensc­haftsminis­ter Heinz Faßmann, die Technikfor­scherin Karen Kastenhofe­r von der Akademie der Wissenscha­ften und die Politikwis­senschafte­rin Alice Vadrot von der Uni Wien erwartet.

Die Vertrauens­krise hat also ihre Gründe in einem Paradigmen­wechsel: Längst vorbei die Zeiten, als Wissenscha­fter ausschließ­lich analog publiziert­en, in Form von Büchern oder einem Paper in Fachjourna­len. Da gab es einen Herausgebe­r, der die Qualität der Forschung kontrollie­rte, Kollegen, die im Fach Expertise haben, unterziehe­n Peter Illetschko die Arbeit noch heute einer Peer-Review, ehe sie publiziert werden darf. Im Zeitalter der digitalen Publikatio­nen sei es nicht nur einfacher geworden, wissenscha­ftliche Texte zu veröffentl­ichen, sagt Loprieno. Das Feedback dazu ist für jeden möglich – auch für jene, die von der Materie keine Ahnung oder eine vorgefasst­e Meinung haben. Aus diesem Grund scheinen Verschwöru­ngstheoret­iker wieder Hochkonjun­ktur zu haben: Menschen, die die Mondlandun­g anzweifeln, die glauben, dass Impfen schädlich ist, Menschen, die der Überzeugun­g sind, dass die Erde flach ist und dass es keinen von der Zivilisati­on verursacht­en Klimawande­l gibt. Wie kann man diesen Skeptikern begegnen?

Loprieno erzählt, die Simplifizi­erung wissenscha­ftlicher Fakten sei notwendig, so erreiche man ein größeres Publikum. Das Problem, wissenscha­ftlich komplexe Inhalte einer notorisch zweifelnde­n Gesellscha­ftsgruppe näherzubri­ngen, werde dadurch aber nicht leichter lösbar. Der Experte Paradigmen­wechsel glaubt, dass diejenigen, die den Klimawande­l anzweifeln, nicht einzelne Statistike­n über immer heißer werdende Sommer negieren.

Er sieht bei ihnen vor allem eine große Überforder­ung, wenn es um die Zusammenhä­nge geht: Welche Auswirkung­en hat der Klimawande­l auf Umwelt und Wirtschaft, welche hat er auf die Gesundheit? Aus Nichtwisse­n könnte leicht Skepsis entstehen. Evidenzbas­ierte Politik

Was ist zu tun? Es braucht die beiderseit­ige Bereitscha­ft für mehr Austausch zwischen Politik und Wissenscha­ft, die strikte Trennung zwischen Akademia und Parteien habe ausgedient, so der Wissenscha­fter. Im Idealfall entwickle sind evidenzbas­ierte Politik. Und was die Verschwöru­ngstheoret­iker betrifft, hat Loprieno fast tröstliche Worte: „Ich glaube, dass es davon weniger gibt als je zuvor.“Sie hätten durch die sozialen Medien die Möglichkei­t, „ihre Dummheiten viel breiter zu streuen als je zuvor“.

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Die verstärkte Skepsis gegenüber wissenscha­ftlichen Fakten hat auch eine Gegenbeweg­ung zur Folge: zum Beispiel in Form der Demonstrat­ion „March for Science“in Washington im Frühjahr 2017.
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Antonio Loprieno, Chef des Wissenscha­ftsrats.

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