Brexit-Stress in Brüssel und London
Der Nordirland-Experte David Phinnemore glaubt, dass die meisten Briten nur wenig Verständnis für die Situation auf der Grünen Insel haben. Dabei ist gerade die Irland-Frage der zentrale Punkt bei den Brexit-Verhandlungen.
Das Leben, so wusste es schon der tragische Filmheld Forrest Gump, ist wie eine Schachtel Pralinen: Man weiß nie, was man kriegt. Beim Brexit, ebenfalls eine tragische Geschichte, verhält es sich ähnlich. Wieder einmal wird in Brüssel und London verhandelt, wieder einmal steht es Spitz auf Knopf. Deal oder No Deal, lautet die Frage aller Fragen. Und Boris Johnson, der hier so freundlich von der Hauswand lugt, muss darauf schleunigst eine Antwort finden. Auf dem Gipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs, der sich heute, Donnerstag, und Freitag mit Londons neuem Vorschlag befassen soll, muss der blonde Brite liefern, damit ganz am Schluss doch noch ein Happy End steht.
STANDARD: Bis zuletzt dominiert die irische Grenze die Brexit-Verhandlungen. Was ist daran so schwierig?
Phinnemore: Das geht damit los, dass vielen Engländern das Verständnis für eine Landgrenze völlig fehlt. Wenn die das Wort Grenze hören, denken sie an Häfen oder Flughäfen, an Dover, Felixstowe oder Heathrow. Die meisten Kontinentaleuropäer haben instinktiv eine bessere Vorstellung davon, was eine Landgrenze ausmacht.
STANDARD: In der EU haben diese Grenzen an Bedeutung verloren.
Phinnemore: Natürlich, schließlich besteht das Projekt der europäischen Integration in letzter Konsequenz doch genau darin: Grenzen zu überwinden.
STANDARD: Worin liegt das konkrete Problem der Grenze zwischen dem Vereinigten Königreich und der Republik Irland?
Phinnemore: Grenzen sind multidimensional: Es geht dabei um politische und wirtschaftliche Fragen, aber auch um Emotionen und um Historisches. In London wird immer nur über die technischen Probleme der inneririschen Grenze debattiert.
STANDARD: Die Debatte vor Ort verläuft ganz anders.
Phinnemore: Man muss zunächst feststellen: Diese Grenze ist umstritten. Sie beschreibt die Teilung der irischen Insel. Die Unionisten ...
STANDARD: ... überwiegend Protestanten, die sich als Briten fühlen ...
Phinnemore: ... wollen die Grenze. Die irisch fühlenden Nationalisten wollen sie weghaben. Die europäische Integration und das Karfreitagsabkommen von 1998 haben ermöglicht, dass die Grenze viel weniger wichtig wurde. Sie ist derzeit nicht markiert, man erkennt sie kaum. Durch den Brexit ist sie wieder Gegenstand der politischen Debatte geworden.
STANDARD: Warum muss es in Zukunft Kontrollen geben?
Phinnemore: Das Vereinigte Königreich sagt: Wir wollen sowohl den Binnenmarkt als auch die Zollunion der EU verlassen. Beide Projekte haben den Grenzabbau quer durch Europa ermöglicht. In Zukunft müssen Waren, vor allem Lebensmittel, darauf untersucht werden, ob sie dem gemeinsamen Standard entsprechen. Das geht nicht ohne Kontrollen.
STANDARD: In bestimmten Bereichen gibt es die auch heute schon.
Phinnemore: Richtig. Zum Beispiel wird jedes lebende Tier, das von der britischen Insel auf die irische gefahren wird, in den dortigen Häfen kontrolliert. Ähnliches gilt für Schusswaffen.
STANDARD: Was angesichts der blutigen Vergangenheit Nordirlands verständlich erscheint. Es gibt dort also in unterschiedlichen Bereichen schon bisher andere Regelungen als im Rest des Landes?
Phinnemore: So ist es. Das gilt für das Rechtssystem ebenso wie für bestimmte Sozialgesetzgebung. Das beste Beispiel ist ja die Abtreibung, die bis heute viel restriktiver gehandhabt wird als in Großbritannien.
STANDARD: Streit gab es in den Brexit-Verhandlungen auch über die Frage, ob die Nordiren ihrer Sonderrolle zustimmen müssten.
Phinnemore: Das geht ebenfalls auf das Karfreitagsabkommen zurück. Es sieht ein Referendum vor für den Fall, dass sich an der verfassungsrechtlichen Stellung Nordirlands etwas ändert. Das bekannteste Beispiel wäre eine Abstimmung über die Wiedervereinigung mit der Republik im Süden. Nach dem Brexit-Votum entschied der Belfaster High Court: Die Zustimmung der Nordiren für den Austritt aus der EU war nicht erforderlich, weil dies eine Entscheidung des gesamten Königreichs war. Da wirkt es auf mich jetzt ein wenig verwunderlich, dass die DUP plötzlich über die Ausgestaltung des Brexits abstimmen lassen will.
Im September 1992 präsentierte der damalige rote Gesundheitsminister Michael Ausserwinkler sein Vorhaben, Nichtraucherzonen in der Gastronomie zu schaffen. Damit begann eine Vierteljahrhundertdebatte über das (Nicht-)Rauchen in Lokalen, die längst mit einer einheitlichen Regelung hätte enden müssen.
Nicht so in Österreich: Mehrheiten wurden gewonnen und wieder verloren, Gesetze formuliert und über Bord geworfen, Meinungen von Experten und Expertinnen ausgetauscht. Sie sprechen eine klare Sprache: Ein absolutes Rauchverbot in der Gastronomie schützt nicht nur Gäste und Arbeitskräfte, es schont auch alle, die in Österreich Steuern zahlen – der volkswirtschaftliche Schaden durch das Rauchen geht in die Milliarden.
Spätestens im Oktober 2018, als ein Volksbegehren hunderttausendfach unterschrieben wurde, hätte daher der Höhe- und Schlusspunkt der Debatte erreicht sein sollen. Stattdessen wurde das „Don’t smoke“-Volksbegehren ad acta gelegt und die Forderung nach einem kompletten Rauchverbot von Türkis-Blau abgeschmettert. Die ÖVP lenkte erst ein, als sie nicht mehr an den Koalitionspartner gebunden war. Nicht unbedingt souverän, aber notwendig.
Auch jetzt ist die lange Affäre noch nicht ganz ausgestanden. Durch insgesamt drei Anträge an den Verfassungsgerichtshof sollte das Rauchverbot – wie schon so oft – aufgeweicht werden. Zwar ist es legitim und richtig, dass die Antragsteller ihre Sorgen und in ihren Augen schlüssige Argumente vorbringen können. Doch dass das Höchstgericht entschied, die erste der Vorlagen nicht einmal zu behandeln, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
In eine, in der Nichtraucherinnen und Nichtraucher 27 Jahre nach Beginn der Diskussion endlich ausreichend geschützt werden – und Österreich endlich internationale Standards erfüllt.