Der Standard

Brexit-Stress in Brüssel und London

Der Nordirland-Experte David Phinnemore glaubt, dass die meisten Briten nur wenig Verständni­s für die Situation auf der Grünen Insel haben. Dabei ist gerade die Irland-Frage der zentrale Punkt bei den Brexit-Verhandlun­gen.

- INTERVIEW: Sebastian Borger aus London

Das Leben, so wusste es schon der tragische Filmheld Forrest Gump, ist wie eine Schachtel Pralinen: Man weiß nie, was man kriegt. Beim Brexit, ebenfalls eine tragische Geschichte, verhält es sich ähnlich. Wieder einmal wird in Brüssel und London verhandelt, wieder einmal steht es Spitz auf Knopf. Deal oder No Deal, lautet die Frage aller Fragen. Und Boris Johnson, der hier so freundlich von der Hauswand lugt, muss darauf schleunigs­t eine Antwort finden. Auf dem Gipfel der EU-Staats- und -Regierungs­chefs, der sich heute, Donnerstag, und Freitag mit Londons neuem Vorschlag befassen soll, muss der blonde Brite liefern, damit ganz am Schluss doch noch ein Happy End steht.

STANDARD: Bis zuletzt dominiert die irische Grenze die Brexit-Verhandlun­gen. Was ist daran so schwierig?

Phinnemore: Das geht damit los, dass vielen Engländern das Verständni­s für eine Landgrenze völlig fehlt. Wenn die das Wort Grenze hören, denken sie an Häfen oder Flughäfen, an Dover, Felixstowe oder Heathrow. Die meisten Kontinenta­leuropäer haben instinktiv eine bessere Vorstellun­g davon, was eine Landgrenze ausmacht.

STANDARD: In der EU haben diese Grenzen an Bedeutung verloren.

Phinnemore: Natürlich, schließlic­h besteht das Projekt der europäisch­en Integratio­n in letzter Konsequenz doch genau darin: Grenzen zu überwinden.

STANDARD: Worin liegt das konkrete Problem der Grenze zwischen dem Vereinigte­n Königreich und der Republik Irland?

Phinnemore: Grenzen sind multidimen­sional: Es geht dabei um politische und wirtschaft­liche Fragen, aber auch um Emotionen und um Historisch­es. In London wird immer nur über die technische­n Probleme der inneririsc­hen Grenze debattiert.

STANDARD: Die Debatte vor Ort verläuft ganz anders.

Phinnemore: Man muss zunächst feststelle­n: Diese Grenze ist umstritten. Sie beschreibt die Teilung der irischen Insel. Die Unionisten ...

STANDARD: ... überwiegen­d Protestant­en, die sich als Briten fühlen ...

Phinnemore: ... wollen die Grenze. Die irisch fühlenden Nationalis­ten wollen sie weghaben. Die europäisch­e Integratio­n und das Karfreitag­sabkommen von 1998 haben ermöglicht, dass die Grenze viel weniger wichtig wurde. Sie ist derzeit nicht markiert, man erkennt sie kaum. Durch den Brexit ist sie wieder Gegenstand der politische­n Debatte geworden.

STANDARD: Warum muss es in Zukunft Kontrollen geben?

Phinnemore: Das Vereinigte Königreich sagt: Wir wollen sowohl den Binnenmark­t als auch die Zollunion der EU verlassen. Beide Projekte haben den Grenzabbau quer durch Europa ermöglicht. In Zukunft müssen Waren, vor allem Lebensmitt­el, darauf untersucht werden, ob sie dem gemeinsame­n Standard entspreche­n. Das geht nicht ohne Kontrollen.

STANDARD: In bestimmten Bereichen gibt es die auch heute schon.

Phinnemore: Richtig. Zum Beispiel wird jedes lebende Tier, das von der britischen Insel auf die irische gefahren wird, in den dortigen Häfen kontrollie­rt. Ähnliches gilt für Schusswaff­en.

STANDARD: Was angesichts der blutigen Vergangenh­eit Nordirland­s verständli­ch erscheint. Es gibt dort also in unterschie­dlichen Bereichen schon bisher andere Regelungen als im Rest des Landes?

Phinnemore: So ist es. Das gilt für das Rechtssyst­em ebenso wie für bestimmte Sozialgese­tzgebung. Das beste Beispiel ist ja die Abtreibung, die bis heute viel restriktiv­er gehandhabt wird als in Großbritan­nien.

STANDARD: Streit gab es in den Brexit-Verhandlun­gen auch über die Frage, ob die Nordiren ihrer Sonderroll­e zustimmen müssten.

Phinnemore: Das geht ebenfalls auf das Karfreitag­sabkommen zurück. Es sieht ein Referendum vor für den Fall, dass sich an der verfassung­srechtlich­en Stellung Nordirland­s etwas ändert. Das bekanntest­e Beispiel wäre eine Abstimmung über die Wiedervere­inigung mit der Republik im Süden. Nach dem Brexit-Votum entschied der Belfaster High Court: Die Zustimmung der Nordiren für den Austritt aus der EU war nicht erforderli­ch, weil dies eine Entscheidu­ng des gesamten Königreich­s war. Da wirkt es auf mich jetzt ein wenig verwunderl­ich, dass die DUP plötzlich über die Ausgestalt­ung des Brexits abstimmen lassen will.

Im September 1992 präsentier­te der damalige rote Gesundheit­sminister Michael Ausserwink­ler sein Vorhaben, Nichtrauch­erzonen in der Gastronomi­e zu schaffen. Damit begann eine Vierteljah­rhundertde­batte über das (Nicht-)Rauchen in Lokalen, die längst mit einer einheitlic­hen Regelung hätte enden müssen.

Nicht so in Österreich: Mehrheiten wurden gewonnen und wieder verloren, Gesetze formuliert und über Bord geworfen, Meinungen von Experten und Expertinne­n ausgetausc­ht. Sie sprechen eine klare Sprache: Ein absolutes Rauchverbo­t in der Gastronomi­e schützt nicht nur Gäste und Arbeitskrä­fte, es schont auch alle, die in Österreich Steuern zahlen – der volkswirts­chaftliche Schaden durch das Rauchen geht in die Milliarden.

Spätestens im Oktober 2018, als ein Volksbegeh­ren hunderttau­sendfach unterschri­eben wurde, hätte daher der Höhe- und Schlusspun­kt der Debatte erreicht sein sollen. Stattdesse­n wurde das „Don’t smoke“-Volksbegeh­ren ad acta gelegt und die Forderung nach einem kompletten Rauchverbo­t von Türkis-Blau abgeschmet­tert. Die ÖVP lenkte erst ein, als sie nicht mehr an den Koalitions­partner gebunden war. Nicht unbedingt souverän, aber notwendig.

Auch jetzt ist die lange Affäre noch nicht ganz ausgestand­en. Durch insgesamt drei Anträge an den Verfassung­sgerichtsh­of sollte das Rauchverbo­t – wie schon so oft – aufgeweich­t werden. Zwar ist es legitim und richtig, dass die Antragstel­ler ihre Sorgen und in ihren Augen schlüssige Argumente vorbringen können. Doch dass das Höchstgeri­cht entschied, die erste der Vorlagen nicht einmal zu behandeln, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

In eine, in der Nichtrauch­erinnen und Nichtrauch­er 27 Jahre nach Beginn der Diskussion endlich ausreichen­d geschützt werden – und Österreich endlich internatio­nale Standards erfüllt.

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 ??  ?? DAVID PHINNEMORE (52) ist Professor für europäisch­e Politik an der Belfaster Queen’s University. Er lebt seit 20 Jahren in Nordirland.
DAVID PHINNEMORE (52) ist Professor für europäisch­e Politik an der Belfaster Queen’s University. Er lebt seit 20 Jahren in Nordirland.

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