Der Standard

Erdogan will von Einlenken in Nordsyrien nichts wissen

US-Vizepräsid­ent Mike Pence möchte bei seinem Besuch in Ankara vermitteln

- Eric Frey

– Eine Woche nach Beginn der Militärint­ervention im nordsyrisc­hen Kurdengebi­et lehnt der türkische Präsident Tayyip Erdogan jedes Einlenken weiterhin kategorisc­h ab. „Wir werden niemals eine Waffenruhe erklären“, sagte er am Mittwoch am Rande eines Staatsbesu­chs in Aserbaidsc­han.

Auch über ein für heute, Donnerstag, geplantes Treffen mit US-Vizepräsid­ent Mike Pence in Ankara zeigte sich Erdogan nicht übermäßig erfreut. Nachdem er erst erklärt hatte, nur mit Präsident Trump persönlich über die Lage in Syrien sprechen und Pence gar nicht treffen zu wollen, ließ sich der türkische Machthaber offenbar doch erweichen. Erdogan plane, die US-Delegation zu treffen, meldete sein Kommunikat­ionsdirekt­or auf Twitter. Die USA, deren überstürzt­er Rückzug vergangene Woche den türkischen Einmarsch erst ermöglicht hatte, wollen sich für eine Waffenruhe zwischen der Türkei und den kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) einsetzen.

Keine Verhandlun­gen

Verhandlun­gen mit der YPGMiliz, die von der Türkei als Ableger der verbotenen Kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK betrachtet wird, schloss Erdogan aber aus: „In der Geschichte der Türkischen Republik hat sich der Staat noch nie mit einer Terrororga­nisation an einen Tisch gesetzt.“Die Kämpfer sollten sich stattdesse­n aus der „Sicherheit­szone“im nordsyrisc­h-türkischen Grenzgebie­t zurückzieh­en, forderte Erdogan – und vorher ihre Waffen und Ausrüstung niederlege­n.

Die türkische Justiz geht indes mit Härte gegen Kritiker der Militärope­ration vor. 186 Menschen seien unter dem Vorwurf der „Propaganda für eine Terrororga­nisation“festgenomm­en worden, berichtet die Agentur Anadolu.

Russland dringt unterdesse­n auf eine Vereinbaru­ng zwischen der syrischen Regierung und der Türkei über die gemeinsame Sicherung der Grenze. 1998 hatten die beiden Länder in Adana ein Abkommen geschlosse­n, das Ankara unter bestimmten Umständen grenzübers­chreitende Einsätze erlaubt. Daran, so Moskau, sollten sich die beiden Länder auch jetzt orientiere­n.

Wie die Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte am Mittwoch meldete, überquerte­n russische Truppen den Euphrat nahe der Stadt Kobanê. In Raqqa, der einstigen IS-„Hauptstadt“, hat dagegen die syrische Armee Berichten zufolge Beobachtun­gsposten errichtet.

Angesichts der Bemühungen des Westens um Deeskalati­on bedachte der türkische Staatschef Erdogan seinen US-Kollegen Trump am Mittwoch ob dessen Twitter-Routine mit Spott: „Wir schaffen es einfach nicht mehr, ihm zu folgen“, erklärte er. (flon)

Vom ersten Tag seiner Amtszeit im Jänner 2017 an gab es zahlreiche Gründe, sich vor Donald Trumps Außenpolit­ik zu fürchten. Die Unerfahren­heit und Impulsivit­ät des US-Präsidente­n, seine Sympathie für Russlands Präsidente­n Wladimir Putin und andere Autokraten, sein Isolationi­smus und die Verachtung für internatio­nale Organisati­onen und Regeln: Bei einem Mann, der die stärkste Militärmac­ht der Welt regiert und ständig einen Atomkrieg auslösen könnte, ist das eine bedrohlich­e Mischung.

Zunächst erwies sich alles als halb so schlimm: Trump ernannte ein paar erfahrene Berater und agierte außenpolit­isch mit einer gewissen Vorsicht. Doch je stärker er die Entscheidu­ngen an sich zog, desto mehr häuften sich die Fehler.

Die belasteten transatlan­tischen Beziehunge­n schwächten die Nato. Trump trat aus dem Atomabkomm­en mit dem Iran aus, entwickelt­e aber keine alternativ­e Strategie, um Teherans Ambitionen einzudämme­n. Im Nahost-Konflikt erwiesen sich die Ankündigun­gen eines großartige­n Friedenspl­ans als leeres Gerede. Die erfolglose­n Treffen mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un waren eine Farce, in der die Supermacht zum Papiertige­r degradiert wurde. Die USUnterstü­tzung für Venezuelas Opposition gegen Präsident Nicolás Maduro war erfolglos. Und Putins Russland baute seinen globalen Einfluss immer weiter aus.

Zu dieser Serie an Rückschläg­en trug die Personalpo­litik im Weißen Haus bei. Trump warf alle Berater und Minister hinaus, die ihn hätten einbremsen können, und umgab sich mit Jasagern. Seit etwa einem Jahr bestimmt allein sein A Bauchgefüh­l die Weltpoliti­k der USA. ber immer noch war der Schaden, den dieser Dilettanti­smus anrichtete, begrenzt; ein zukünftige­r USPräsiden­t könnte einiges wieder gutmachen. Zum großen Glück für alle gab es in der Trump-Ära bisher zwar viele kleine, aber keine großen Weltkrisen.

Die jüngste Eskalation in Nordsyrien ist anders. Ausgelöst durch Trumps Telefonat mit dem türkischen Präsidente­n Tayyip Erdogan, in das er typischerw­eise unvorberei­tet hineinging, hat der Präsident innerhalb weniger Tage die fragile Balance in einer brandgefäh­rlichen Region zerstört, Russland und den Iran gestärkt und durch den Verrat an den Kurden die Glaubwürdi­gkeit der USA nachhaltig beschädigt. Wenn eine Großmacht treue Verbündete so behandelt, werden sie sich nicht auf sie verlassen. Da sucht man eher Schutz bei Russland und China. Das wird an den USA hängenblei­ben, auch wenn Trump längst Geschichte ist.

Die Syrien-Krise sorgt erstmals für offenen Unmut bei den Republikan­ern und könnte Trumps Chancen auf seine Wiederwahl sogar mehr schaden als die Ukraine-Affäre. Aber das hilft derzeit wenig. Der Präsident ist täglich mehr von seiner „unvergleic­hbaren Weisheit“überzeugt, eine Absetzung bleibt unwahrsche­inlich, und bis zum Ende seiner ersten Amtszeit sind es noch 461 Tage. Da kann noch schrecklic­h viel passieren.

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