Umfragen deuten Zweikampf bei Demokraten an
Elisabeth Warren gegen Joe Biden auf der Siegerstraße
Es dauert keine zwanzig Minuten, bis die Parteifreunde schweres Geschütz gegen Elizabeth Warren auffahren. Zu Beginn haben die zwölf Kandidaten auf der Bühne noch in demonstrativer Einmütigkeit betont, dass Donald Trump seines Amts enthoben werden müsse. Dann aber geht es gegen die linke Senatorin aus Massachusetts, die eine Vermögenssteuer einführen und private Krankenversicherungen durch ein steuerfinanziertes System, „Medicare for all“, ersetzen will. Warren vermeide es, auf eine Frage, die nur ein Ja oder ein Nein als Antwort zulasse, mit Ja oder Nein zu antworten, tadelt Pete Buttigieg, der 37-jährige Bürgermeister der mittelwestlichen Industriestadt South Bend, die Senatorin.
Die Moderatorenfrage lautete, ob man die Steuern erhöhen müsse, um „Medicare for all“bezahlen zu können. Warren umschifft das Wort Steuern wie einen Eisberg im Atlantik, während sie betont, dass die Kosten für die Mittelschichten nach ihrem Plan unterm Strich sinken. Worauf Buttigieg bemängelt, dass sie nie konkret werde. Amy Klobuchar, die Senatorin aus Minnesota, reitet die nächste Attacke. „Sorry, Elizabeth, aber du musst schon sagen, an wen die Rechnung gehen soll.“Sie legt nach: „Der Unterschied zwischen einem Plan und einem Luftschloss liegt darin, ob man etwas erledigt bekommt.“
Einfach werde es nicht, das wisse sie, entgegnet Warren. „Aber ich denke, als Demokraten können wir nur erfolgreich sein, wenn wir große Träume haben und hart dafür kämpfen, und nicht, wenn wir klein träumen und schon aufgeben, bevor wir angefangen haben.“Irgendwann wirft Joe Biden die astronomische Zahl 30 Billionen Dollar in die Runde. So viel würde es schätzungsweise im Laufe der nächsten Dekade kosten, würde man die Blaupause der Kollegin aus Massachusetts in die Praxis umsetzen. Ein Kapitel aus Utopia, nicht seriös zu finanzieren, suggeriert der Ex-Vizepräsident.
Premiere für Steyer
Es sind die Schlüsselmomente des dreistündigen Diskussionsmarathons der aussichtsreichsten demokratischen Bewerber für das Weiße Haus, bereits des vierten im Ringen um die Kandidatenkrone. Tom Steyer, der in die Politik gewechselte Milliardär aus San Francisco, feiert seine Premiere, allerdings buchstäblich nur am Rande, denn eindeutig im Mittelpunkt steht Elizabeth Warren. Zum ersten Mal seit April hat sie Biden an der Spitze der Meinungsumfragen abgelöst (siehe rechts). An der Otterbein University in Westerville, einem Vorort von Columbus, Ohio, bekommt sie zu spüren, was es heißt, in der Favoritenrolle gejagt zu werden.
Ihre Konkurrenten aus der politischen Mitte geben ihr zu verstehen, dass sie zu weit links stehe, um ein Duell gegen Trump zu gewinnen. Kernthema des Richtungsstreits ist die Reform des USGesundheitssystems, des mit Abstand teuersten im Vergleich der Industrieländer. Warren möchte es wie auch ihr Gesinnungsgenosse Bernie Sanders so umkrempeln, dass es in wenigen Jahren nur noch eine öffentliche Kasse gibt. Zwar plädieren auch alle anderen für eine „öffentliche Option“, ohne jedoch private Anbieter verbieten zu wollen.
Warren zwinge 150 Millionen Amerikaner, zugunsten ihres Einheitssystems auf Krankenversicherungen zu verzichten, mit denen die meisten durchaus leben könnten, kritisiert Buttigieg. „Unser Land wird schrecklich polarisiert sein, vielleicht noch mehr als heute.“Beto O’Rourke, ein ehemaliger Kongressabgeordneter aus Texas, unterstellt der Rivalin, sich mit ihrem Umverteilungskurs zu sehr auf die Bestrafung von Erfolg zu konzentrieren, statt weniger erfolgreichen Zeitgenossen zum Erfolg zu verhelfen.
Es ist vor allem das Trio Buttigieg/Klobuchar/O’Rourke, das den Schlagabtausch mit Warren sucht. Alle drei wohl in der Hoffnung, sich anstelle Bidens als Sprecher des gemäßigten Parteiflügels zu profilieren. Ganz unbegründet ist die Hoffnung nicht. Biden wirkt einmal mehr fahrig, er verhaspelt sich, scheint seinen Zenit überschritten zu haben.
Biden massiv geschwächt
Im Moment deutet manches darauf hin, dass er im nächsten Sommer nicht der offiziell Spitzenmann der Demokraten sein wird. Sein Alter von 76 Jahren merkt man ihm an, im Unterschied übrigens zu Sanders, der noch ein Jahr älter ist. Der steht zwei Wochen nach einem Herzinfarkt und einer Operation auf der Bühne, als wäre nichts geschehen. Leidenschaftlich wie immer, schlagfertig und voll Humor. Als Biden von Trumps Nähe zum russischen Präsidenten spricht und dabei auf Sanders zeigt, seinen Nachbarn zur Rechten, erwidert der hellwache Veteran augenzwinkernd: „Wollen Sie etwa behaupten, dass ich Wladimir Putin bin?“
Lange Zeit hatte er als sichere Bank gegolten: Joe Biden, ExVizepräsident Barack Obamas, Spitzenreiter aller Umfragen und wohl nächster demokratischer Präsidentschaftskandidat. Nun sind zumindest die letzten beiden Titel weg. Der 76-Jährige ist in vielen Befragungen auf Platz zwei zurückgefallen – und zwar erstmals auch auf landesweiter Ebene. Elizabeth Warren, Senatorin aus Massachusetts, hat ihn überholt. In den beiden Bundesstaaten Iowa und New Hampshire, wo 2020 die ersten Vorentscheidungen im Kampf um die Nominierung fallen, zeichnet sich schon seit zwei Monaten ein ähnlicher Trend ab – auch wenn die Zahlen der einzelnen Befragungen zum Teil weit auseinandergehen.
Eine erste Interpretation dieser Daten liegt nahe: Donald Trump hat es wieder einmal geschafft. Immerhin hat der Präsident in den vergangenen Wochen nur wenig unversucht gelassen, um seinen möglichen demokratischen Konkurrenten in der Ukraine-Affäre mit ins Abseits zu ziehen.
Zugewinne von überall
Gegen diese Einschätzung sprechen aber die Zahlen: Biden hat nämlich seit Anfang Juni kaum an Zustimmung verloren. Damals lag er zwischen 28 und 30 Prozent – dort befindet er sich auch heute. Vielmehr ist es Warren, die langsam, aber beständig dazugewonnen hat. Sie profitierte vor allem von einer Sammlungstendenz: Anhänger jener Kandidaten, die wegen geringer Zustimmung chancenlos erscheinen, gingen eher zu ihr als zu Biden.
An Warren verloren hat aber auch der bisher Dritte im Bunde: Bernie Sanders, der ein ähnliches Programm wie Warren verfolgt, wirkt zunehmend abgehängt. Der Herzinfarkt, den er gerade überstanden hat, trägt bei vielen zur Sorge über sein Alter bei. 43 Prozent der demokratischen Wählerinnen und Wähler sind laut einer BCS-Umfrage der Ansicht, der 78Jährige sei zu alt, „um als Präsident seinen Job effektiv erfüllen zu können“. 28 Prozent sagen das auch über den 76-jährigen Joe Biden, nur vier Prozent über Warren. Dabei wäre auch sie mit dann 71 Jahren die älteste Person, die je als US-Präsident angelobt wurde. Sanders und Biden wären freilich schon am Tag der Angelobung älter als alle bisherigen Staatschefs am letzten Amtstag. Gegen Trump würden nach aktuellem Stand alle drei Kandidatinnen gewinnen.