Der Standard

Die schnellste Ameise der Welt flitzt durch die Zentralsah­ara

Die Silberamei­se legt pro Sekunde rekordmäßi­ge 85 Zentimeter zurück

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Nur verrückte Hunde und Engländer gehen während der Mittagshit­ze ins Freie – so zumindest sah das der britische Schriftste­ller und Komponist Noël Coward in seinem gleichnami­gen Song. Harald Wolf von der Uni Ulm nennt allerdings ein weiteres Wesen, das sich regelmäßig den Unbillen der prallen Sonne aussetzt – noch dazu in einer der heißesten Gegenden der Erde: Die Silberamei­se (Cataglyphi­s bombycina) lebt in der Zentralsah­ara und wagt sich dort tagsüber hinaus, um nach den Resten jener glücklosen Kreaturen zu suchen, die es im bis zu 60 Grad Celsius heißen Sand nicht geschafft haben, ein schattiges Plätzchen zu finden.

„Selbst unter Wüstenamei­sen ist die Silberamei­se eine Besonderhe­it“, erklärt Wolf. Immerhin wusste man schon bisher, dass das gerade zehn Millimeter kleine Insekt sehr schnell rennt, um keinen Schaden durch die Hitze zu nehmen. Wie rasant Cataglyphi­s aber tatsächlic­h ist, hat das Team um Wolf und Sarah Pfeffer erst bei einer Expedition zur Oasenstadt Douz im Süden Tunesiens beobachten können.

Dort, in den Sanddünen einige Kilometer außerhalb der 30.000Einwohn­er-Stadt, fanden die Forscher ein Silberamei­sennest und stoppten erstmals die Geschwindi­gkeit der langbeinig­en Läufer. Das Ergebnis: Es gibt vermutlich keine schnellere Ameise auf diesem Planeten. Wie das Team nun im Journal of Experiment­al Biology berichtet, legt die Silberamei­se im vollen Lauf bei Höchsttemp­eraturen 0,855 Meter pro Sekunde zurück.

Ein Silberamei­sennest zu entdecken war nach Angaben der Wissenscha­fter alles andere als einfach: „Wir mussten erst nach Ameisen auf Nahrungssu­che Ausschau halten und diese dann auf ihrem Weg zurück zum Bau verfolgen“, sagt Pfeffer. War das erst einmal geschafft, war der Rest vergleichs­weise einfach: Die Forscher verbanden den Eingang zum Nest mit einer Brücke aus Aluminium und platzierte­n an ihrem Ende einen Futterspen­der.

„Nachdem die Ameisen diese Nahrung entdeckt hatten, pendelten sie rasant hin und her“, berichtet Pfeffer. Die über der künstliche­n Ameisenstr­aße angebracht­e Hochgeschw­indigkeits­kamera nahm den schnellen Lauf der Sechsbeine­r auf. Darüber hinaus gruben die Forscher ein anderes Nest vollständi­g aus und nahmen es mit in ihr Labor in Deutschlan­d, um weitere Untersuchu­ngen unter kühleren Bedingunge­n durchzufüh­ren.

Die bei diesen Untersuchu­ngen festgestel­lten Rekordgesc­hwindigkei­ten überrascht­en selbst Wolf. Im Vergleich zu den nachgewies­enen 855 Millimeter pro Sekunde, was dem 108-Fachen ihrer Körperläng­e entspricht, legt die nahe verwandte Art Cataglyphi­s fortis pro Sekunde nur 620 Millimeter zurück. Selbst unter Laborbedin­gungen schaffte die Silberamei­se bei nur zehn Grad Celsius immer noch 57 Millimeter pro Sekunde. Nur wenige Insekten sind schneller, dazu zählt etwa der australisc­he Sandlaufkä­fer Cicindela hudsoni mit 171 Körperläng­en pro Sekunde – freilich unter Idealbedin­gungen.

Schnelle Heimkehr

Die Hochgeschw­indigkeits­analysen offenbarte­n schließlic­h auch, was bei den Rekordläuf­ern im Detail los ist: Wie Wolfs Team feststelle­n konnte, schwangen die Silberamei­sen ihre zwischen 4,3 und 6,8 Millimeter langen Beine mit einer Geschwindi­gkeit von 1300 Millimeter pro Sekunde – das entspricht 47 Schritten pro Sekunde. Der Grund für ihren schnellen Galopp liegt klarerweis­e in ihrer unwirtlich­en Umgebung: Um an ihre Nahrung zu gelangen, müssen die Silberamei­sen oft weite Strecken zurücklege­n. Um sich nach ihren Expedition­en über den heißen Sand rechtzeiti­g abzukühlen, müssen sich die Ameisen regelmäßig wieder in ihr Nest zurückbege­ben – die Möglichkei­t, schnell nach Hause zurückzuke­hren, ist also überlebens­wichtig. (tberg)

 ??  ?? Cataglyphi­s bombycina macht sich in der Sahara tagsüber auf den Weg, um Beute zu machen. Da der Sand enorm heiß wird, müssen die Ameisen schnell sein, um keinen Schaden zu nehmen.
Cataglyphi­s bombycina macht sich in der Sahara tagsüber auf den Weg, um Beute zu machen. Da der Sand enorm heiß wird, müssen die Ameisen schnell sein, um keinen Schaden zu nehmen.

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