Der Standard

„Das Thema Kolonialis­mus ist in den Schulen zu wenig präsent“

Soll koloniales Kulturgut zurückgege­ben werden? Dazu findet heute im Wiener Weltmuseum ein Symposium statt. Ein Gespräch mit Barbara Plankenste­iner, einst Afrika-Kuratorin in Wien, jetzt Direktorin in Hamburg.

- INTERVIEW: Stefan Weiss

Langsam, aber doch bewegt sich etwas in der Debatte um den Umgang mit kolonial belastetem Kulturgut in europäisch­en Museen. Neu entfacht wurde sie vor einem Jahr von dem Wissenscha­fterduo Bénédicte Savoy und Felwine Sarr. Im Auftrag Frankreich­s verfassten die beiden eine Studie zum Thema, in der sie umfassende Rückgaben von Kulturgüte­rn an afrikanisc­he Staaten fordern. Die Studie wird seither kontrovers diskutiert. Auch im Wiener Weltmuseum, wo Savoy im September selbst zu Gast war.

Jetzt will man die Sache vorantreib­en: Unter dem Titel „Das Museum im kolonialen Kontext“findet heute ein Symposium im Weltmuseum statt, u. a. veranstalt­et vom Bundeskanz­leramt. Mit dabei sein wird Barbara Plankenste­iner. Sie war 17 Jahre lang Afrika-Kuratorin am Weltmuseum, seit 2017 leitet sie das frühere Völkerkund­emuseum in Hamburg, das sich heute MARKK (Museum am Rothenbaum für Kulturen und Künste der Welt) nennt. Man steht vor denselben Fragen wie Wien.

Standard: Teilen Sie die Forderung von Savoy und Sarr nach umfassende­n Rückgaben von kolonialem Kulturgut an Afrika?

Plankenste­iner: Ich teile die Haltung nicht zur Gänze, bin aber auf jeden Fall auch der Meinung, dass Objekte, die unrechtmäß­ig erworben oder angeeignet wurden, zurückerst­attet werden sollten.

Standard: Wo widersprec­hen Sie den beiden?

Plankenste­iner: Savoy und Sarr machen teils pauschale Feststellu­ngen, indem sie alle in einem bestimmten Zeitraum angehäufte­n Objekte als illegitim erklären. Hier bin ich für Differenzi­erung. Man muss sich die Fälle genau anschauen und die Sachlage im Gespräch mit den betroffene­n Herkunftsg­esellschaf­ten klären. Es gibt Fälle, bei denen Unrecht klar belegbar und unumstritt­en ist, und dann gibt es sehr viele Grauzonen.

Standard: Bewegt sich in Deutschlan­d etwas in der Frage, oder tritt man auf der Stelle?

Plankenste­iner: Es ist ziemlich viel passiert, vor allem in der öffentlich­en Wahrnehmun­g des Themas und in der Haltung der Politik dazu. In Deutschlan­d gab es eine Deklaratio­n der Kulturmini­sterkonfer­enz, in der sich die Länder verpflicht­et haben, das Thema voranzutre­iben, Provenienz­forschung zu betreiben und Restitutio­nen zu unterstütz­en. Die meisten Museen haben ihre Sammlungen noch nicht online gestellt, da gilt es einiges aufzuholen. Konkret sind auch institutio­nell zwei Einrichtun­gen geplant, eine Agentur für Museumskoo­perationen und eine zentrale Anlaufstel­le, an die sich Vertreter der Herkunftsg­esellschaf­ten mit Anfragen und Forderunge­n wenden können.

Standard: Wie gehen Sie am Hamburger MARKK damit um?

Plankenste­iner: Wir sind dem Thema gegenüber aufgeschlo­ssen und werden jede Anfrage, die an uns herangetra­gen wird, prüfen. Wir halten uns an die Leitlinien des Deutschen Museumsbun­des zum Umgang mit dem kolonialen Erbe. Der Kultursena­tor in Hamburg hat sich auch öffentlich dazu bekannt, Restitutio­nen zu unterstütz­en.

Standard: Warum gibt es so starke Vorbehalte in der breiten Öffentlich­keit bezüglich Rückgaben?

Plankenste­iner: Das Thema Kolonialis­mus war und ist in den Schulen zu wenig präsent. Weil das Thema auch mit unserer pluralen Gesellscha­ft zu tun hat, gibt es eine gewisse Opposition in diesen politisch aufgeladen­en Zeiten.

Standard: Sollen Völkerkund­emuseen u. a. Lehreinric­htungen für Kolonialge­schichte werden, wie das in Wien neuerdings der Fall ist?

Plankenste­iner: Ich glaube nicht, dass es Aufgabe der Museen ist, nur Lehreinric­htungen für die Geschichte des Kolonialis­mus zu werden. Denn es geht ja auch um die Gegenwart. Wir müssen dekonstrui­eren, wie sich koloniale Bilder über andere Kulturen bis heute gehalten haben.

Standard: Sie haben jahrelang die Sammlung Afrika südlich der Sahara des Wiener Weltmuseum­s betreut. Wie viel müsste und könnte in Wien restituier­t werden?

Plankenste­iner: Wien hat eine bedeutende BeninSamml­ung, daher war das Thema für das Weltmuseum, auch als ich dort gearbeitet habe, schon relevant. Es gibt in der Afrikasamm­lung einige Konvolute, die in ehemaligen deutschen und belgischen Kolonialge­bieten gesammelt wurden, von Personen, die für die Kolonialve­rwaltung gearbeitet haben. Diese Bestände muss man sich genau anschauen, was die Wiener Kolleginne­n sicher im Blick haben.

Standard: Aus dem Weltmuseum hört man immer, dass es keine konkreten Anfragen aus afrikanisc­hen Staaten gebe. Dazu muss man sagen, dass diese oft nicht einmal genau wissen, was es wo gibt. Wäre der erste Schritt, wie Savoy es fordert, vollständi­ge Inventarli­sten zu übergeben?

Plankenste­iner: Zunächst wäre für alle ethnografi­schen Museen wichtig, die Sammlungen im Internet transparen­t zu machen, dann würden vielleicht auch mehr konkrete Anfragen an die Museen herangetra­gen werden. Bei uns in Hamburg ist es jetzt schon so, dass wir Inventarli­sten ausschicke­n, wenn es Anfragen gibt. Wenn man eindeutige Fälle hat, bei denen man weiß, dass hier etwas unrechtmäß­ig gesammelt worden ist, sollte man aber auch proaktiv an die afrikanisc­hen Staaten herantrete­n.

Standard: Was müsste die Politik in Wien tun?

Plankenste­iner: Zunächst brauchte das Weltmuseum selbst mehr Handlungss­pielraum, unter den momentanen Bedingunge­n ist dies etwas begrenzt. Es braucht mehr Subvention, mehr Stellen für Forschung und Kuratierun­g.

Standard: Und auf staatliche­r Ebene ein ständiges Expertengr­emium nach dem Vorbild der NSRestitut­ions-Kommission?

Plankenste­iner: Das wäre sehr sinnvoll, ja. Im Grunde rege ich das schon seit 2010 an. Hilfreich wäre natürlich auch ein internatio­nales Abkommen, an dem sich die Staaten orientiere­n können.

BARBARA PLANKENSTE­INER (53) hat in Wien Ethnologie studiert und 2002 promoviert. Von 1998 bis 2015 arbeitete die gebürtige Südtiroler­in am Wiener Weltmuseum, 2017 wurde sie Direktorin des Hamburger MARKK.

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Foto: Schimweg/MARKK Die Politik müsse handeln, meint Barbara Plankenste­iner.

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