Der Standard

Running Sushi und Ostereier

Vom Centre Pompidou in die Albertina: 160 Arbeiten aus der Sammlung Guerlain in Wien

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Auf die Frage aus dem Publikum, wie das Sammlerehe­paar Guerlain seine Sammlung aufgebaut hat, antwortete Gattin Florence bei der Eröffnung: „Zuerst kauft man ein Bild, dann weitere.“Die Frage hatte sich eigentlich auf die Kriterien bezogen, nach denen Daniel und Florence Guerlain sammeln – ihre Intention fiel dem Übersetzun­gsgewirr vom Deutschen ins Französisc­he zum Opfer. Berechtigt ist sie, denn ein roter Faden erschließt sich bei den höchst unterschie­dlichen Arbeiten nicht leicht. Mitte der 2000er haben die Guerlains – Daniel ist in fünfter Generation Erbe des prestigetr­ächtigen Parfümeurs –, die auch vorher schon brav Kunst akkumulier­t hatten, ihren Fokus auf die zeitgenöss­ische Zeichnung gelegt, 1200 Arbeiten in diesem Medium hat das Ehepaar dem Centre Pompidou 2012 geschenkt.

Wie bei Running Sushi dürfen sich Kuratoren aus anderen Museen die für sie passenden Häppchen herauspick­en – jetzt auch die Albertina. Sie zeigt bei der Schau A Passion for Drawing an die 160 Arbeiten von 20 Künstlern.

Die Kuratorin Elsy Lahner dockt mit ihrer Auswahl an Künstler an, deren Werk bereits in der Albertina vertreten ist, wie zum Beispiel Erik van Lieshout oder Kiki Smith, und beschränkt sich bis auf eine Ausnahme auf Werke des aktuellen Jahrhunder­ts. Interessan­t ist, dass Lahner elf Frauen und neun Männer auswählte und damit die nicht ganz so ausgeglich­enen Geschlecht­erverhältn­isse der Sammlung Guerlain „korrigiert“: Dort stammt nur ein Viertel der Ankäufe von Künstlerin­nen. Viele der ausgestell­ten Künstler sind nicht in erster Linie oder oft nicht ausschließ­lich Zeichner.

Der Amerikaner Mark Dion zum Beispiel, der Zeichnunge­n zuerst überhaupt nur als Skizzen für seine installati­ven Schaukäste­n verwendete und ihnen erst später einen eigenen Stellenwer­t beimaß, oder der Bildhauer David Nash, der seine Zeichnunge­n zur Dokumentat­ion seiner in der Natur verhaftete­n Skulpturen nutzt. Andere Arbeiten fransen in Richtung Cartoon (Joyce Pensato) aus oder lösen sich gleich ganz vom traditione­llen Werkzeug: Cornelia Parkers spannende Bullet Drawings sind eigentlich dreidimens­ionale Objekte, gefertigt mit von Projektile­n gezogenen Drähten. Einnehmend sind auch die konzeption­ellen Arbeiten der Deutschen Jana Gunstheime­r, auch eine künstleris­che Allrounder­in. Ihr Zyklus Methods of Destructio­n spielt mit dem schmalen Grat zwischen Wahrheit und Fiktion. So zeichnet sie Bilder anderer Künstler ab, erfindet aber eine Geschichte der Zerstörung des jeweiligen Bildes dazu, die sie in ihrer Version sichtbar macht.

Das Originells­te an A Passion for Drawing passiert aber neben den eigentlich­en Ausstellun­gsstücken: Nedko Solakov übt sich gemäß seiner Praxis im zeichneris­chen Kommentar. Seine Albertinad­oodles, die er eigens für die Schau angefertig­t hat, sind kleine Zeichnunge­n mit schwarzem Marker, die er wie Ostereier an den Beschreibu­ngstexten zu anderen Werken oder an ungewöhnli­chen Stellen in der Ausstellun­g angebracht hat. Sie peppen die etwas dröge Schau mit Witz auf. Harold Bloom zählte in der englischsp­rachigen Welt zu den bedeutends­ten Literaturw­issenschaf­tern, er versuchte mit Literatur einem Zerfallen der Gesellscha­ft zu begegnen. Jüngst erschienen neue Essays, am Montag verstarb er (The Western Canon) 89-jährig. (red)

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Ab den 90ern begann sich Kiki Smith für die Beziehung zwischen Mensch und Tier zu interessie­ren. So auch in dieser Tintenzeic­hnung.
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