Der Standard

Ein Leuchtturm türkis-blauer Finsternis

Der Jubiläumsf­onds der Oesterreic­hischen Nationalba­nk soll nur noch „notenbankr­elevante“Forschung fördern. Für die Geistes- und Sozialwiss­enschaften bedeutet das nichts Gutes.

- Christian Fleck

Im Windschatt­en der Aufgeregth­eit nach der Nationalra­tswahl platzierte die Nationalba­nk am 3. Oktober via Austria Presse Agentur eine OTS-Nachricht über die „Reform des Jubiläumsf­onds der Oesterreic­hischen Nationalba­nk“. Künftig werde dieser Fonds nur noch „notenbankr­elevante Themen“fördern. Natürlich war dem ein „Strategiep­rozess“vorangegan­gen, der „angestoßen“worden war (von wem blieb unerwähnt) und dessen Ergebnis im August vom neuen Direktoriu­m und im September vom Generalrat genehmigt wurde. Dieses türkis-blaue Leuchtturm­projekt verdient Beachtung, ja heftigsten Protest.

Kurz zum Hintergrun­d: Anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums gründete 1966 die OeNB diesen Fonds zur Förderung der Forschung in den „Wirtschaft­swissensch­aften, Medizinisc­hen Wissenscha­ften, sowie in den Sozial- und Geisteswis­senschafte­n“. Insbesonde­re für die beiden letztgenan­nten Gebiete war der, meist „Jubel-Fonds“gerufene, Fonds ein wichtiger Geldgeber. Transparen­z zählte hingegen nicht zu seinen Alleinstel­lungsmerkm­alen, im Gegenteil: Ein langjährig­er Nationalba­nker war berühmt dafür, Projekte sehr freihändig zu verteilen. Vor der Reform 2017 wurden nicht einmal Anzahl und Themen der genehmigte­n Projekte veröffentl­icht (mittlerwei­le kann man online bis 1988 zurückreic­hend recherchie­ren). Wer die Entscheidu­ngen über die eingereich­ten Projekte fällt, wird allerdings immer noch geheim gehalten.

130 Vollzeitst­ellen

Laut dem jüngsten Rechenscha­ftsbericht wurden 2017 insgesamt 341 Projekte gefördert, davon 55 in den Sozial-, 56 in den Geistes-, 59 in den Wirtschaft­swissensch­aften und 151 medizinisc­he. Die rund neun Millionen Euro, die der Fonds dafür ausschütte­te, entspreche­n in etwa den Personalko­sten von 130 Vollzeitst­ellen für Postdocs, wie der wissenscha­ftliche Nachwuchs mit Doktorat genannt wird.

Zum Vergleich: Der für alle Sparten der Grundlagen­forschung zuständige, Steuergeld­er verteilend­e Wissenscha­ftsförderu­ngsfonds (FWF) finanziert­e 2017 insgesamt 1471 Postdocs; an allen österreich­ischen Unis waren im selben Jahr rund 6000 aus Drittmitte­ln finanziert­e Personen ähnlicher Qualifikat­ion beschäftig­t. Angesichts dieser Zahlen zu folgern, der Jubel-Fonds sei ohnehin eine unbedeuten­de Größe, wäre dennoch falsch. Der Wegfall dieser Förderschi­ene trifft die Diszipline­n nämlich sehr unterschie­dlich.

Mediziner können sich vermehrt an die pharmazeut­ische Industrie wenden, auch wenn sie dann wohl genötigt sein werden, nach deren Pfeife tanzend zu forschen. Die Ökonomen werden von der OeNB eingeladen, sich statt mit Vermögensu­ngleichhei­t doch nun „notenbankr­elevant“mit „Vermögensm­ärkten aus Notenbankp­erspektive“zu befassen.

Keine Alternativ­e

Anders als diesen Diszipline­n und jenen, die an den Technische­n Universitä­ten zu Hause sind, stehen den Geistes- und Sozialwiss­enschaften in Österreich keine vergleichb­aren Fördertöpf­e als Alternativ­e zur Verfügung. Mit anderen Worten: Ab sofort werden jährlich rund 40 jüngere Wissenscha­fter der Geistes- und Sozialwiss­enschaften der wissenscha­ftlichen Forschung Ade sagen müssen.

Die Entscheidu­ng der OeNBFunkti­onäre, zu denen mit Harald Mahrer (Doktor der WU 2000) ein ehemaliger Staatssekr­etär und Minister für Wissenscha­ft und Forschung zählt, werden gewusst haben, warum sie künftig nur noch Forschung zu 19 notenbankr­elevanten „Clustern“fördern wollen (diese reichen von „Rolle, Aufgaben und Funktionen von Zentralban­ken“über „Geldwesen, Bargeld, Zahlungsve­rkehrssyst­eme und diesbezügl­iche Innovation­en“bis zu „Fragen des nachhaltig­en Wirtschaft­ens inkl. der ökonomisch­en Auswirkung­en des Klimawande­ls aus Notenbankp­erspektive“). Gespannt sehe ich den 300 notenbankr­elevanten Studien entgegen, die wir ab 2020 dann jährlich erwarten dürfen.

Am Drittmitte­ltropf

Dabei passt dieser Kurswechse­l nicht einmal in die Reform, die unter Schwarz-Blau I Anfang dieses Jahrhunder­ts die heimischen Universitä­ten auf – wie Kritiker meinen – neoliberal­en Kurs brachte. Seither spielen kompetitiv eingeworbe­ne Drittmitte­l eine weit größere Rolle als zuvor. Doch was sollen jene Diszipline­n tun, die keine Finanzieru­ngsmöglich­keiten vorfinden? Die Gruppe der Geistes-, Kultur- und Sozialwiss­enschaften (GSK) kann künftig nur noch beim FWF vorstellig werden, wenn es um mehrjährig­e Forschungs­vorhaben geht. Der FWF fährt ganz bewusst seine eigene Linie. Er nennt sie „internatio­nale Spitzenfor­schung“, was in der Praxis beispielsw­eise bedeutet, dass „Anywheres“(vlg. Kosmopolit­en) über Anträge der „Somewheres“(vlg. Lokalisten) urteilen. Manche wissenscha­ftlichen Fächer und jedenfalls einige Fragestell­ungen haben unvermeidl­ich einen „lokalen“Bezug, lassen sich daher von weit weg schwerer beurteilen. Das weite Feld der sogenannte­n angewandte­n Forschung ist ohnehin von FWF-Förderung ausgeschlo­ssen (der Nachbarfon­ds FFG wiederum ist industriea­ffin in seinem Verständni­s von „Anwendung“).

Monopole und ...

Dass Monopole ungünstig sind, sollte ökonomisch Gebildeten wie Bankern eigentlich bekannt sein; dass das Ende für den JubelFonds, wie wir ihn kannten, den Wettbewerb um Forschungs­mittel verzerren wird, steht jetzt schon fest.

Zwei weitere Effekte seien noch erwähnt: Österreich­s Wissenscha­ftssystem fördert den Nachwuchs (die Postdocs) sehr unzulängli­ch, was man daran ablesen kann, dass die Zahl der aus dem Ausland neuberufen­en Professore­n stetig zunimmt (was ja nichts anderes heißt, als dass die heimischen Anwärter auf Professure­n nicht vorhanden oder nicht gut genug sind). Die Neuzuzügle­r scheuen sich in der Regel, sich einzumisch­en, sich österreich­ischer Themen anzunehmen, und sie wandern zum frühestmög­lichen Zeitpunkt weiter.

... kein Sinn für Österreich

Diese Haltung hinterläss­t natürlich in Fächern wie Zeitgeschi­chte, Wirtschaft­spolitik und Sozialpoli­tik deutlicher­e Spuren als in der Quantenopt­ik oder der molekulare­n Biotechnol­ogie. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

CHRISTIAN FLECK ist Professor für Soziologie an der Universitä­t Graz. Er erhielt erstmals 1979 Zuwendunge­n aus dem Jubiläumsf­onds und danach noch sechs weitere Projekte aus dem GSK-Bereich, zuletzt 2012.

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Foto: Imago Üblicherwe­ise strahlen Leuchttürm­e Licht aus. In diesem Fall geschieht das Gegenteil.

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