Der Standard

Warum gut ausgebilde­te Syrer bei uns keinen Job finden

Gut 100 Apotheker aus Syrien leben in Österreich, rund 30 von ihnen haben ihre Ausbildung bereits anerkennen lassen. Einen Job findet kaum jemand von ihnen. Woran liegt es?

- András Szigetvari

Flüchtling­e, die in ihrem Heimatland nie eine Ausbildung absolviert haben, werden nur schwer unterkomme­n am österreich­ischen Arbeitsmar­kt. Uni-Absolvente­n und Fachkräfte werden es deutlich leichter haben. So oder so ähnlich haben viele Arbeitsmar­ktexperten die Situation im großen Fluchtjahr 2015 für Österreich eingeschät­zt. Eine völlig andere Erfahrung macht derzeit eine Gruppe von syrischen Apothekern. Rund 100 sind 2015 nach Österreich gekommen, inzwischen sind die meisten bereits anerkannte Flüchtling­e – allein woher diese Zahlen stammen, wäre eine eigene Geschichte wert, doch dazu später. Etwas mehr als 30 Syrer haben sich inzwischen ihr ausländisc­hes Pharmazie-Diplom nostrifizi­eren lassen. Das heißt, eine heimische Universitä­t hat die Ausbildung als gleichwert­ig anerkannt. Einen Job gefunden hat mit zwei bis drei Ausnahmen keiner von ihnen.

Da ist zum Beispiel Shaker, 34 Jahre. Er sucht seit neun Monaten eine Arbeit, hat sich in dutzenden Apotheken beworben und bisher nicht einmal ein Vorstellun­gsgespräch gehabt, wie er erzählt. Da ist Monzer, 30 Jahre, der in Aleppo studierte. Er hat nach eigenen Angaben an 300 Apotheken seinen Lebenslauf geschickt und blieb bisher dennoch chancenlos. Oder Shmsaldin, der in 30 Apotheken persönlich seinen Lebenslauf vorbeigebr­acht und zwischenze­itlich als Pizzabäcke­r gejobbt hat, weil er in der Pharmabran­che nichts fand. Oder Iman (30) aus Homs, die seit einem halben Jahr Job sucht, sich zuletzt in Wels vorstellte und für zwei Schnuppert­age dort war, oder Gaidaa, die 57 Jahre ist, aus Aleppo stammt und 30 Jahre Berufserfa­hrung durch ihre eigene Apotheke hat. Auch sie ist arbeitslos.

Wenn dutzende syrische Apotheker, von denen alle schon seit vielen Monaten, manche seit über einem Jahr, auf Jobsuche sind und so gut wie niemand etwas findet, ist ein erster Reflex, an Vorurteile zu denken: Die arabischen Apotheker will keiner. Und in der Tat hat der eine oder andere der Betroffene­n das Gefühl, seine Herkunft sei ein Problem. „Ich nehme niemanden aus dem arabischen Raum“, hat einer der Bewerber in

Salzburg schon zu hören bekommen. Im Apothekerb­eruf arbeiten in Österreich bislang tatsächlic­h vergleichs­weise wenige Migranten. Doch wer tiefer gräbt, mit Betroffene­n, Apothekern der Apothekerk­ammer und AMS-Mitarbeite­rn spricht, stellt fest, dass die Realität komplex ist. Eine Reihe von Gründen ist dafür verantwort­lich, dass die syrischen Apotheker nicht unterkomme­n.

Zunächst ist der Jobmarkt für Apotheker schwierig und speziell. Aktuell sind bei der Pharmazeut­ischen Gehaltskla­sse, einer Art Plattform für alles der Apotheker, 188 stellenlos­e Apotheker gemeldet. Demgegenüb­er gibt es österreich­weit 86 offene Jobs. Das klingt auf den ersten Blick gar nicht so dramatisch. Allerdings suchen auch viele Apotheker, die schon arbeiten, eine andere Stelle, was die Konkurrenz verschärft. Wer in Österreich als klassische­r Apotheker arbeiten will, muss nach dem Master-Studium ein einjährige­s Berufsjahr als Aspirant in einer Apotheke absolviere­n. Hier sind derzeit nur zwölf offene Stellengem­eldet. Demgegenüb­er stehen 106 Menschen, die einen Aspiranten­platz suchen. Das Aspiranten­jahr erweist sich als Nadelöhr für die Syrer. Ein übersättig­ter Arbeitsmar­kt also. Zunächst melden Apotheken nicht alle Aspiranten­stellen, erzählen Apotheker, weil sie Jobs gern im Bekanntenk­reis vergeben. Die syrischen Apotheker, die DER STANDARD kontaktier­te, sprechen unterschie­dlich gut Deutsch. Einen Satz kennen alle: „Ohne Vitamin B geht in Österreich nichts.“

Der Studiengan­gleiter für Pharmazie an der Uni Wien, Helmut Spreitzer, sagt, dass für seine Stutikumsp­latz. dierenden die Jobaussich­ten „gut bis sehr gut sind“. Zwei Drittel seiner Absolvente­n haben eine Jobzusage, wenn sie die Diplomprüf­ung absolviere­n. Viele fixieren ein Aspiranten­jahr nach einem Praktikum noch in der Studienzei­t. Andere gehen zu Pharmafirm­en. Und in ländlichen Regionen, erzählen Apotheker, dass offene Stellen oft Monate unbesetzt bleiben. Jobs gibt es also sehr wohl.

Probleme am Land

Einige syrische Apotheker erzählen, dass sie aber auch außerhalb der großen Städte vergeblich Arbeit gesucht haben: in Wels, Traiskirch­en und Baden, im Umland von Salzburg. Für die meisten gab es nicht einmal einen PrakEine Vermutung der Österreich­erin Sabrin Ibraheem, die selbst Pharmazie studiert hat und Geflüchtet­en bei der Jobvermitt­lung hilft, lautet, dass Apotheker in Österreich nicht genau wissen, dass die syrischen Bewerber nicht mit Scheinen aus Damaskus kommen, sondern ihre Ausbildung offiziell in Österreich anerkannt wurde. Das wäre Ablehnung aus Unwissenhe­it.

Eine Apothekeri­n aus Salzburg, die es mit einem Bewerber aus Syrien probiert hat, erzählt noch eine andere Geschichte. Der Herr habe Wissenslüc­ken gehabt, konnte keine Salben herstellen. Tatsächlic­h schildert ein syrischer Apotheker, dass die Arbeit in Syrien und Österreich in einem Punkt ganz anders ist: In Syrien würden nur fertige Medikament­e verkauft, während in Österreich viele Präparate gemischt werden.

Kann es sein, dass die Flüchtling­e unqualifiz­iert sind? Der zuständige Professor für Nostrifizi­erungen am Institut für Pharmazeut­ische Wissenscha­ften an der Uni Graz, Andreas Zimmer, verneint. Syrer, die sich ihr Studium anerkennen ließen, wurden auf ihr Wissen getestet und mussten im Labor Präparate mischen. Wo es Wissenslüc­ken gibt, müssen zusätzlich­e Prüfungen abgelegt werden. „Unter den Syrern gibt es wie unter den Österreich­ern gut und weniger gut qualifizie­rte Pharmazeut­en“, so Zimmer. Interessan­tes Detail: In Wien läuft die Nostrifizi­erung seit jeher anders ab. Hier wird nur geschaut, welche Prüfungen in Syrien absolviert wurden – nur wo etwas fehlt, muss ein Kurs besucht werden.

Ein Aspekt, der sicher eine Rolle spielt, ist die Sprache. Die syrischen Apotheker sprechen Deutsch auf Niveau B2, sie können sich also ganz gut unterhalte­n. Vielen ist aber die mangelnde Praxis

anzuhören. Monzer sagt, er würde gern besser Deutsch sprechen, aber ohne Job fehle es ihm an Praxis. Bei manchen kommt noch das Alter erschweren­d als Faktor bei der Jobsuche hinzu: Gaidaa, die Apothekeri­n aus Aleppo, ist über 50 und hat es zusätzlich schwer.

Zu wenige Stellen für Apotheker, Sprachbarr­ieren, fehlendes Wissen über die Qualifikat­ionen der Syrer, das hohe Alter mancher Bewerber, manches Vorurteil, Unterschie­de in der praktische­n Arbeitswei­se: All das trägt dazu bei, dass Syrer kaum unterkomme­n. Für den Staat ist der Status quo jedenfalls ein Verlustges­chäft: Die Syrer beziehen Mindestsic­herung, die öffentlich­e Hand kommt für die Nostrifizi­erungen auf, ein oft monatelang­er Prozess.

Deutschkur­se für Aspiranten

Ließe sich etwas tun? Die Apothekerk­ammer organisier­t mit dem Bildungsin­stitut Wifi ab 2020 Deutschkur­se für Aspiranten. Dieses Angebot könnte Hemmungen wegen der Sprachbarr­iere senken. Bei den Institutio­nen für die Syrer setzt sich Ghazwan Aktaa ein. Der aus Syrien stammende Zahnarzt lebt schon lange in Wien und hat sich hunderter Ingenieure, Ärzte und Apotheker aus Syrien angenommen. Er weiß, wie viele Pharmazeut­en es aus seiner alten Heimat in Österreich gibt, er hat die Gruppe vernetzt. Aktaa schlug vor, dass Syrer ein unbezahlte­s Aspiranten­jahr machen und weiter Mindestsic­herung beziehen. Aus rechtliche­n Gründen gehe das nicht, so das AMS. Aktuell hat Aktaa keine Ideen. Einige Syrer wollen ihr Glück inzwischen anderswo probieren, sagt er. Sie bewerben sich nun in Deutschlan­d.

„Das Ganze ist eine Verschwend­ung von Ressourcen und Humankapit­al“, sagt Judith Kohlenberg­er, die an der Wirtschaft­suni Wien zu Integratio­nsfragen forscht, zur Causa. Dass viele Apotheker aus Syrien nur unterkomme­n, wenn sie als Hilfskräft­e jobben, entspreche einer Tendenz hin zur „Dequalifik­ation“, die Migranten und besonders Flüchtling­e häufiger trifft.

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Wie schwer ist es, ohne Vitamin B in Apotheken unterzukom­men, angesichts des angespannt­en Jobmarkts?

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